Weltpremiere in Wien von Porträt eines KZ-Überlebenden

Stanisław Zalewski überlebte die Nazi-Todesmaschinerie (hier 2023) © APA/ROBERT JAEGER

Stanisław Zalewski entspricht nicht dem Klischee des klassischen KZ-Überlebenden. Er ist kein Jude, sondern wurde als Mitglied einer Widerstandsgruppe inhaftiert und spricht auch Tabuthemen aus dem Lageralltag an. Seine Mahnungen verpackt der 98-Jährige in Humor. Nicht als Opfer sieht er sich, sondern als Auserwählten, wie er im Film „Botschafter des Erinnerns“ erzählt. Der Dokumentarfilm der polnischen Regisseurin Magdalena Żelasko feiert am Dienstag in Wien Weltpremiere.

„Als ich ihn vor vier Jahren kennengelernt habe, konnte ich nicht glauben, dass noch niemand mit ihm einen Film gemacht hat“, sagte Żelasko der APA im Vorfeld der Uraufführung am Dienstagabend in der Wiener Urania. Wer den Film gesehen hat, muss ihr zustimmen. 100 Minuten lang zieht Zalewski die Zuseher in seinen Bann, egal ob als großer Redner beim Holocaustgedenken in Auschwitz oder beim Blättern durch einen Aktenordner mit alten Fotos und Dokumenten in seinem Büro in der Warschauer Innenstadt. Zalewski wird selbst an der Weltpremiere des Films teilnehmen, der regulär im September in mehreren europäischen Ländern starten soll.

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„Mit dem KZ ist es wie mit der Uhrzeit. Ich sage sie nur, wenn man mich danach fragt“, sagte Zalewski vor Journalisten in Wien. Um nach dem Krieg ein normales Leben führen zu können, habe er seine Erinnerungen „in eine wasserdichte Kiste verpackt und im Wasser versenkt“, erzählt er im Film. Seinem Sohn Hubert zufolge dauerte es ganze fünf Jahrzehnte, ehe Zalewski erstmals über seine Erlebnisse sprach. „Bis dahin gab es eine totale Sperre.“

Umso mitteilungsfreudiger ist der gelernte Automechaniker im Film. Er erzählt, wie er schon als Jugendlicher im besetzten Warschau Wehrmachtsautos sabotierte. Im September 1943 wurde er gefasst, nachdem er ein Widerstandszeichen auf eine Hausmauer gemalt hatte. Eindrücklich schildert er dann sein Martyrium, das im KZ Auschwitz begann und später nach Mauthausen und Gusen führte. Gezeigt wird er an den Originalschauplätzen, aber auch als Redner bei Gedenkfeiern und im Gespräch mit Jugendlichen. Seine Kernbotschaft richtet sich an die Politiker, die eine Wiederholung des damaligen Grauens verhindern müssten. Es gehe schlicht darum, „dass der Mensch dem Menschen ein Mensch ist“.

Für Żelasko war der Film über den Vorsitzenden des polnischen KZ-Opferverbandes ein „Riesenexperiment“. Schließlich handelt es sich um das Erstlingswerk der langjährigen Leiterin des Filmfestivals Let’s CEE, und auch ihr Kameramann hat noch nie einen Langfilm gedreht. Da mag man dem Film so manchen technischen Mangel wie falsche Fokussierung, Tonrauschen oder auch Überbelichtungen nachsehen. Hätte Żelasko das Selbstbewusstsein eines berühmten dänischen Kollegen, würde sie das vielleicht sogar als Markenzeichen vor sich hertragen.

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Tatsächlich sind die Mängel ein Authentizitätsbeweis, die Überbelichtungen etwa. „Wir wollten nur kurz in die Holzbaracke reinschauen, aber dann ist dort eine Stunde wunderbares Interview entstanden“, erläutert die Regisseurin. In diesem Teil des KZ Auschwitz sei das Filmen eigentlich verboten gewesen. Die auffallenden Lichtspiele im Gesicht Zalewskis seien entstanden, weil andere Besuchergruppen immer wieder kurz die Tür des dunklen Raumes geöffnet hätten.

Wer Hochglanz und große Inszenierung à la Netflix sucht, ist bei diesem Film fehl am Platz. Und das ist auch gut so, denn Żelasko lässt ihren Protagonisten einfach erzählen. Zu sagen hat er viel, auch über vergleichsweise Banales – etwa wie die Häftlinge in Auschwitz in Fünfergruppen ihr tägliches Brot geteilt hatten oder wie sie von den Kapos mit einem Schöpflöffeltrick um die nahrhaftesten Teile aus dem Suppentopf gebracht worden seien. Auch das Thema Sexualität, die im Lager allgegenwärtig gewesen sei, spricht er offen an.

Seine stärksten Momente hat der Film ausgerechnet im jahrzehntelang als „Nebenlager“ Mauthausens vergessenen Gusen, wo Zalewski als Häftling zur Beteiligung an der Rüstungsproduktion genötigt wurde. Zu greifbar wird dort die zunehmende Leere des institutionellen Holocaustgedenkens. Ausgiebig zeigt die Regisseurin, wie bei einem Gedenkakt die halbe Bundesregierung mit Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) an der Spitze in Betroffenheitspose verloren herumsteht und eine israelische Delegation unbeholfen Small Talk mit Zalewski versucht. So wünscht der damalige Botschafter Mordechai Rodgold dem damals 97-Jährigen, er möge 120 Jahre alt werden. „Das ist zu viel, weil die Menschen immer schlimmer werden“, antwortet Zalewski glasklar. Die Menschen hätten „keine Schlüsse gezogen aus dem, was passiert ist. Was soll das eigentlich?“, gibt er dann auch einem Fernsehreporter zu Protokoll.

Bei der Voraufführung seines Films in Wien hält sich der Überlebende mit politischen Botschaften zurück. „Ich verstehe die Frage und kann sie nachvollziehen, aber ich möchte nicht darauf antworten“, sagt er auf das Nachhaken, wie er die aktuelle Instrumentalisierung des Holocaust durch die Nahost-Konfliktparteien sehe. Vielmehr gibt er den Journalisten einen Auftrag „für unser nächstes Treffen“ mit. „Jeder soll bis zum nächsten Zusammentreffen eine gute Tat vollbringen für jemand anderen.“

(Von Stefan Vospernik/APA)

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