„Wer wir einmal sein wollten“: Zerplatzte Träume einer jungen Frau

Anna Suk als Anna © Lukas Allmaier

„If tomorrow comes“ lautet es in einem Lied am Anfang von „Wer wir einmal sein wollten“, dem neuen Spielfilm von Özgür Anil. Dieses Morgen scheint für Protagonistin Anna – überzeugend dargestellt von Anna Suk – irgendwie nie zu kommen. Der Film führt vor Augen, wie Pflichtbewusstsein gegenüber der Familie das eigene Fortkommen behindern kann und welche Spuren zerplatzte Träume hinterlassen.

Anna hatte einmal den Wunsch, Schauspielerin zu werden. Stattdessen jobbt sie nun in einer Schauspielschule, ist für alle da, freundlich und aufopfernd. Nebenbei macht sie die Matura nach und lernt, um im Leben doch mal weiter zu kommen und vor allem weiter als ihr Bruder Patrick, der nichts auf die Reihe bekommt. Als er eines Tages wieder um Geld bettelnd vor ihrer Tür steht, während die Mutter, zu der sie den Kontakt schon länger nicht mehr pflegt, im Krankenhaus liegt, kann sie ihn nicht zurückweisen.

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In eine Rolle gedrängt

Sie versucht, ihm zu helfen, lässt ihn in ihre Wohnung einziehen, versucht, einen Job für ihn zu finden und wird dabei zunehmend in eine Rolle gedrängt, die sie nicht möchte – sie fühlt sich verantwortlich für ihren Bruder, obwohl sie selbst genau weiß, dass er für sein vermurkstes Leben selbst die Verantwortung trägt. Immer sorgenvoller wird ihr Blick, und immer weiter zieht sie sich im Sog der Ereignisse, die ihr scheinbar entgleiten, zurück. Ihr Freund, der sich nicht das Label einer festen Beziehung mit ihr umhängen lassen will, gibt ihr den Tipp, dem Bruder Raum zu geben. Dabei wirkt es, als ob ihr gerade der Raum genommen wird.

Am Ende wirkt sie müde und gezeichnet, die schriftliche Matura hat sie nicht geschafft – vielleicht weil ihr die Sorge um den Bruder im Kopf herumging – und nun muss sie noch mal ran, noch mehr lernen und dafür arbeiten, zu etwas zu kommen. Während sie den harten, aber ehrlichen Weg wählte, gleitet ihr Bruder in die Kriminalität ab – seine Verhaftung wirkt beinahe wie eine Erleichterung für sie. Sie versucht, allen ihn ihrem Umfeld zu helfen und Wünsche zu erfüllen, ihr Wunsch an ihren Freund – „Ich brauch‘ Sicherheit“ – bleibt aber unerfüllt. Er verabschiedet sich nach dem Abschluss der Schule nach München, sie bleibt zurück. Offen und frei für Interpretationen bleibt damit auch das Ende des Films.

Özgür Anil gelingt mit seinem ersten Langfilm „Wer wir einmal sein wollten“ ein unaufgeregtes, aber sehr klares Bild vom Gefühlsleben einer jungen Frau, die trotz aller Anstrengungen nicht voranzukommen scheint. Gerade der Fokus auf das Narrativ und nicht die Details erlaubt es, dass sich viele Zuschauerinnen und Zuschauer darin wiederfinden können.

Von Ingrid Kornberger

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