Wiens Popfest setzte zur Eröffnung einmal mehr auf Vielfalt

Dank Popfest okkupiert die heimische Musikszene einmal jährlich für ein paar Tage den Wiener Karlsplatz: Am Donnerstag feierte das Gratis-Festival bei moderat-sommerlichen Temperaturen und in lauschiger Kulisse zwischen Karlskirche, Wien Museum, Park, Gastroständen und gelber XXL-Quietschente einen gelungenen Start in die inzwischen 15. Ausgabe. Und allein der Eröffnungsabend stellte erneut unter Beweis, wie erfreulich breit der Popbegriff hier seit jeher verstanden wird.

Schon bei der Programmpräsentation betonte das diesjährige Kuratorenduo, FM4-Moderatorin Lisa Schneider und Attwenger-Hälfte Markus Binder, dass man sich nicht auf Nischen beschränken wolle: „Wir sind in einer Phase, in der Popmusik offensiv alle Inhalte und alle Herkünfte einschließen will.“ Unter dieser Prämisse ist stilistische Vielfalt Pflicht. Und mit Wienerlied 2.0, Punk, Cloud-Rap und Indie-Pop auf der Open-Air-Seebühne als Herzstück des Fests wurde das Versprechen geradezu vorbildlich eingelöst.

Als Opener haben die beiden Line-Up-Verantwortlichen gleich einmal auf ein kräftiges Zugpferd aus dem Stall des oft als Genrebegriff bemühten Neuen Wienerliedes gesetzt. Der kann aber so falsch nicht sein, denn immerhin hat Der Nino aus Wien sein jüngstes Album – wohl mit einem Schuss Selbstironie – „Endlich Wienerlieder“ betitelt. Mit einem der Zentralgestirne des heimischen Sing-Songwriter-Universums war gleich einmal volles Haus garantiert.

Der 37-Jährige, der bereits beim allerersten Popfest im Jahr 2011 gespielt und 2018 als Co-Kurator fungiert hatte, schöpfte beim nunmehrigen Auftritt aus seinem inzwischen durchaus beeindruckend umfangreichen Katalog und präsentierte mit seiner Band Klassiker wie „Coco Bello“ und „Es geht immer ums Vollenden“ ebenso wie recht frisches Material – von „No a bissl foischer“ über „Waschechter Weana“ bis „Alles 1 Scheiss“. War es dann aber doch nicht.

Auf eine höhere Drehzahl schaltete danach Anda Morts. Die Oberösterreicher klingt mit Live-Band deutlich druckvoller als auf Platte. Von der leicht träge-verschlafenen Grundstimmung der Studioaufnahmen war an diesem Abend wenig zu spüren. Dafür gab es fein rumpelnden, astreinen Deutschpunk, was im bunt gemischten wie dicht gedrängten Publikum schon mal Energie für den einen oder anderen Pogo freisetzte. „Linzer Kellermusik am Karlsplatz“, stellte Morts das eigene Schaffen vor und formulierte auch gleich die Quintessenz des Popfests: „Gratis, aber nicht umsonst.“ Neben kleinen Hits wie „Adidas für Mama“, „Wütend“ oder „Leere Flaschen“ hatte die Truppe auch Neues im Gepäck – etwa das noch unveröffentlichte Stück „Arbeit“, von der Anda Morts – gelinde gesagt – nicht allzu viel hält.

