Der Geschmack von Käsekrainer: Eine Krebserfahrung

Ich schreibe für die Kultur im VOLKSBLATT. Rund um Weihnachten des vergangenen Jahres wurde bei mir Krebs diagnostiziert. Aber hallo! Oder präziser formuliert: Fuck.

Ich mag das K-Wort nicht, zu viele Bilder sind damit verbunden. Als Knabe saß ich mit Mutter und Schwester vor dem Fernseher und heulte zum K-Tod der entzückenden Ali MacGraw in der „Love Story“. Vorgefertigte Bilder im Kino, im Fernsehen, auf Broschüren, auf Werbeplakaten. Bilder von fragilen Gestalten, Kahlköpfe, Hohlwangen, große Augen. Der Einsatz optischer Mittel gerechtfertigt, wenn damit um Hilfe für krebskranke Kinder oder für Mittel zur Krebsforschung geworben wird.

Was haben diese Bilder mit mir zu tun? Okay, KREBS. An Krebs erkrankte Kinder empfinde auch ich als Skandal. Der Skandal verursacht/zugelassen vom Leben, vom Zufall, von Gott oder Göttin – je nach Denkschule.

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Ist meine Erkrankung ein Skandal? Ich empfinde das überhaupt nicht so. In den letzten Monaten betrieb ich Innenschau, notgedrungen. Ich lerne eine neue Bedrohung kennen. Ich komme nicht daran vorbei, ihre Auswirkungen, ihre (noch geringen) Verwüstungen zu beobachten. Spuren am Körper, Spuren in meinem Selbst. Ich beobachte mich selbst. Das Funktionieren oder Nichtfunktionieren im Alltag. Die Erschöpfung, wie viel davon ist bloß Einbildung? Ich bin 50-plus Jahre alt, ich war auch schon vor der Erkrankung öfter müde.

Welche Müdigkeit rührt von der Krankheit her, welche von der Therapie? Ich beobachte Phasen oder auch nur Aufflackern von Vitalität. Die Innenschau: Die Resultate sind schwer in Worte zu fassen. Die Angst vor dem Tod. Packt sie mich? Erstaunlich selten. Aber ich sollte mein Maul nicht zu weit aufreißen: Im nächsten Moment fürchte ich mich höllisch.

Ich hatte schon zur Hoch-Zeit von Corona (ich blieb zum Glück vom Virus verschont) über meinen konkreten Tod nachgedacht. Krankenwagen vor den Haustüren, der Tod war nähergerückt, betraf Menschen in der weiteren Nachbarschaft. Mein Tod.

Eines Morgens wachte ich auf und stellte mir die Frage: Was, wenn ich einfach weitergeschlafen hätte, nicht mehr auf gewacht wäre? Ein Ent-Schlafen. Ein Licht, das erlöscht. Kein Schmerz, keine Angst, keine Trauer, nur endloser, traumloser Schlaf. Beruhigend. Schmerz und Trauer nur auf Seiten der Lebenden. Der Tote hat damit nichts mehr zu schaffen. Ich bin nicht mehr.

Zeitlebens war und bin ich Egoist, dennoch läuft parallel die Erkenntnis: Ich bin nicht so wichtig. Das Universum Ich: ein aufgeblasenes Nichts. Ich atme jetzt. Das ist alles. Das ist wirklich alles. Das Katholische, das mich prägte, impfte mir die tiefe Angst vor der dunklen Grube, vor dem Tod ein. Unnötig! Angst-Propaganda, Angst-Lust, so empfinde ich das jetzt immer mehr.

Tabuisierung ist schlecht

Ich protestiere gegen die Tabuisierung der Krankheit Krebs. Ich erzähle deshalb meine Geschichte (Fäden, Knoten meiner Geschichte). Nicht, weil ich außergewöhnlich wäre. Keine Ahnung auch, wie sehr repräsentativ ich bin. Aber das Schweigen über die Krankheit schafft Angst. Erzeugt Bilder, Projektionen, die ich bekämpfen will.

Was ich rund drei Jahre lang (vier? Egal) für eine im Spätwinter wiederkehrende Entzündung des Halses gehalten hatte, wurde um Weihnachten 2022 als Tumor im Hals diagnostiziert. Eine Diagnose, die sich über mehrere Stationen verdichtete, bis die freundliche Ärztin des Linzer Krankenhauses Barmherzige Schwestern konstatierte (und dabei ebenfalls das hauptwörtliche K-Wort umschiffte): „Des schaut krebsig aus.“
Krebsig! Man tastet sich zur Erkenntnis vor, dass das einen selbst betrifft. Bis die Erkenntnis über Tage, Wochen ins eigene Leben wächst.

