Eferding: Auf der Suche nach der vertrackten Identität

„Identität“. Ein Begriff, so schwammig wie auch sonst so vieles im Bereich menschlicher Existenz: Wir sind das undefinierte Tier. Das neue Kulturfestival communale, noch bis 15. November in Eferding, hat „Das Wir im Ich“ zum Thema. Bin ich Individuum, wie viel „wir“ steckt in mir? Ein Rundgang und eine Spurensuche mit Momenten der Selbstreflexion.

Eine Stimme aus Pupping: „Den Fußballklub Eferding hat es immer ein wenig geärgert, dass sie die Gurkerl-Kicker sind. Mir hingegen taugt die Gemüseidentität, ich bin ja Gemüsebauer.“

Ein Landstrich, mitgeprägt von der Firma Efko. Man leidet mit den Eferdinger Fußballern, zumal der Begriff auch demütigendes Austricksen – den Ball zwischen die Beine geschoben – bezeichnet.

Petra Hansche und Manuel Heinl sind noch bis Oktober in Eferding und Umgebung als „Kulturbotschafter“ unterwegs und interviewen Menschen. Die Resultate sollen in Buchform zugänglich sein, akustische Spuren finden sich jetzt schon in Hörstationen des Festivals communale. So sinniert eine Frauenstimme über das Eferdinger Land: „Für mich ist es immer noch das ‚Landl‘ … es ist für mich weich, es ist fein.“

Erdäpfel und Kartoffeln

Die communale ist ein neues Veranstaltungsformat, heuer mit Zentrum Eferding, seit 2. Juli, noch bis 15. November. Ähnlich dem etablierten Festival der Regionen verbinden sich Zeitgenössisches und Traditionelles. In ökonomisch globalisierter Welt — die emotionale Akzeptanz hinkt hinterher — wurde gleich eine brennheiße Kartoffel zum Thema gemacht: Identität oder „Das Wir im Ich“. Kartoffel – oder sagt man jetzt doch eher „Erdapfel“? Solche Kleinigkeiten können bereits heiße Debatten entfachen. Sprachliche „Identität“ diesfalls. (Eine Oma des Autors, mühlviertlerisch geprägt, sagte justament „Paradeiser“. Die Mama manchmal auch noch. Der Linzer Bub kannte nur noch „Tomaten“. Paradeiser waren uncool! – Coolness ist eine Tochter der Zeit. Ebenso Sprache.)

Ein Rundgang durch die communale. Besuch in der Spitalskirche Eferding, zufällig am letzten Tag der Ausstellung „Das fruchtbare Land“. Entschwundene Ausstellung, sehr gut, alles fließt, vermutlich auch Identitäten. In der Ausstellung waren auch Werke der Linzer/Aschbacher Künstlerin Birgit Koblinger ausgestellt. (Im Internet entschwindet nichts, hier wird auf Teufel-komm-raus archiviert. Im Falle Koblingers von Vorteil, die Künstlerin im Netz: birgitkoblinger.at.)

Erinnerung & Identität

Von Birgit Koblinger war in der Spitalskirche ein wunderbar unscheinbares Werk zu sehen. Ein Garn, eine Nussschale, eine Brombeere als Guss aus Glas. Erinnerungsstücke an die damals an Demenz erkrankte Großmutter, der die Künstlerin erst kurz vor ihrem Tod nahegekommen war. Nach dem Tod der Großmutter behielt Koblinger drei Dinge aus deren Haus. Koblinger schreibt: „Wie kann ich etwas festhalten, damit etwas bleibt? Was passiert mit den eingeforenen Brombeeren im Tiefkühler, aus dem Garten, von wer weiß welcher Ernte?“

Garn, Beeren, Nüsse: Wohl kaum die Identität der Großmutter. Aber Identität im Kopf und im Herzen der Künstlerin. Diese communale regt vielfach zum Nachdenken an. Über sich selbst auch. (Damit wäre übrigens schon eine der Hauptaufgaben von – sinnvoller – Kunst umschrieben.) Wer schauen will, bekommt auf der communale einiges zu sehen.

Hutmacher Fadinger

Zentraler Ort ist das Schloss Starhemberg, sehr informativ und gebündelt eine Ausstellung zu den Bauernaufständen im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648). Der freundliche Historiker des Landes OÖ. macht auf mögliche Perspektiven aufmerksam. So ging etwa Stefan Fadinger als Führer der Bauernaufstände in die Geschichte ein. Aber vorher war er Hutmacher. Ein (hoffentlich) gutes Leben, (hoffentlich) freundlich zu den Kunden. Was bewegt so einen Mann, sein Leben für ein ideelles Ziel einzusetzen? Was war, die Pointe, die Identität des Stefan Fadinger? War er fleißiger Unternehmer? Ein Gerechtigkeitsfanatiker? Lässt sich Identität von einem auf den anderen Tag wechseln? Oder grummelt da schon vorher etwas in einem?

