Diagnose mit dem Kameraauge

Nicht immer muss der Arzt für eine Diagnose vor Ort beim Patienten sein. Das Ordensklinikum Linz zeigt vor, wie sich ein „Telemedizinischer Konsiliardienst“ für das Pyhrn-Eisenwurzen-Klinikum Kirchdorf im Bereich der Dermatologie (Hauterkrankungen) gut realisieren lässt. Um zu einem qualitätsgesicherten Ergebnis zu kommen, brauchte es aber eine entsprechende Vorlaufzeit.

Gut eingespielt hat sich der „Telemedizinische Konsiliardienst“, den Dermatologin Birgit Weindl vom Ordensklinikum Linz Elisabethinen, regelmäßig mit dem Klinikum Kirchdorf durchführt. © OKL

Für eineinhalb Stunden Anamnese, Diagnose und Befunderstellung an einigen Patienten mit Hautproblemen musste Birgit Weindl, Oberärztin der Dermatologie und Venerologie am Ordensklinikum Linz Elisabethinen, jeden Mittwoch eine Fahrtstrecke von rund 40 Minuten ins Klinikum Kirchdorf und dieselbe Strecke retour auf sich nehmen.

Nach einem Nachdenkprozess, ob diese Tätigkeit nicht ressourcenschonender möglich ist, wurde im März 2019 ein „Telemedizinischer Konsiliardienst“ gestartet.

„Das braucht natürlich eine gute Vorbereitung, um die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sicherzustellen. So muss etwa der Server im EU-Raum stehen, denn die Daten dürfen nicht über die USA laufen. Allein, dass ich einen Befund diktieren kann, der dann im Sekretariat in Kirchdorf geschrieben wird, brauche ich einen eigenen Laptop, der mit drei verschiedenen Zugangscodes ausgestattet ist, damit die Datensicherheit gewährleistet ist“, schildert Weindl die Problemstellung zum Start.

Dann wurde die Ausstattung des Raumes, in dem sich der Patient vor einer Kamera einfindet, nach und nach durch Ausprobieren so adaptiert, dass die Ärztin jene Bedingungen vorfindet, die sie für eine exakte Diagnose-Erstellung benötigt.

„Dabei geht es um das richtige Licht. Zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass ein OP-Licht viel zu grell ist und alles überstrahlt. Es darf aber auch keine große Lärmkulisse geben, denn sonst ist die Kommunikation zwischen dem Patienten und mir mühsam. Mit Sicht- und Lärmschutz durch Paravents wurde es angenehmer zu arbeiten. Und es hat sich herausgestellt, dass es eine gewisse Kontinuität in der Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal vor Ort braucht“, erläutert die Dermatologin.

Mittlerweile haben sich diese Dinge aber sehr gut eingespielt. Oberärztin Weindl kann in Kirchdorf auf die gute Vorbereitung der Patienten durch Wundmanagerin Veronika Lattner zählen. „Sie bereitet die Patienten auf die Videokonferenz vor und trägt die ganzen Befunde zusammen, die ich dann am Silbertablett präsentiert bekomme. Als dermatologisch erfahrene Fachkraft liefert sie mir wichtige zusätzliche Informationen z. B. über die Beschaffenheit einer Wunde oder einer veränderten Hautstelle, die vielleicht durch die Kamera nicht so gut sichtbar sind. Veronika ist quasi mein erweitertes Auge und meine erweiterte Hand am anderen Ende der Leitung“, sagt die Medizinerin.

Muttermal-Untersuchungen für die ein Auflichtmikroskop nötig sind, können derzeit noch nicht telemedizinisch begutachtet werden. ©OKL

Nach Vollbild Zoom auf Hautveränderung

Konkret spielt sich die Anamnese so ab, dass jeden Mittwoch etwa sechs bis sieben Patienten aus dem Pyhrn-Eisenwurzen-Klinikum mit ihrem Hautproblem bei Doktor Weindl vorstellig werden. Einer nach dem anderen wird von Wundmanagerin Lattner in den eigens adaptierten Raum geführt. Zunächst gibt es eine Kontaktaufnahme von Angesicht zu Angesicht und kurze Vorstellung zwischen Ärztin und Patienten. Später zoomt Lattner mit dem Handstück der Kamera auf die Stelle, die zu begutachten ist. Weindl bespricht mit Patienten und Wundmanagerin alle Details, die für die Diagnose notwendig sind, um sich ein umfassendes Bild zu machen, welche Erkrankung vorliegt.