Mit viel Synthie-Klängen unterlegte Beats – wie es sich eben für Cloud-Rap gehört – kredenzte dann Verifiziert. Vor fünf Jahren, als sie noch keine Musik gemacht habe, habe sie für FM4 am Popfest gearbeitet und unter anderem die gelbe Ente im Teich aufgebaut, erinnerte sich die Künstlerin und gestand: „Mir ging es heute den ganzen Tag so schlecht, weil ich so nervös war. Aber jetzt, wo ich Euch sehe, geht es mir besser.“ Die positive Stimmung gab die Fangemeinde postwendend zurück. Arme wurden in der Luft hin- und hergeschwungen, viele Handytaschenlampen aktiviert. Die Wienerin gab nicht nur einen ihrer bekannteren Songs, „Suzuki Swift“, gleich zweimal zum Besten – einmal davon in einer Dancefloor-Version -, sondern auch ein Cover des Juli-Hits „Die perfekte Welle“ und die ganz frische, erst vor zwei Wochen veröffentlichte Nummer „Blackout in der Gegend“. Und sie stellte nach ihrem im Vorjahr erschienenen Debüt „adhs“ ein zweites Album in Aussicht, das noch heuer erscheinen soll.

Der Headliner-Slot gehörte schließlich dem heimischen Shootingstar Oskar Haag. Auch er hatte seine ganz persönliche Popfest-Erinnerung zu bieten, spielte er doch bei der Ausgabe 2021 als 15-Jähriger sein allererstes Konzert, damals in der Karlskirche. Nach drei Jahren und mit „Teenage Lullabies“ einem 2023 vorgelegten, viel beachteten Erstling folgte nun die zweite Live-Premiere – nämlich der erste Auftritt mit Band, der zwischen anschmiegsam-melancholischen Balladen und rockigem Indie-Pop alle Stückerl spielte. Der in einem tiefroten Jumpsuit steckende Kärntner, dessen Stimme in ihrer hellen Brüchigkeit jener von Conor Oberst zuweilen erstaunlich nahekommt, brachte neben Songs aus seinem Debüt auch drei neue Lieder mit – darunter „Parents“ über den Druck, den man als junger Mensch aus dem Elternhaus erfahren kann. Wobei das nicht unbedingt seine eigenen Erfahrungen beschreibe, wie der Sohn des Naked-Lunch-Mitbegründers Oliver Welter zur Sicherheit kürzlich in einem „Kurier“-Interview klarstellte. Das verträumte „Stargazing“, das die steile Karriere des jungen Sängers in Gang setzte, performte er am Ende dann aber doch solo – denn: „Es wäre kein g’scheites Oskar-Haag-Konzert, wenn ich nicht einen Song allein spielen würde.“

Das Popfest lädt noch bis Sonntag auf und rund um den Karlsplatz zum Gustieren durch das aktuelle österreichische Musikschaffen ein. Neben der Seebühne wird außerdem im Wien Museum, dem Kuppel- und Prechtlsaal in der Technischen Universität, im nahe gelegenen Club U und am Abschlusstag traditionell in der Karlskirche konzertiert. Dem Prinzip der Vielfalt bleibt man durchgängig treu. Der Reigen der insgesamt 50 Acts reicht vom nachdenklichen Shoegaze-Sound von Culk über den zupackenden Punkrock der Baits bis zu den Indie-Helden Ja, Panik oder der kunterbunten Popsensation Sharktank. Aber auch Apollo Sissi, Laundromat Chicks oder Filly stellen ihr Können unter Beweis. Ein Highlight dürfte der Auftritt von Wolfgang Möstl & Friends am Samstag werden, wird der Produktions- und Gitarrenkapazunder doch etliche befreundete Acts zu sich auf die Bühne holen.

Wer bei soviel geballter Musik Lust bekommen sollte, eigene Gesangskünste einmal auf Platte zu verewigen, kann das beim Popfest ebenfalls gleich erledigen. Zwischen Karlskirche und Wien Museum steht seit kurzem nämlich ein „Vinylograph“. Bis 31. Oktober kann man hier – ähnlich dem Verfahren einer Fotobox – in einer Audiokabine aufnehmen und kurz darauf die in Echtzeit geschnittene Vinylaufnahme als 7“-Single mit nach Hause nehmen. 25 Euro kostet der Spaß, während des Popfests am Freitag und Samstag kann das Kunstprojekt zu bestimmten Zeiten aber gratis genutzt werden.

(Von Thomas Rieder/APA)

popfest.at

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