Zwischen Hörschule & Klangchaos

Experiment: Die neu gestaltete Klangwolke „Sounding Linz“

Kehrte nach Partitur: Das „Besenballett“ tauchte an verschiedenen Orten auf.
Kehrte nach Partitur: Das „Besenballett“ tauchte an verschiedenen Orten auf. © APA/ Christoph Leeb/ Subtext

Trommelschläge, die an- und abschwellen. Der Kirchenraum des Linzer Mariendoms ein ungeheuerlicher Resonanzkörper, überträgt auch das Flüstern der Sängerinnen in den hintersten Winkel. Die Stimmen malen den Raum aus. Die Orgel fügt sich an die akustische Skulptur, mächtig ihr Klang, erstaunlich zart auch.

Das Performance-Stück von Sam Auinger eine Schule des Hörens und am Samstag eines von drei „Klangjuwelen“. Diese bildeten den konventionelleren Teil, denn im Mittelpunkt stand der „Sound“ der Stadt Linz. Die diesjährige Klangwolke wich — beschleunigt durch das Virus — entschieden vom langjährigen Konzept ab. Kein Massenevent an der Donaulände, kein Feuerwerk. Stattdessen sollten es Klangorte zum Erwandern und Entdecken sein. Das Projekt verknüpft mit einer klanglichen Kartografie der Stadt im Internet (soundinglinz.at), die Einwohner konnten mitgestalten. 46 Klangspaziergänge, die auch am Samstag zum Einsatz kamen.

Das ist alles vorbildlich demokratisch. Taugt es auch als neues Format in der haptischen Welt? Die Kreativköpfe Auinger, Peter Androsch, Wolfgang „Fadi“ Dorninger und Gitti Vasicek haben sich allerhand einfallen lassen, Linz akustisch zu „erforschen“: Auch die Kunst liebt Phrasen. Tagsüber Fahrradgeklingel oder als Blickfang das witzige „Besenballett“. Am Abend gesellten sich dazu Kirchenglocken, Turmbläser, Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und Sirenen.

Noch „Sinfonie“ oder schon Kakofonie?

Klänge respektive Geräusche überzogen die Stadt, gemäß dem Diktum des Klangpioniers John Cage: Wenn ich zuhause Musik hören will, mache ich das Fenster auf. Leider ging vieles davon unter. Beim Lentos eine „Vermessung“ des akustischen Freiraums, Performancekünstler Didi Bruckmayr mit Stimmgewalt und Megafon. Radler kommen mit „heiterem“ Geklingel vorbei. Über die Donau hallen Glocken, Feuerwehr signalhornt, ist das noch „Sinfonie“ oder schon Kakofonie? Ruhe wäre jetzt schön.

Der Heimweg besänftigt. Milder Spätsommerwind streift über die Haut, da kann die virtuelle Welt nicht mithalten. Auf dem Hauptplatz aus den Schanigärten vielstimmig das Bedürfnis, sich auszutauschen. Geiler Linz-Sound, analog.

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Bis zu 50.000 Besucher zählten die Veranstalter (wie?), ebenso viele haben den Stream im Internet verfolgt. Experiment geglückt? Die Internet-Schiene sehr gut, in der Wirklichkeit gelingt der große Wurf noch nicht. Ein Anfang ist gemacht, die Idee eines anderen, womöglich bewussteren Hörens der Stadt wurde unter die Leute gebracht.


Standpunkt: Beinahe wolkenloser Himmel über Linz

Nicht aufgegangen ist am Samstag die groß angekündigte Klangwolke über Linz, die sich, breit wie einst der Smog, über die Stadt hätte legen sollen. Zu ebener Erd‘ war nur wenig wahrnehmbar, manches sorgte für Verwirrung, etwa die Folgetonhörner der Einsatzfahrzeuge, von denen man dann nicht wusste, ob sie helfend, rettend oder künstlerisch unterwegs waren. Viele Ideen hätten den Tag hörbar begleiten sollen, allein, man merkte von all dem kaum etwas. Nur privilegierte Stadtbewohner in höheren Lagen (Dachterrasse etc.) berichten davon, dass sich abends viele Klänge zum Konzert vereinten. Das hätten die Gestalter, die von einem Heer an Freiwilligen unterstützt wurden, vorher abchecken müssen. Da ist einiges an Geld (500.000 Euro) in den Wind geschossen worden und der Himmel den ganzen Tag fast wolkenlos geblieben.

Melanie Wagenhofer

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