Vor 10. Todestag: Neues von und über Gabriel García Márquez

Roman „Wir sehen uns im August“ aus dem Nachlass und bewegende Erinnerungen seines Sohnes veröffentlicht

Vor zehn Jahren, am 17. April 2014, starb der kolumbianische Autor Gabriel García Márquez im Alter von 87 Jahren. Die Welt verlor einen Romancier, der mit Werken wie „Hundert Jahre Einsamkeit“ seinen Kontinent auf die Landkarte der Weltliteratur setzte und 1982 den Nobelpreis erhielt. Zum Todestag erscheint ein kleiner Roman aus dem Nachlass, begleitet von einem Erinnerungsbuch seines Sohnes Rodrigo García (64), in dem dieser auch von seiner Mutter Mercedes Barcha erzählt.

„Wir sehen uns im August“ heißt der Roman, der mit einigem publizistischem Trommelfeuer am Donnerstag weltweit auf den Markt kommt. Vom Umfang her eher eine Novelle, sollte der Text nach dem Willen seines Autors eigentlich gar nicht gedruckt werden – weil er aus seiner Sicht nichts taugte. Rodrigo und sein jüngerer Bruder Gonzalo, die beiden einzigen Kinder, überlegten es sich jetzt anders – und hoffen, dass der Vater im Jenseits ihnen verzeiht.

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Von einer „echten Sensation“ spricht der Verlag Kiepenheuer & Witsch. Das ist der Text ganz sicher nicht, denn seine Existenz ist seit Langem bekannt. Mit dem übrigen Nachlass ging er nach dem Tod des Schriftstellers an das Harry Ransom Center der Universität von Texas in Austin über. Schon 1999 las „Gabo“ in der Casa América in Madrid ein Kapitel. Das Publikum, darunter der frühere spanische Ministerpräsident Felipe González und der spätere Regierungschef Mariano Rajoy, habe den Atem angehalten, berichtete die Madrider Tageszeitung „El País“. 2003 druckte „El País“ ein weiteres Kapitel. Danach überarbeitete García Márquez den Text immer wieder, gab ihn aber niemals frei, wollte vielmehr, dass er vernichtet würde.

Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Ana Magdalena Bach, die Hauptfigur, setzt jedes Jahr am 16. August mit der Fähre auf eine Karibikinsel über, um das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Am Todestag legt sie dort einen Strauß Gladiolen nieder und erzählt der Verstorbenen von ihren Sorgen und Nöten. Sie ist 46 Jahre alt und seit 27 Jahren glücklich verheiratet mit einem Mann, der der erste und einzige in ihrem Leben war. Bis zu dem Tag, an dem sie im Billighotel an der Lagune mit einem wildfremden Gast anbändelt und ihn mit aufs Zimmer nimmt. Fortan hat sie jedes Jahr ein anderes Abenteuer auf der Insel und fühlt sich bald fremd in ihrer alten, vertrauten Welt.

Unterhaltsame Geschichte mit gelungener Schlusspointe

Eine unterhaltsame Geschichte mit einigen drastischen Sexszenen – und einer gelungenen Schlusspointe. Den Nachnamen der Ehefrau auf Abwegen hat der Meister des Magischen Realismus wohl nicht zufällig gewählt, denn es geht auch um Musik, um Debussys „Clair de Lune“ in einer Bolero-Bearbeitung, um Brahms, Mozart und Schubert. Weniger melodisch ist der Text an sich, an einigen Stellen wirkt er auf Deutsch gar etwas holprig. Passagen, die so wunderschön geschrieben sind, dass man sich – wie in „Gabos“ Klassikern – die Seitenzahlen hinten im Buchdeckel notiert, sucht man vergebens.

In seinem Erinnerungsband, der am Donnerstag erstmals auf Deutsch erscheint, schreibt Rodrigo García, wie sehr sein Vater in seinen letzten Lebensjahren unter Demenz litt. Bewegend die Trauerfeier, die drei Tage dauerte und während der die Urne, in einen gelben Seidenschal gewickelt, im Arbeitszimmer stand. „Aquí nadie llora“ – hier wird nicht geweint – befahl die resolute Mutter. Jemand bemerkte, dass auch eine von García Márquez’ Romanfiguren – Úrsula Iguarán aus „Hundert Jahre Einsamkeit“ – an einem Gründonnerstag starb. Und fast wie im Roman lag da zur Todesstunde ein toter Vogel, der vermutlich gegen eine Glaswand geprallt war.

Lesenswerte Schilderungen des Sohnes

Es sind solche Schilderungen, die das Buch des Sohnes so lesenswert machen. Zwischen Rio Grande und Feuerland war sein Vater eine Art Popstar. Wenn er in Mexiko-Stadt ein Restaurant betrat, dann klatschte das ganze Lokal spontan Beifall. In Rodrigos Wahlheimat Kalifornien dagegen konnte García Márquez unbemerkt in den Nobelrestaurants von Los Angeles speisen. Oft erkannten ihn dort nur die Latino-Parkwächter, und manchmal schickten sie jemand los, seine Bücher zu kaufen, damit der Maestro sie nach dem Essen signierte. „Das bereitete ihm stets größtes Vergnügen“, schreibt der Sohn.

Gabriel García Márquez: Wir sehen uns im August. Kiepenheuer&Witsch, 144 Seiten, 23,70 Euro; Rodrigo García: Abschied von Gabo und Mercedes. Erinnerungen an meinen Vater Gabriel García Márquez. Kiepenheuer&Witsch, 176 Seiten, 22,70 Euro

 

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