Whitney Houston: Der Glanz, die Schatten

3sat-Mediathek: Kevin Macdonalds´ sehenswerte Dokumentation „Whitney“ und andere Pop-Perlen

Whitney Houston 2004 bei den World Music Awards in Las Vegas
Whitney Houston 2004 bei den World Music Awards in Las Vegas © Pascal Le Segretain / Getty / AFP

Die Stimme beglückt Abermillionen Menschen: Eine so zuvor noch kaum gehörte Intensität, Klarheit, Schönheit. Whitneys Mutter Cissy, einst selbst Background-Sängerin u. a. bei Aretha Franklin, doziert stolz: Es gebe drei Stimmarten, aus dem Bauch, aus der Brust, aus dem Kopf. Whitney beherrsche alle drei.

Den Menschen geht das Herz auf, wenn das Kind Whitney in der Kirche in ihrer Heimatstadt Newark singt. Die Mama erkennt früh die außerordentlichen Qualitäten, nimmt Whitney unter ihre Fittiche. Der Teenager wird auf eine Privatschule geschickt, Whitney soll ihre Bildung nicht von den Straßen Newarks, sondern in behüteter Umgebung erhalten.

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Im Fall Whitney Houston scheint es, als ließe sich eine Weltkarriere planen. Mama Cissy hat alles in die Wege geleitet. 1985, Whitney ist 22, erscheint das Debütalbum „Whitney Houston“. 13 Millionen verkaufte Alben alleine in den USA, drei Nummer-1-Hits, ein Grammy für „Savin All My Love for You“.

Im weißen, „sauberen“ Amerika Ronald Reagans gilt es, bestimmte Spielregeln einzuhalten. Nach außen präsentiert sich eine perfekte Familie Houston. Niemand braucht zu wissen, dass sich Whitneys Eltern schon vor Jahren scheiden ließen. Und Gerüchte über eine intimere Beziehung mit Whitneys Freundin Robyn Crawford könnten ebenfalls der Karriere schaden.

Der Teenager Whitney wird als freundlich und ruhig beschrieben, mit ihrem Lächeln bezauberte schon das Kind die anderen. Als Popgöttin zeigt Whitney auch andere, unangenehme Seiten. Nach einem Konzert ist sie sichtlich erschöpft und zieht in der Garderobe über das oberflächliche Business vom Leder. Es trifft eine Kollegin: „Paula Abdul ist scheiße. Sie kann einen Dreck … Die singt sogar auf Platte falsch.“

Das ist nicht mehr die reizende Whitney. Ist es nur der Ruhm, der sie verändert? Berührend, bedrückend die Vorstellung, wie die Königin und der König des Pop einander brauchen. Nächtliche Anrufe von Whitney und Michael Jackson, sie treffen sich in einem Hotelzimmer. Dort schweigen sie miteinander, wird erzählt. Allein die Nähe des anderen spendet Trost.

„Whitney an Nippy!“

Kevin Macdonalds spürt in der sehenswerte Dokumentation „Whitney“ von 2021 den Höhen und Abgründen der Pop-Göttin nach, die am 11. Februar 2012 in einem Hotelzimmer in Beverly Hills in der Badewanne tot aufgefunden wurde: Drogen in Verbindung mit einer Herzschwäche. Makabre, erschütternd traurige Wiederholung von Whitneys Ende, Tochter Bobbi Kristina Brown stirbt im Juli 2015, wenige Monate, nachdem ihr Körper bewusstlos in einer Badewanne gefunden wurde.

Ein Leben als Achterbahnfahrt, Regisseur Macdonalds zeigt (semi-)private Videoaufnahmen von Whitney Houston. Die Diva auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, sie spürt sich selbst nicht. Whitney sitzt bei Tisch und führt ein lautes Selbstgespräch: „Bist du da drin? Whitney an Nippy! Bitte kommen!“ Nippy war ihr Spitzname seit der Kindheit. Mamas braves Mädchen, Daddys Liebling. John, der Vater, klagt sie auf 100 Millionen Dollar, er will an einem aberwitzigen Plattenvertrag mitnaschen. Ein Schock für Whitney, ein Kampf auch. Papa stirbt 2003, Whitney kapselt sich noch mehr ab.

Die Drogen. Whitney begann damit schon in jungen Jahren, erzählt ein Bruder. Nicht bloß Joints. Kokain in den Joints. Entzugsaufenthalte fruchten nichts. In einem aufsehenerregenden TV-Interview 2002 wird die Sucht öffentlich, etwas wie beißende Selbstironie: „Ich verdien zu viel Kohle, um Crack zu rauchen, klar?!“

Woher der Schmerz? Die Dokumentation wartet mit einer neuen These auf. Whitneys persönliche Assistentin will ihr das Geheimnis entlockt haben. Sexuelle Gewalt, „kein Mann, eine Frau“. Der Name fällt, Dee Dee Warwick, eine Cousine, Schwester der berühmten Dionne Warwick. Dee Dee Warwick kann auf die Vorwürfe nicht mehr antworten, sie verstarb 2008.

Nach 14 Jahren Ehe ließ sich Whitney Houston 2007 endlich von Bobby Brown scheiden. Der verhaltensauffällige Sänger musste jahrelang als Sündenbock für Whitneys Fall herhalten, aber die Geschichte scheint verwickelter. Nach der Scheidung wieder ein versuchter Drogenentzug, aber Whitney ist jetzt pleite. Eine Comeback-Tournee 2009, Eintrittswucher, die Kritiken katastrophal, die göttliche Stimme versagt. Ein letzter Hoffnungsschimmer, Whitney spielt im Musikfilm „Sparkle“ mit. Ein Jugendtraum, sie blüht auf. Danach fällt sie wieder. Fällt tiefer. Nichts hält sie mehr auf.

Die Trauerfeier für Whitney Houston findet am 18. Februar 2012 in der New Hope Baptist Church in Newark statt, wo Houston als junges Mädchen Mitglied im Gospelchor gewesen war. Kevin Costner, der Partner im Welterfolg „Bodyguard“ (1992), hielt eine Trauerrede.

Von Christian Pichler

Dokumentation „Whitney“ (113 Minuten) bis 30. April unter 3sat.de abrufbar. Unter dem Stichwort „pop“ finden sich auch kürzere (rund 45 Minuten) – und enorm kurzweilige – Dokus zu Weltstars wie Madonna, Elton John, Eminem oder Lady Gaga.

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