Kurz: Ungleiche Impfdosen-Verteilung in EU

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Die Impfdosen in der EU werden nach Ansicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterschiedlich verteilt.

Kurz vermutet Nebenabsprachen zwischen Pharma-Firmen und einzelnen Mitgliedsstaaten, wie er am Freitag in Wien sagte. Während Österreich bei der Verteilung der Dosen bisher keinen Schaden zu beklagen habe, würden Staaten wie Bulgarien oder Lettland stark benachteiligt. Die EU-Kommission und die Impfstoffhersteller sehen die Verantwortung bei den EU-Staaten selbst.

Als Ursache sieht der Kanzler Nebenverhandlungen im sogenannten Steering Board der EU. Dort habe eine Art „Basar“ geherrscht, wo zusätzliche Abmachungen zwischen Mitgliedsstaaten und Pharmaunternehmen getroffen worden sein sollen. Österreich ist in diesem Gremium mit Clemens Martin Auer, dem Sonderbeauftragten des österreichischen Gesundheitsministeriums, hochrangig vertreten. Auer ist der stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe. Er war zunächst für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Er selbst habe mit Auer nicht gesprochen, meinte Kurz auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz, allerdings Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). „Ich weiß nicht, wer die Verträge unterschrieben hat“, sowie warum in dem Board „anscheinend andere Vereinbarungen getroffen worden sind“, sagte Kurz und forderte Transparenz. „Es muss aufgeklärt werden, wie die Verträge im Steering Board aussehen“. Er ergänzte, dass es schwierig sei an Informationen heranzukommen, „da alle Mitglieder Geheimhaltungsvereinbarungen unterschrieben haben“.

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Die EU-Kommission räumte Abweichungen vom ursprünglich vereinbarten Bevölkerungsschlüssel ein. Die EU-Staaten könnten sich im Steering Board für mehr oder weniger Impfstoffe entscheiden. „In diesem Kontext ist ein neuer Verteilungsschlüssel möglich“, sagte ein EU-Kommissionssprecher in Brüssel. Die EU-Kommission halte an ihrem Ziel fest, dass bis Ende des Sommers 70 Prozent der Erwachsenen in der EU geimpft seien, so ein Sprecher der EU-Behörde weiter.


So könnten die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie von Lieferungen ein „Opt-out“ in Anspruch nehmen, sagte der Kommissionssprecher. Einige EU-Staaten hätten von dieser Option Gebrauch gemacht, hieß es weiter in Kommissionskreisen. Der Steuerungsausschuss mit Gesundheitsbeamten der Mitgliedstaaten sei wichtig bei der Umsetzung der Verträge. Entscheidungen in dem Board würden aber zwischen den EU-Staaten und der EU-Kommission gemeinsam vereinbart. Bei ihrem Gipfel im Jänner hatten die EU-Staats- und Regierungschef bekräftigt, dass Impfstoffe gleichzeitig und entsprechend dem jeweiligen Anteil an der Unionsbevölkerung verteilt werden sollten.

Die EU-weite Impfstoff-Verteilung ist Sache der EU, betonten auch der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) sowie der Österreichische Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) in einer Aussendung. Es gäbe keine Nebenabsprachen zwischen Herstellern und einzelnen Regierungen von EU-Mitgliedsstaaten.

Die EU habe mit den Herstellern von Covid-19-Impfstoffen Verträge abgeschlossen, sogenannte „Advanced Purchase Agreements“, kurz APA’s. „In diesen Verträgen sind die Gesamtmengen definiert, die die einzelnen Hersteller in die Europäische Union liefern. Wie diese Mengen dann innerhalb der EU verteilt werden, ist weder in diesen Verträgen geregelt noch liegt es in der Verantwortung der pharmazeutischen Unternehmen“, erläuterte Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des ÖVIH.

Auch Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog erklärte: „Die Hersteller liefern das, was in den Verträgen vereinbart wurde. Sie sind nicht in die Entscheidungsprozesse seitens der EU eingebunden, wann welches Land mit welcher Menge beliefert werden soll. Ebenso wenig sind sie dafür verantwortlich, ob die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten auch die Mengen abrufen, die ihnen auf Basis des Bevölkerungsschlüssels zustehen.“

Unterstützung für den Kanzler äußerten Bulgarien und Slowenien. „Mit Sebastian Kurz haben wir einen gemeinsamen Aufruf an die EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission für anhaltende Solidarität, um einen gleichberechtigten Zugang zu den knappen Ressourcen zu gewährleisten, die der Covid-19-Impfstoff derzeit darstellt“, betonte der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow auf Twitter. Der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa ergänzte: „Alle 450 Millionen Europäer müssen die Chance erhalten, bis zum Sommer zur Normalität zurückzukehren. Ungleichbehandlung ist völlig inakzeptabel.“

Kurz forderte Transparenz über die zusätzlichen Verträge von Staaten mit den Pharma-Firmen, die nicht öffentlich seien. Laut Kurz würden einzelne Länder wie Bulgarien, Lettland oder Kroatien, wenn sich der Trend fortsetze, erst im späten Sommer oder Herbst mit der Durchimpfung fertig sein. Andere könnten dagegen schon im Mai durch sein. Als Beispiel nannte Kurz, dass Malta bezogen auf die Bevölkerungszahl bis Ende Juni drei Mal so viele Dosen erhalten wird wie Bulgarien. Die Niederlande bekämen bis dahin das Doppelte von Kroatien.

„Die Hauptfrage muss sein, wie es in den nächsten Monaten weitergeht. Wenn sich der Trend so fortsetzt, kommt es zu einer massiven Ungleichheit in der EU“, sagt Kurz. Die tatsächlichen Lieferungen „widersprechen dem Geist der Europäischen Union“ und auch der Vereinbarung der europäischen Staats- und Regierungschefs vom 21. Jänner. Er habe sich bisher mit seien Amtskollegen in Belgien, Griechenland, Polen, Slowenien und Tschechien ausgetauscht und werde weitere Gespräche noch am heutigen Freitag führen, sagte der Kanzler. Viele Regierungschefs seien selbst von den ungleichen Lieferungen überrascht gewesen. Die ungleiche und vom vereinbarten Ziel abweichende Verteilung sei nicht gut für Europa. „Ich hoffe, dass hier eine Lösung gefunden werden kann“, sagte der Bundeskanzler.

Das Gesundheitsministerium unterstrich, dass das „Ziel in dieser entscheidenden Phase eine gerechte gleichberechtigte Aufteilung der Impfstoffe innerhalb der EU für die Sicherstellung einer gleichzeitigen Impftätigkeit sein muss“. Dies sei das gemeinsame Bemühen des Gesundheitsministeriums und des Bundeskanzleramtes.

Bei den Oppositionsparteien sorgten die Vorwürfe von Kurz für heftige Kritik. Der Kanzler versuche „auf unwürdige Art und Weise, Sündenböcke für sein Versagen zu finden“, meinte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kritisierte, dass Österreich „womöglich“ selbst Impfstoff ausgeschlagen habe.

Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte auf Twitter: „Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der ‚Impfstoff Benachteiligung Österreichs‘ Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des ‚Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses‘ hinaus?“.

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