Jede Erkrankung ist allgemein und speziell zugleich. In meinem Fall einigte sich ein Ärztekollektiv darauf, dass eine siebenwöchige Bestrahlung plus eine Chemotherapie pro Woche das Beste sei. Keine Operation. Die Bestrahlung ambulant, Montag bis Freitag in der Früh, dauert zehn bis 15 Minuten. Zunächst harmlos, nur eine eng anliegende Maske lästig, zum Schutz vor dem Strahlen-Bombardement. Den Atem beruhigen, ich gewöhnte mich daran.

Bombardiert wird der Hals innen, zwei Wochen vor Therapieende waren die Verwundungen an der Hautoberfläche sichtbar. Nässende Wunden, mit besänftigenden Gels beträufelt und mit Verband umwickelt. Auch ich als handwerklich ungeschickter Mensch lernte, zuhause selbst einen Verband anzulegen. Nicht zu eng, nicht zu locker, ich danke meinen geduldigen Lehrmeisterinnen. Zwei Wochen nach Therapieende Anfang April trockneten die Wunden aus, bleiche Flecken auf der Haut bleiben als Erinnerung.

Die Chemo! Das Schreckenswort. Ich lernte vermutlich eine sanfte Variante kennen. Geringe Dosis, nur unterstützend zur Strahlentherapie. Jeweils zwei, drei Tage nach der Chemo Müdigkeit, dauernd lauernde Übelkeit, erträglich gemacht durch gute Medikamente. Ich bin Chemo-Laie.

Vieles ist lästig, aber ich hatte bislang noch keine gröberen Schmerzen. Das Schmerz-Management der modernen Medizin erlebte ich als fabelhaft. Du supernettes Morphium-Pflaster! Danke, ihr lieben Tabletten und süßen Säftchen. Die Angst vor Schmerzen stets ein Viel-, ein Hundertfaches der tatsächlichen Schmerzen.

Einziger gröberer Eingriff war bisher das Einsetzen einer Magensonde. Der Verlauf der Krankheit ungewiss, Schlucken könnte ein entscheidendes Problem werden. Wurde es bisher bei mir nicht. Über die Magensonde könnte ich künstliche Ernährung zu mir nehmen. Das tat ich auch mehrfach. Manchmal auch einfach deshalb, weil ich zu faul zum Kochen war. Der Vorgang simpel, wurde bald Routine. Den Schlauch anstöppseln, und schon rinnt das Zeug in den Magen. Ein Feinschmecker war ich ohnehin nie.

Du gewöhnst dich an die Krankheit. Du wirst auch immer wieder erschrecken. Oder die Müdigkeit verfluchen. Was habe ich erlebt? Ich kokettiere gern mit dieser Anekdote: Ich träume gerne von hübschen Frauen, das blieb seit meiner Jugend gleich. Infolge der Therapie litt mein Geschmacksempfinden, schließlich schmeckte alles gleich öd. Als würdest du Mehl fressen. Das veränderte auch meine Wunschbilder, meine Träume. Statt Frauen auf einmal saftige Käsekrainer oder supercremige Torten, deren Geschmack ich (im Traum) auskostete. – Der Geschmack kam nach ein paar Wochen wieder.

Ich schrieb diesen Bericht im Sommer, vor einem womöglich entscheidenden Termin. Eine Untersuchung sollte Gewissheit (?) bringen, ob die bescheuert wuchernden Zellen in mir besiegt sind. Der Termin machte mich nervös. Wahrscheinlich auch Angst. Eine knappe Woche nach der Untersuchung folgte das Arztgespräch.

Der Münzwurf

Ich gehe, ich taumle aus dem Krankenhaus. Einen „Münzwurf“ hatte ich pseudocool die Untersuchung genannt: Leben oder absehbar baldiger Tod (oder irgendetwas Diffuses dazwischen?). Das Gespräch mit der wunderbar freundlichen Ärztin („Wie geht´s Ihnen?“) lehrte mich ein neues Wort: „vollständige Remission“. Ein Zauberwort! Das Wort „geheilt“ meidet die Medizin in Fällen wie meinem, aber jedenfalls waren keine K-Zellen mehr feststellbar. Ich informierte nachher Freunde, alte Bekannte. Eine Welle der Freude schwappte mir entgegen. Ich bin platt, ich bin glücklich. Werde ich jetzt endlich lernen, das Leben zu lieben? Immerhin hatte ich gelernt, „Danke“ zu sagen.

Danke den Menschen der „Barmherzigen Schwestern“! Noch geiler klingt das englisch übersetzt: „Sisters of Mercy“. Der gute alte Rock´n´Roll. DER überlebt mich hoffentlich.

Von Christian Pichler

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