Identitäten lüften auf der communale Bildforscher, die in der Ahnengalerie des Schlosses vor Computern arbeiten. Eine Forscherin, Spitzname Helgo, erläutert dem VOLKSBLATT die Methode. Auf dem Bildschirm gerade zu sehen das alte Foto einer Frau. Wer ist sie? Manchmal ist die Lösung einfach, manchmal wird in Archiven geforscht, werden alte Zeitungsartikel durchforstet. Die Frau ist vielleicht 50, 60 Jahre alt, dünnlippig. Sofort zischen Klischees durch das Besucherhirn: „Diszipliniert, hart, entbehrungsreiches Leben“. Was sieht die Forscherin? Eine schmale Jacke, das Foto also vermutlich vor 1890 aufgenommen, denn später kamen Puffärmel in Mode. Die Ohrringe nachkoloriert, eine Uhrenkette (im Nachhinein dazu gezeichnet?) als Symbol, dass sie den Haushalt führt. Eine Dienstmagd, sagt Helgo, hätte sich in ständisch denkender Zeit nie mit Uhrenkette abbilden lassen dürfen. Der „Stand“ machte einen wesentlichen Teil der Identität aus. „Identität“ war auch ein Zwangskorsett.

Das Thema Identität heikel, oft genug emotional aufgeladen. (Der Wiener würde sagen: Mei Identität is ned deppad!) Der Rundgang lässt Gedanken sprießen. Mit „Identität“ verhält es sich ähnlich wie mit der — auch ein schwammiges, sehr missbrauchfähiges Wort — Freiheit. Identität dann spürbar, wenn es an ihr mangelt, wenn sie „bedroht“ ist. Oder umgekehrt, wenn sie im schlimmsten Fall als kriegerische Waffe eingesetzt und dem anderen das Existenzrecht abgesprochen wird.

Die Macht der Bilder

Identität: Wer bist du? Prägen kollektive Traumata? Persönliche Erfahrungen? Was erzählt die Kunst darüber? Bündelt die Kunst Erfahrungen? Bietet sie Ersatzidentitäten an? Gefällt sie sich auch gerne im bloßen Eskapismus? Die in Prambachkirchen lebende Künstlerin Evelyn Kreinecker stellt gerne Bilder in Frage, die „Identität“ erzeugen wollen. Etwa für den Zyklus „SIE. Die Macht der Bilder“ hat Kreinecker biblische Erzählungen umgedeutet. Gott ein „Herr“, woher weiß man das? Tatsächlich kannten die biblischen Schriften auch weibliche – Aschera! – Gottheiten.

Auf der communale, im Gebäude des ehemaligen Stuckwirts, zeigt Kreinecker die Ausstellung „800 Menschen“. Diese 800 an den Wänden gezeichnet, stellvertretend für die 800 Jahre, die heuer die Stadt Eferding feiert. Kreinecker zum VOLKSBLATT: „Ich zeichne 800 Menschen, mit je eigenen Haltungen, die auch in einer gewissen Anonymität individuell sind und keine gleichförmige Masse. Es sind wir Menschen als Individuen, die eine Stadt, ein Dorf, ein Land prägen. Was wäre eine Stadt ohne ihre Originale? Darauf nimmt übrigens das communale-Projekt von Günter Schwarzbauer ‚Origeniale‘ Bezug.“

Der Fragende misstraut Identität, er umkreist das Wort mit Respektabstand. Wer bin ich? Ein Wesen, das atmet, isst, verdaut und um seine Sterblichkeit weiß. Also doch nicht ganz Tier. Was ist Identität, Frau Kreinecker? Die Künstlerin nennt Identität das, „was mich oder uns ausmacht. Die Summe an persönlichen und kollektiven Erfahrungen, was uns geprägt hat und was wir prägen.“ — Identität eines Menschen, was wäre die Identität einer Stadt wie Eferding? „Für mich ist eine Stadt die Summe an Menschen, Stimmen, Sprachen, Gerüchen, Klängen, Stimmungen, an Architektur und Reaktionen darauf, Möglichkeiten und Spielräumen.“

Wie verhält es sich mit schöpferischer oder zerstörerischer Kraft des Wortes? Evelyn Kreinecker: „Identität in aller Vielfalt ist für mich schöpferisch und öffnet Möglichkeitsräume. Wenn es eng wird, wenn Identität mit Uniformität verwechselt wird, dann wird es übel.“

Von Christian Pichler

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