Die berühmteste Reliquie

Jahrhunderte schon dauern die Kontroversen um die berühmteste aller Reliquien, „Sacra Sindone“, das Grabtuch von Turin. Eine der ersten Fragen betrifft die Echtheit solcher Heiligtümer. Sind sie nach wissenschaftlichen Kriterien authentisch, und wenn nicht, was soll dann ihre Präsentation? Die bis heute anhaltende intensive Debatte unter Theologen, Historikern, Naturwissenschaftlern und Forschern liefert plausible Argumente für die Authentizität genauso wie für die Möglichkeit einer Fälschung.

Für die Gläubigen zeigt das Tuch die materialisierte Grundbotschaft des Evangeliums, ein nicht von Menschenhand gemachtes Abbild vom Leib des Herrn als Zeugnis seiner Auferstehung. Erfüllt sehen sie die Prophezeiungen des Alten Testaments und die Botschaften der Evangelien.

Ist es wirklich Jesus auf dem Turiner Grabtuch?

„Wer ist der Mann auf dem Tuch? — Eine Spurensuche“ heißt die Wanderausstellung, die seit 2013 in Europa gezeigt wird und bisher weit über 120.000 Besucher im deutschsprachigen Raum verzeichnet. Von 28. April bis 14. Juni gastiert die Ausstellung in Linz in der Krypta der Karmelitenkirche an der Landstraße. Besucher können mit der angebeteten und angezweifelten Reliquie gewissermaßen auf Tuchfühlung gehen.

Mittelpunkt dieser vom Souveränen Malteser-Ritter-Orden konzipierten Ausstellung ist das detailgetreu reproduzierte Grabtuch in Originalgröße und eine elektronisch generierte Figur, die ebenfalls in Originalgröße dem Abdruck auf dem Tuch entspricht. Die weiteren Exponate, unter anderem eine Dornenhaube und Nägel, die zur damaligen Zeit bei einer Kreuzigung verwendet wurden, bieten Anregung zu Diskussion und Meditation.

Wissenschaftliches und Historisches

25 Stelen und Bildtafeln erläutern wissenschaftliche Ergebnisse, informieren über historische Hintergründe und den aktuellen Stand der Forschung. Gleichwertig öffnen sie theologische Sichtweisen und biblische Grundlagen als spirituellen Zugang.

Das Original dieses Kirchenschatzes der besonderen Art wird wohltemperiert aufbewahrt, in einem dick gepanzerten Spezialschrein gefüllt mit einem schützenden Gasgemisch. Nur selten dürfen Erwählte einen Blick drauf werfen — zuletzt, live im Fernsehen übertragen, der Turiner Erzbischof am Karsamstag 2020 anlässlich der Covid-Pandemie. Die nächste öffentliche Ausstellung ist für das Heilige Jahr 2025 vorgesehen.

Nicht nur der katholische Teil der Welt hielt 1898 den Atem an, als nach einer fototechnischen Belichtung des Fotografen Secondo Pia ein Antlitz auf dem Tuch sichtbar wurde. Dies löste im 20. Jahrhundert einen wahren Forschungsboom aus. Keine Methode schien zu teuer, kein Aufwand zu hoch. Ernüchterung folgte in den 60er Jahren, als drei voneinander unabhängige Forschungsinstitute das Tuch ins Mittelalter datierten. Doch liegt es im Wesen der Wissenschaften, dass auch diese Ergebnisse durch neue Theorien und Forschungen widerlegbar wurden. Unter dem Dach der Sindonologie (Grabtuchforschung) vereinigen sich nach wie vor Historiker, Theologen, Naturwissenschaftler, Mediziner, Forensiker und Archäologen bis zu Mathematikern, die auf Basis von Indizien die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gewebe NICHT aus Jesu Zeit stammt, auf 1: etliche Millionen schätzen. Medien, Kirche und deren Gegner halten in wissenschaftlichen und populären Publikationen die Brisanz am Köcheln.

Unbestritten: Zum ersten Mal schriftlich erwähnt wird das Tuch 1353 in Frankreich. Seither musste es drei Brände überstehen. Die „Sacra Sindone“ ist ein 4,42 Meter langes und 1,13 Meter breites Stück Leinen, gewebt im Fischgrätmuster. Es weist Blutspuren auf und dokumentiert detailreich die zu Beginn unserer Zeitrechnung übliche Folterpraxis anhand eines Mannes, etwa 181 cm groß, ca. 80 kg schwer, Blutgruppe AB, der gegeißelt und gekreuzigt wurde. Blütenpollen auf dem Tuch stammen von Pflanzen, die nur um Jerusalem gediehen. Zur Zeit Jesu produzierte man damit Salben zum Einbalsamieren von Toten.

Umstritten auch innerhalb der Kirche

Unerklärt bleibt, wie und mit welcher Technik der faszinierende, konturlose Körperabdruck, als Vorder- und Rückenansicht des nackten männlichen Leichnams, auf das Tuch kam. Die Authentizität ist trotz gewaltigem wissenschaftlichen Aufwand weder belegt noch widerlegt. Selbst die katholische Kirche anerkennt das Tuch nicht als Reliquie, sondern kategorisiert es als Ikone, als Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten, somit ein sichtbarer Kontakt zum Auferstandenen.

Schon im Mittelalter waren sich die kirchlichen Autoritäten über die Echtheit des Tuchs uneins. Im 14. Jh. beschwerte sich ein Bischof bei Papst Clemens VII., dass man „fälschlich und betrügerisch, in verzehrender Habgier und nicht aus dem Motiv der Hingabe, sondern nur aus Gewinnabsicht ein listig gemaltes bestimmtes Tuch angeschafft” habe. Ein paar Jahrzehnte später attestierte Papst Sixtus IV. dem Tuch, dass es „gefärbt mit dem Blut Jesu“ sei, und Papst Gregor XIII. erteilte 1582 all jenen einen vollkommenen Ablass, die vor dem Grabtuch andächtig zu Gott beteten.

Handelt es sich um ein Jahrhunderte überdauerndes Fake der katholischen Kirche oder zeigt es den Leib des menschgewordenen Sohn Gottes?

Unausweichlich gerät auch heute noch jeder, der vor dem geheimnisvollen Tuch steht, in die Debatten um dieses Für und Wider.

Es obliegt dem Betrachter, zu sondieren, was ihm das Bild mitteilt. Ob wissenschaftlich betrachtetes Phänomen, ob Haupt voll Blut und Wunden als Abbild des christlichen Gottes – beides gehört unlöslich zusammen.

Die feierliche Eröffnung der Ausstellung findet am 28. April um 17.30 Uhr mit einem Eröffnungsgottesdienst in der Karmelitenkirche Linz mit Diözesanbischof Manfred Scheuer statt. Ausstellungsdauer in der Krypta: 28. April bis 14. Juni 2023; Öffnungszeiten: Montag bis Samstag von 10 bis 12 Uhr und 13 bis 18 Uhr; Sonderöffnungszeiten: 2. Juni 2023 „Lange Nacht der Kirchen“ von 19 bis 24 Uhr Weitere Infos: www.turinergrabtuch.at

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