Fichte sticht, Tanne schmeckt

Der Wetterbericht in den Tagen davor war — vorsichtig ausgedrückt — volatil mit negativer Tendenz. Logisch wäre: Du legst eine Wanderung im Nationalpark Kalkalpen, die auf tausend Metern Seehöhe beginnt, nicht auf einen Tag, an dem die Schneefallhöhe auf 1200 Meter sinken soll. Denn die unausweichliche meteorologische Konsequenz lautet: Ab dort, wo du los gehst, schüttet es.

Aber man ist ja nicht aus Zucker — also hinauf auf den Hengstpass, genauer gesagt zur Zickerreith. Ab dort kam es zwar so, wie meteorologisch verheissen — Schneegrieseln bei Temperaturen knapp über Null — dennoch wurde es ein schöner Tag. Dass dazu am Anfang der frischgemachte Briochezopf und am Ende das Knödelpotpourri in der Zickerreith nicht unbedeutend beitrugen, sei nicht verschwiegen. Aber der dazwischen angesiedelte „Lehrausgang“ — ja, es ging darum, in Sachen Wald und Nationalpark etwas dazuzulernen — mit den Bundesforste-Spezialisten machte auch was her. Schließlich stand die Exkursion auch unter dem durchaus fachspezifisch klingenden Motto „Verdichtetes Jungwuchsmonitoring 2022“.

Um sich dem Thema entsprechend annähern zu können, sollte man als Laie ein paar Dinge wissen. Der Nationalpark Kalkalpen im südlichen Oberösterreich ist mit einem Waldanteil von 89 Prozent der waldreichste Nationalpark Österreichs. Von den 21.000 Hektar Fläche bringen die Österreichischen Bundesforste rund 90 Prozent ein, sie kümmern sich im Nationalpark um Naturschutzmaßnahmen, das Wald- und Wildtiermanagement, die Infrastruktur, die Besucherlenkung und die Öffentlichkeitsarbeit. Ein Viertel der Nationalparkfläche ist seit 2017 wegen der alten Buchenbestände UNESCO-Weltnaturerbe, insgesamt kommen 32 verschiedene Baumarten vor, überwiegend findet man Fichten-Tannen-Buchen-Wälder. Allerdings leiden diese Mischformarten unter Wildverbiss, insbesondere die Tanne, weil sie als Jungbäumchen den großen Pflanzenfressern Reh-, Rot- und Gamswild besser schmeckt als etwa die stechende Fichte.

Jetzt gilt aber im Nationalpark laut Forstmeister Hans Kammleitner, dass man „ökologische Prozesse großflächig zulassen“ will und beispielsweise „Totholz das Markenzeichen des Nationaparks ist“. Und wiewohl der Schutz der Biodiversität ein wesentliches Ziel ist, geht es doch nicht ganz ohne menschliche Eingriffe. Bestes Beispiel: Um negative Auswirkungen — sprich wirtschaftlichen Schaden — ins benachbarte Umfeld des Nationalparks zu vermeiden, hat man etwa Maßnahmen gegen den Borkenkäfer ergriffen.

Wildtiermanagement

Und jetzt greift man auch wieder ein, um die Baumartenvielfalt zu erhalten, wofür wiederum eine natürliche Waldverjüngung notwendig ist. Womit wir wieder beim „verdichteten Jungwuchsmonitoring“ sind, das die Basis dafür ist, wie man speziell der Tanne auf die Wachstumssprünge helfen kann — indem man nämlich gezieltes Wildtiermanagement betreibt, sprich: Wo viel Verbiss ist, muss mehr gejagt werden. Regulierung heißt das im Fachjargon, rund 300 Stück sind pro Jahr zu „entnehmen“.
Das von Nationalparkförster Michael Buchebner verantwortete Jungwuchsmonitoring hat den Hauch einer Sisyphusarbeit. Um herauszufinden, wo besonders viele Jungpflanzen verbissbedingt in ihrem Wachstum zurückbleiben, wurden nicht weniger als 475 Probeflächen über den gesamten Nationalpark verteilt, auch in sehr unwegsamem Gelände. Ausgehend von einem GPS-vermessenen Probepunkt wurden jeweils in einem Umkreis von zwei Metern Jungpflanzen auf Leittriebverbiss durch Schalenwild untersucht. In eineinhalb Jahren wurden in knapp 1300 Einsatzstunden 8600 Jungpflanzen begutachtet.

Keine Trophäenjagd

Das Resultat: Im Schnitt über alle Baumarten (zwei Drittel Laubholz, ein Drittel Nadelholz) weisen 29 Prozent der erhobenen Pflanzen einen Verbiss am Leitttrieb auf — bei der Tanne aber sind es fast 34 Prozent. Laut Förster Buchebner wären bei der Tanne aber nur bis zu 20 Prozent in Ordnung. Stark betroffen sind überdies auch Ahorn, Esche, Ulme und Lärche. Damit diese Baumarten im Zuge der natürlichen Waldverjüngung nicht weiter ausgedünnt werden — Fichte und Buche nutzen die Schwäche der anderen und würden sich überdurchschnittlich breit machen — setzt man beim Grundproblem an, und das heißt eben Schalenwild.

Zumal man als Ergebnis dieses Monitorings eines auch gesehen hat: Wo es bisher viele Abschüsse gab, war der Zustand der Waldverjüngung deutlich besser als in Gebieten mit wenigen Abschüssen. Als Konsequenz daraus wird die Regulierungstätigkeit schwerpunktmäßig dorthin verlagert, wo der Verbiss gemäß Jungwuchsmonitoring höher ist. „Wo es brennt, werden wir stärker eingreifen“, so Buchebner, um eines auch zu betonen: Es gehe nicht um Trophäenjagd, reguliert werde vor allem beim jungen weiblichen Wild.

Für Buchebner und seine Mitstreiter heißt es im Übrigen: Nach dem aufwändigen Monitoring ist vor dem Monitoring. Im Jahr 2025 wird überprüft, was sich im Vergleich zum „verdichteten Jungwuchsmonitoring 2022“ verändert hat. Ein diesbezüglicher „Lehrausgang“ könnte auch wieder ein schöner Tag werden…

Von Markus Ebert

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