Blutige, ungewollte Zeitenwende

Seit gut einem Jahr wird in der Ukraine um jeden Zentimeter Boden gekämpft, Hunderttausende Menschen sind seither auf der Flucht. Der russische Überfall auf das Nachbarland am Morgen des 24. Februar hatte auch im Rest der Welt dramatische Konsequenzen, die Europäische Union und die USA beschlossen weitreichende Sanktionen gegen russische Firmen und Privatpersonen. Die umfassende Aufrüstung der NATO-Partner sowie die Abkehr von russischen Energieimporten begleiten die Zeitenwende. Eine Chronologie der Ereignisse:

Welche Ironie: Im abendlichen Gegenlicht erhält das gepanzerte Grauen fast eine idyllische Note. © APA/AFP/Barreto

Bereits im Frühjahr 2021 zieht Russland massiv Truppen nahe der Grenze zur Ukraine zusammen. Während Moskau von Manövern auf dem eigenen Territorium spricht, befürchtet die Ukraine einen Einmarsch. Die Warnungen vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine, der auch die Sicherheit in Europa gefährden könnte, häufen sich.

Im Laufe des Krieges versorgen die USA und europäische Länder die Ukraine mit immer mehr und immer schwereren Waffen. Durch Sanktionen versuchen sie, Russlands Rüstungsindustrie zu behindern und über die Beschränkung von Gas- und Ölimporten den Geldhahn zuzudrehen.

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24. FEBRUAR 2022

Russlands Präsident Wladimir Putin befiehlt den Einmarsch in die Ukraine. Er spricht von einem „militärischen Sondereinsatz“ mit dem Ziel, das Nachbarland von „Nazis“ zu befreien. Die Ost-Erweiterung der NATO müsse unterbunden werden.

EINNAHME KIEWS SCHEITERT

In langen Kolonnen rücken russische Panzer auf Kiew vor und erreichen den nördlichen Stadtrand. Die ukrainischen Soldaten leisten erbitterten Widerstand, der Vormarsch der russischen Truppen bleibt stecken.

GRAUEN VON BUTSCHA

Nach dem Abzug der russischen Truppen vor Kiew werden Massengräber entdeckt, u. a. in Butscha. Dort werden rund 450 Leichen gefunden, die meisten weisen Spuren von Folter oder gewaltsamem Tod auf. Fast alle waren Zivilisten. Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen werden aufgenommen, Russland bestreitet eine Beteiligung an gezielten Massakern.

NEUE RUSSEN-TAKTIK

Im März definiert Russland seine Kriegsziele neu. Moskau konzentrierte sich nun darauf, die abtrünnige Region im Donbass im Osten der Ukraine vollständig zu befreien. Dort kämpfen seit 2014 pro-russische Separatisten gegen die ukrainische Armee. Am 2. März erklärt Russland die völlige Kontrolle über die Stadt Cherson, am 15. März über die gleichnamige Region.

14. APRIL: „MOSKWA“ GETROFFEN

Das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, die „Moskwa“, wird von ukrainischen Raketen getroffen. Für Russland eine Schmach, die Regierung spricht von einem Unfall. Experten schätzen, dass die Hälfte der 450-Mann-Besatzung getötet wurde.

BELAGERUNG VON MARIUPOL

Die südukrainische Hafenstadt Mariupol ist ein wichtiges Ziel der russischen Streitkräfte. Hilfskonvois versuchen, die Zivilbevölkerung aus der Stadt zu bringen. Das Rote Kreuz beschreibt die drei Monate dauernde Belagerung Mariupols als Hölle. Mitte Mai ergeben sich die letzten Kämpfer des Asow-Regimentes, die Ukraine überlässt die zerstörte Hafenstadt den russischen Truppen.

UKRAINISCHE GEGENOFFENSIVE

Im August beginnt die Ukraine eine Gegenoffensive im Süden in der Region Cherson, nahe der Krim. Dort liegt der Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Anfang September erobern die ukrainischen Soldaten in der Region Charkiw den einzigen Bahnknotenpunkt zurück, der die russische Frontlinie im Nordosten der Ukraine versorgt.

TEILMOBILMACHUNG

Russland reagiert, Putin erklärt am 21. September die Teilmobilmachung und droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. 300.000 Reservisten sollen eingezogen werden, viele setzen sich ins Ausland ab.

ANNEXION VON VIER REGIONEN

Ende September lässt Moskau in den Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson Referenden abhalten, am 30. September erfolgt die Annexion durch Russland. International wird diese ebenso wenig anerkannt, wie jene der Krim.

EXPLOSION AUF DER KRIM-BRÜCKE

Auf der Brücke zur Krim, welche die Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet, kommt es am 8. Oktober zu einer Explosion. Das Prestigeprojekt, das Putin selbst eingeweiht hatte, ist großteils zerstört. Zwei Tage später starten russische Luftangriffe auf ukrainische Städte, darunter Kiew und Lwiw (Lemberg).

ANGRIFFE AUF INFRASTRUKTUR

Russland greift wegen des bevorstehenden Winters verstärkt die kritische Infrastruktur der Ukraine an. Immer wieder fällt der Strom aus, auch die Wasserversorgung und die Heizung werden unterbrochen. Wohnhäuser werden bombardiert, obwohl Russland stets betont, es würden keine zivilen Ziele ins Visier genommen.

EINNAHME VON SOLEDAR

Der Chef der russischen Söldner-Truppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, reklamiert am 10. Jänner die Einnahme der Kleinstadt Soledar im Osten. Die Kämpfe halten an. Drei Tage später erklärt das Verteidigungsministerium, Soledar sei eingenommen, eine Etappe auf dem Vormarsch auf das strategisch wichtige Bachmut.

DIE LEOPARDEN KOMMEN

Nach langem Zögern sagt Deutschland die Lieferung von 14 Kampfpanzern vom Typ Leopard-2-A6 aus den Beständen der Bundeswehr zu. Die US-Regierung will 31 Stück M1-Abrams-Panzer liefern, auch andere Länder sagen die Lieferung von Leopard-Panzern aus deutscher Herstellung an die Ukraine zu.

AUFTRITT IN BRÜSSEL

Am 9. Februar ist Ukraine-Präsident Selenskyj beim EU-Gipfel zu Gast. Im Gepäck hat er ein brisante Wunschliste. Sein Land brauche Munition, moderne Panzer, Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge, erklärte Selenskyj: „Für unsere Verteidigungsfähigkeit ist das von entscheidender Bedeutung. Wir brauchen die Waffen, um zu überleben.“

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