„Für mich ist der Vorgang im Prinzip so wie, wenn ich vor Ort wäre. Hinzu kommt nur, dass ich etwa Anweisungen gebe, mit der Kamera noch näher heranzugehen, sie zu kippen oder wieder scharf zu stellen, damit ich ein gutes Bild habe. Nur sehr blasse Hautveränderungen können bei der Telemedizin ein Problem sein, weil die Kamera zuwenig Rottöne einfängt. Meist lässt sich aber im Gespräch und mit der Beschreibung der veränderten Stelle – Kruste, Hämatom, Pustel etc. – herausfiltern, worum es sich handelt“, schildert Weindl. Es kann auch Vorkommen, dass die Wundmanagerin älteren Menschen noch einmal wiederholt, was die Ärztin zu ihnen gesagt hat. Zudem empfindet Weindl die Diskussion mit ihr, etwa darüber, welche Verbände verwendet werden sollen, als gegenseitig befruchtend.

Hautveränderungen wie ein Ekzem lassen sich leicht via Videozuspielung diagnostizieren. ©OKL

Die Medizinerin hat es im Klinikum Kirchdorf mit den herkömmlichen Krankheitsbildern, die sie auf der Hautabteilung in Linz im Alltag zu sehen bekommt, zu tun. Die Patienten sind in erster Linie wegen einer anderen Erkrankung im Spital. Gilt es dann ein Hautproblem abzuklären, kommt die Dermatologin via Telemedizin zum Einsatz. Dabei hat sie Patienten von Jung bis Alt, wobei naturbedingt die älteren Herrschaften eher Hautprobleme haben und daher in der Mehrzahl vorstellig werden. Die gängigsten Diagnosen, die zu stellen sind, betreffen die ganze Bandbreite von einer bakteriellen Infektion (Erysipel) über eine Gürtelrose (Herpes Zoster), verschiedenste Hautausschläge (Ekzeme), Hauttumore, chronische Hautentzündungen wie eine Neurodermitis, Schuppenflechte bis hin zur Kupferakne (Rosazea).

Was derzeit aus technischen Gründen noch nicht möglich ist, sind Untersuchungen, bei denen ein Auflichtmikroskop nötig ist, weil es dafür eine spezielle Kamera braucht, die in Kirchdorf noch nicht im Einsatz ist. Das heißt eine Diagnose, ob es sich etwa bei einem Muttermal um eine bösartige Veränderung handelt, kann dort via Telemedizin derzeit nicht vorgenommen werden. „Ich biete den Patienten an, zu uns nach Linz zu kommen oder einen Hautarzt ihrer Wahl in der Nähe aufzu- suchen“, sagt Weindl. Zudem ist es nicht möglich eine Behandlung, etwa die Vereisung einer Keratose vorzunehmen. Bei Letzterer handelt es sich aber um nichts Lebensbedrohliches, was unbedingt sofort gemacht werden muss.

Anfangs Doppelbefundung zur Qualitätssicherung

„Damit wir auf Nummer sicher gehen, dass es durch die telemedizinische Befundung nicht zu einer Fehldiagnose kommt, wurde etwa ein Jahr lang eine Doppelbefundung durchgeführt. Das heißt, ich habe mir in der Früh die Patienten via Kamera angesehen und eine Diagnose erstellt, danach bin ich nach Kirchdorf gefahren, um dieselben Patienten noch einmal vor Ort zu begutachten. Nur einmal, ganz zu Beginn, musste ich dabei eine Diagnose revidieren. Die Doppelbefundung war zwar aufwändig, aber im Sinne der Qualitätssicherung unerlässlich“, betont Weindl, die auch eine gewisse Einschauzeit benötigt hat, um für sich ein gutes Gefühl zu bekommen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Bei der Echt-Zeit-Diagnose via Kamera nimmt der „Telemedizinische Konsiliardienst“ zwischen den beiden Krankenhäusern eine Vorreiterrolle in Österreich ein. Durch das Zusammenspiel mit der erfahrenen Wundmanagerin kann die Dermatologin viel mehr herausholen als aus einem statischen Bild.

Heute diagnostiziert und befundet Weindl in der Zeit, in der sie früher am Weg zwischen den beiden Spitälern war, etwa jene sechs bis sieben Patienten, die in der Regel pro Woche via Kamera zu ihr kommen. Seit dem Corona-Ausbruch gab es durch die Telemedizin sogar den Zusatznutzen, dass der persönliche Kontakt reduziert werden konnte.

„Die Patienten finden es ganz spannend, bei der modernen Technik live dabei zu sein, für die Jungen ist das sowieso schon Alltag, aber auch die Älteren haben Gefallen daran gefunden. Es gab noch keinen Patienten, der diesen Konsiliardienst abgelehnt hätte“, sagt Weindl. Mittlerweile hat sie schon für rund 500 Menschen eine telemedizinische Diagnose erstellt. Neben dem üblichen Wochenrhythmus kann sie auch für akute Fälle zwischendurch angefragt werden, was bisher aber nur selten vorgekommen ist.

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