Zwischen Kitschmusikerin und grantigem Racheengel

Kino: Chris Kraus' „15 Jahre“ mit Hannah Herzsprung und Albrecht Schuch ist zu viel von allem

So ein Gesicht von Hannah Herzsprung als Jenny von Loeben gibt es oft zu sehen. Hier gilt es Adele Neuhauser, die nur helfen will.
So ein Gesicht von Hannah Herzsprung als Jenny von Loeben gibt es oft zu sehen. Hier gilt es Adele Neuhauser, die nur helfen will. © Dor Film-West/Four Minutes Filmproduktion/Wild Bunch Germany

Sie soll den Menschen ein Segen sein — der Grantscherben Jenny von Loeben (so will es jedenfalls die christliche Wohngemeinschaft, in der sie Unterschlupf gefunden hat). Gut, nach 15 Jahren Gefängnis, und das noch dazu unschuldig, wäre wohl die Laune der meisten Menschen nicht die beste.

Was war geschehen vor 15 Jahren? Das erzählte Autor und Regisseur Chris Kraus 2007 in „Vier Minuten“: Die in ihrer Kindheit missbrauchte Jenny ist eine herausragende Pianisten. Weil sie den Mann an ihrer Seite schützen will, geht sie für ihn ins Gefängnis, führt ein selbstzerstörerisches Leben, bringt ihre Energie aber final in ein Klavierspiel der besonderen Art ein. So begann die Karriere der deutschen Schauspielerin Hannah Herzsprung (42), und der Film wurde mehrfach ausgezeichnet.

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Nun haben Kraus und Herzsprung den zweiten Teil „15 Jahre“in die Kinos gebracht und wer auf eine geladene und in fast allen Szenen fürchterlich böse schauende Jenny gewartet hat, der wird befriedigt.

Jenny findet durch eine christliche Vereinigung und Frau Markowski (Adele Neuhauser) einen Job als Reinigungskraft, als ein Löwe erschossen wird (Ja, Sie haben richtig gelesen …) bekommt Jenny aber erste Probleme. Mit ihren Mit-Christinnen (darunter Stefanie Reinsperger) versteht sie sich fast selbstredend auch nicht gut. Sie ist und bleibt eine Einzelkämpferin, bis sie auf einen alten Bekannten und jetzt Musikmanager trifft, der sie mit einem aus Syrien geflüchteten Pianisten zusammenbringt.

Die beiden treten bei einer Castingshow für Beeinträchtige im TV auf, schaffen es mit einem sagenhaft kitschigen Lied ins Finale — und das obwohl Jennys einstiger Lover, nicht verurteilter Mörder und jetziger Popstar mit dem Namen Gimmiemore (Albrecht Schuch) in der Jury sitzt. Trotz kitschtriefender Musik bleibt die Wut tief in Jenny am Brennen, der Ex muss büßen. Der ist junger Vater und hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, ist er doch todkrank. Ja, und dann gibt es noch ein Finale.

Achselzucken: Was hat das für ein Film werden sollen?

Was hat Chris Kraus da für einen Film machen wollen? Achselzucken scheint die einzige passende Antwort, denn „15 Jahre“ ist eine ziemlich absurde Mischung aus viel zu Vielem geworden. Da ist etwa der syrische Flüchtling, dem vom IS ein Arm abgehakt worden ist. Wir sehen in Rückblenden ikonische Aufnahmen der Grausamkeiten des IS. Und trotzdem ist Omar (Hassan Akkouch) eine unglaubliche Frohnatur, immer das Gute sehend — also der absolute Gegenpol zu Jenny. Zusammenfinden tun die beiden trotzdem. Gewidmet hat Kraus den Film dem realen „Pianisten aus den Trümmern“, dem Palästinenser Aeham Ahmad, der durch seine Auftritte in einem Flüchtlingslager bekannt wurde.

Emotional und dramatisch ist auch die Geschichte von Jennys Ex Gimmiemore. Aber mit all dem christlichen Nebel, der die ganze Geschichte umgibt: Will uns der Filmemacher hier irgendwie erzählen, dass es auch so etwas wie eine höhere Gewalt gibt, die für Gerechtigkeit sorgt? Man hofft ganz stark nicht.

Ha! Doch eine Satire! Und ein Musical …

Es bahnt sich schon etwas an, als Jenny bei zwei Witzfiguren zu Abend isst, die mit einem Sprüchlein auf den Apfelsaft aus der eigenen Pressung anstoßen. Ha! Hier ist doch nicht alles Ernst gemeint! Spätestens wenn Gimmiemore, auch in dieser Rolle ein fabelhaft spielender Schuch, als „Popstar“ auftaucht, ist alles klar. Das kann nur eine Satire, eine Gaudi sein. Was dazu ganz und gar nicht zu passen scheint, ist Hannah Herzsprungs meist überzeugendes, aber durch und durch realistisches Spiel. Als würde hier er ernsthaft die Geschichte einer gebrochenen Frau erzählt, die nach einer Identität sucht. Aber Kraus will hier auch Medienkritik und einen satirischen Blick auf grauslichen Voyeurismus. Und ein bisschen Musical ist der Film auch.

Am Ende will hier nichts zusammenpassen: Weder Genre, noch Handlungsstränge und das Overacting der Darstellerinnen und Darsteller an der einen oder anderen Stelle lässt schließlich auch noch jede Emotion wegen „zu viel“ untergehen. Oft ist eben eine Fortsetzung auch schlicht zu viel.

Von Mariella Moshammer

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