Das Heilige und das Nackte in der Kunst

Wer kennt sie nicht, die berühmten Gemälde und Meisterwerke der Bildhauerei, die alle eines gemeinsam haben: Nackte Frauen und Männer, mehr oder minder schamhaft mit Feigenblättern, Schleiern oder sonstigen zufälligen Accessoires versehen. Oder nicht einmal das. Ist das alles Kunst? Oder doch verkaufsfördernder Voyeurismus, weil selbst die bedeutendsten Künstler die Wünsche ihrer Auftraggeber erfüllen mussten?

Fragen von Kunst und Nacktheit geht der Vorarlberger Theologe und Kunsthistoriker Markus Hofer in einem neuen Buch mit dem Titel „Das Heilige und das Nackte“ (Tyrolia Verlag) nach. Und er kommt zu dem Resümee: „Je mehr Moral beim Sex, desto mehr Erotik in der Kunst“.

Dass das Buch den Untertitel „Eine Kulturgeschichte“ trägt, hat seinen guten Grund. Denn in den Kunstwerken mit Nacktheit in den verschiedensten Variationen spiegelt sich immer die Einstellung zu Sexualität und Erotik in der jeweiligen kulturellen Epoche wider.

Da ist die religiöse Kunst keine Ausnahme, „je rigider die Sexualmoral einer Gesellschaft, umso nackter werden die Heiligen in der katholischen Bilderwelt, umso mehr blitzt der Busen der büßenden Maria Magdalena unter ihren langen Haaren hervor“, schreibt Hofer, „und die biblischen Stoffe geben dafür reichlich Vorwand“.

Der Sündenfall

Fast logischerweise beginnt dies bei den Darstellungen von Adam und Eva im Paradies, wo das Nacktsein sozusagen selbstverständlich ist und erst mit dem Sündenfall die einschlägige Erkenntnis und die Probleme beginnen. Ein weites Feld der Darstellung für die Künstler! Wobei schon früh das einsetzt, was Kulturhistoriker Hofer als „das Spiel von Verhüllung und Enthüllung“ nennt. Dieses erst mache die Erotik aus, „banale Nacktheit“ hingegen verliere bald ihren Reiz. Das wussten die alten Meister genauso wie heute die Regisseure von Filmen und Videos.

Stichwort Bibel: „Generell scheint der biblische Gott, vergleicht man es mit der orientalischen Umwelt, sexuell äußerst desinteressiert zu sein. Im Neuen Testament wird Nacktheit überhaupt nicht mehr thematisiert“. Das sollte sich mit dem Christentum und den Kirchenvätern ändern, für die die Sexualität lediglich eine Notwendigkeit zur Zeugung von Kindern war, die aber nicht mit – sündhafter! – Lust verbunden sein durfte. Eine Sichtweise, die in der katholischen Kirche noch lange nachwirken sollte.

Für die kunsthistorische Seite des Themas Nacktheit ist das Mittelalter eine interessante Epoche mit einem unerwarteten Aspekt. Bis ins 16. Jahrhundert nämlich war Nacktheit etwas weithin Normales, auch im mehr oder minder öffentlichen Raum. Man schlief nackt – im Gasthaus auch Fremde beiderlei Geschlechts gemeinsam in einem Zimmer – und man badete öffentlich nackt und die entsprechenden Häuser waren Orte der geselligen Zusammenkunft oder auch Bordelle.

Die Folge, so Hofer: „Die Kunst des Mittelalters zeigt nicht sehr viel Nacktheit und zwar, weil es im Alltag genug davon gab, und nicht, weil es verboten gewesen wäre“. Auch in der religiösen Kunst findet man diese Unbefangenheit: Die Gottesmutter beim Stillen des Jesusknaben war ein beliebtes Motiv, das nicht ohne eine unbekleidete Brust auskam.

Nicht mehr nackt

Mit dem 16. Jahrhundert freilich änderten sich die Dinge grundlegend. „Mit der zunehmenden Verdrängung der Nacktheit im Alltag suchte sie sich einen freien Raum in der Kunst“ (Hofer). Letztere wurde immer nackter, Nacktheit verlor sozusagen ihre „Unschuld“ und wurde zum großen Thema für die Kunst. Antike Mythen mit ihren Göttinnen und Nymphen feierten fröhliche – erotische – Urständ! Wobei das vom Humanismus propagierte Ideal der „Schönheit“ nicht selten zum Vorwand für nackte Tatsachen wurde.
Typisch für diese Epoche war aber auch, dass die erotische Kunst nicht nur aufblühte, sondern durchwegs in den privaten Bereich wanderte, also in die Kabinette der Reichen und der Oberschicht. Heute gehören diese seinerzeit „versteckten“ Gemälde zu den bedeutendsten Werken der Kunstgeschichte.

Und es kam, wie es kommen musste: Auch in der christlichen Kunst hielten die unbekleideten Körper nachhaltig Einzug. Das wohl bedeutendste Beispiel ist die Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, die Michelangelo zwischen 1508 und 1512 schuf. Die Nackten sollten als Bild für den Menschen als Geschöpf Gottes verstanden werden. Kulturhistoriker Hofer: „Mitten im Zentrum der katholischen Kirche entsteht damit eine völlig neuartige Symbiose des Nackten und des Heiligen, die keinen Widerspruch mehr kennt“.

„Fleisch“

In der Zeit des Barock blühte die Darstellung der antiken Götter und Helden, ein weites Feld für jede Menge Legitimation von Nacktheit. Die Maler Rembrandt und Rubens bescherten uns Meisterwerke von, wie es Hofer ausdrückt, „höchst sinnlicher Fleischlichkeit“. Wobei sich das Heilige und das Nackte „nicht in schlüpfrigen Vordergründigkeiten“ erschöpft. Zum Unterschied etwa des Rokoko und des 18. Jahrhunderts.

Hier begann die Frivolität zu dominieren, die Themen wurden immer weniger wichtig im Vergleich zur Darstellung des Nackten. Der Kunsthistoriker sieht hier den Beginn dessen, was später Pornografie genannt wird. Im 19. Jahrhundert setzte sich diese Entwicklung fort, genährt durch eine zunehmende Prüderie. „Manche Bilder nackter Göttinnen im 19. Jahrhundert brauchten lange Bildtitel, da die Leute nicht mehr verstanden, was sie darstellten“ (Hofer)

Freilich sollte man auch nicht außer Acht lassen: Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte in der Malerei eine Entwicklung ein, bei der ebenfalls das Nackte in den Mittelpunkt rückte, zum Beispiel mit dem beliebten Motiv der „Badenden“, aber im Sinn einer künstlerischen Auseinandersetzung und in dem Bemühen, neue Wege in der Malerei zu beschreiten, die ins 20. Jahrhundert wiesen. Sich aber „nur noch selten ausdrücklich dem Heiligen zuwandten“ (Hofer).

Von Werner Rohrhofer

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