Zwei Unzertrennliche und ihre große Liebe zur Alten Musik

Alice und Nikolaus Harnoncourt haben ihr Lebenswerk bis ins Detail dokumentiert, jetzt wird es digitalisiert

Alice und Nikolaus Harnoncourt schufen sich ihr eigenes Archiv am Dachboden ihres Hauses.
Alice und Nikolaus Harnoncourt schufen sich ihr eigenes Archiv am Dachboden ihres Hauses. © APA/Gindl, Nikolaus Harnoncourt Zentrum

„Wenn die beiden sich nicht gefunden hätten, dann hätte diese Revolution nicht stattgefunden“, sagt Claudia Stobrawa. Und meint den weltberühmten Dirigenten Nikolaus Harnoncourt (1929-2016) und seine Frau Alice (1930-2022), eine großartige Geigerin, die in unermüdlicher Arbeit Musik aus der Zeit von 1600 bis 1850 wiederentdeckt und ins Heute geholt haben.

„60 Jahre waren sie verheiratet, in all der Zeit kaum voneinander getrennt“, so Stobrawa, die das neu gegründete Nikolaus Harnoncourt Zentrum an der Linzer Bruckneruni leitet. Dessen Aufgabe ist es, das riesige, perfekt sortierte Archiv des Paares, also den Nachlass, zu digitalisieren. In St. Georgen im Attergau, wo die beiden lange gelebt haben, widmet sich aktuell eine Ausstellung dem Schaffen der beiden großen Künstler. Im Herbst wird sie an der Bruckneruni (21. Oktober bis 6. Dezember) zu sehen sein.

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Harnoncourt Zentrum arbeitet auf Hochtouren

Karton für Karton wird nach Linz gefahren, der Inhalt im Landesarchiv digitalisiert und dann wieder ins Haus der Familie nach St. Georgen gebracht. Der Dachboden beherbergt den Schatz in Holzregalen, die Komponisten nach Alphabet geordnet, die Partituren am Rücken beschriftet. „Alice hat die Datenbank schon perfekt analog erstellt.“

Der Nachlass besteht aus audiovisuellen Medien, 50 Regalmeter Notenmaterial und knapp zwei Kubikmeter Korrespondenzen, Essays, Notizen zu Werken und zur Aufführungspraxis, Vortragsmanuskripten sowie Material zur universitären Lehre Harnoncourts.

Die Dirigierpartitur als Quintessenz des Wissens

Ab November soll die Datenbank öffentlich zugänglich sein, erste Forschungsprojekte stellen sich schon an, es gibt viel Stoff für Arbeiten für Studierende, aber auch für Harnoncourt-Anhänger. „Die Harnoncourts haben Zeitungsausschnitte seit 1950 aufgehoben, von Anfang an ihr Lebenswerk dokumentiert, sortiert und aufbewahrt.“

Nikolaus Harnoncourt hat überall seine Gedanken dazu geschrieben: „So eine Dirigierpartitur ist die Quintessenz seines Wissens.“ Alles sei in einer unglaublichen Dichte vorhanden, so wie man es von keinem anderen Dirigenten kenne, so Stobrawa. „Wir möchten gerade junge Musiker ansprechen, damit sie sich aus diesem universellen Wissen – dazu gehörten auch Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte – beschäftigen und Sinn in ihr Musizieren legen, wie es Nikolaus Harnoncourt stets getan hat.“

Stobrawa, Musikwissenschafterin und Musikmanagerin, hat mit dem Paar an sechs Opern gearbeitet. „Es ging immer um Musik, auch privat“, erzählt sie von Begegnungen. Alice sei eine vielversprechende Solo-Geigerin gewesen, als sie Nikolaus kennenlernte. Und wollte sich nach der Heirat 1953 auf die damals übliche Rolle als Hausfrau und Mutter zurückziehen. Doch ihr Mann holte sie ins Musikleben zurück.

Alice war im von Nikolaus 1953 gegründeten Concentus Musicus von Anfang an mit dabei. 1957 trat das Orchester erstmals auf: Vier Jahre hatten die Mitglieder, die meisten waren Symphoniker, geforscht, gesucht, getestet und geübt. Die Harnoncourts verbrachten viel Zeit damit, in Bibliotheken und Klöstern vergessene Werke mit der Hand abzuschreiben und sammelten alte Instrumente, die aufwendig restauriert und wieder spielbar gemacht wurden, waren Pioniere in Sachen Alter Musik. „Heute sind Barockorchester wieder selbstverständlich.“

Ausstellung: Einblicke in Archiv und Leben

Die Ausstellung in der Musikschule in St. Georgen, die sich an alle Altersstufen richtet, gibt anhand von Handschriften, einer Doku und einer Hörstation, Fotos und (bekannt markigen) Sprüchen des Dirigenten einen Einblick in Archiv, Biografie und Lebenswerk.

Es wird deutlich, welche Komponisten Harnoncourt beschäftigt haben, aber auch, warum das Paar nach St. Georgen gezogen ist. „Neben seinem Engagement am Mozarteum haben auch die Abgeschiedenheit und Ruhe eine große Rolle gespielt“, weiß Strobawa. Und mit zu einer Symbiose von zwei Unzertrennlichen geführt, die viele Früchte getragen hat.

Von Melanie Wagenhofer

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