Videobrille lenkt von OP ab

Kein Patient kommt gerne ins Krankenhaus, manchmal bleibt aber keine Wahl und eine Operation wird notwendig. Im Klinikum Rohrbach wird viel gemacht, um die Angst vor dem Eingriff zu nehmen und ein möglichst angenehmes Ambiente im Operationssaal zu schaffen. Dazu gehört neben einem Wärmemanagement seit zwei Jahren auch eine Videobrille.

Patienten, die sich während einer Operation mit Regionalanästhesie von einem Film ablenken lassen, benötigen deutlich weniger Schmerzmedikamente. © OÖG

„Bislang wurden Patienten, die Angst vor einer Operation haben, einfach mit Medikamenten beruhigt. Wir haben uns aber Gedanken gemacht, wie wir zum Wohle der Betroffenen die Menge an Schlaf- und Beruhigungsmittel reduzieren können“, schildert Primar Kostja Steiner, Leiter des Instituts für Anästhesie und Intensivmedizin, den Ausgangspunkt der Überlegungen: „Bekanntlich finden 80 Prozent der Sinneswahrnehmung über Augen und Ohren statt, sich während der Operation einen Film anzusehen, ist sozusagen die optimale Ablenkung.“

Grundsätzlich funktioniert dieser Ansatz bei allen Altersstufen, wenn es sich um Eingriffe mit Regionalanästhesie handelt. Die Dauer der Operation variiert, je nach Art des Eingriffs, ab einer Viertelstunde bis hin zu zwei, drei Stunden. Die Möglichkeit, dennoch später während der Operation eine Vollnarkose einzusetzen, ist immer noch gegeben.

Kinder stehen auf „Biene Maja“

Der absolute Renner bei den Kindern ab vier, fünf Jahren ist die „Biene Maja“, aber auch „Heidi“ und „Ferdi“ werden von den Kleinen nachgefragt. Erwachsene stehen eher auf Reisedokumentationen – vor allem Irland kommt dabei zum Zug –, gefolgt von der Übertragung von klassischen Konzerten, etwa der Wiener Philharmoniker aber auch Kinofilme mit George Clooney oder Julia Roberts werden gerne angesehen. Wer Action mag, kann u. a. zu James Bond greifen.

Benötigen Patienten nach einem Eingriff mit Vollnarkose etwa zwei bis drei Stunden Überwachung, können die Filmschauer mit Lokalanästhesie schon nach gut einer Viertelstunde, sobald abgeklärt ist, dass sie keine Schmerzen haben, auf die Station gebracht werden. ©OÖG

Im Klinikum Rohrbach sind zwei für den OP-Saal zugelassene Videobrillen quasi im Dauereinsatz. 2019 wurden rund 1400 Eingriffe mit einer Dauer von bis zu drei Stunden mit dieser Ablenkungsmethode bestritten, im Vorjahr Corona-bedingt nur 800. „Der Patient hat ein Kinofeeling und wir sind sicher, dass die hohen Anforderungen an Sicherheit und Hygiene – die Videobrille kann man gut desinfizieren – und Lizenzfragen geklärt sind“, sagt Steiner: „Alle paar Monate wird zudem das Programm getauscht.“

Die Lizenzkosten sind dabei marginal und fallen nicht ins Gewicht. Das Klinikum Rohrbach war eines der ersten in Österreich, das auf diese Technologie setzt und hat mittlerweile auch schon Nachahmer gefunden.

Kinder dürfen sich die Videobrille bereits im Vorbereitungszimmer, bevor sie in den OP-Saal gefahren werden, aufsetzen. Dann kommen sie relaxt zur OP und bekommen nur die Umlagerung vom Bett auf den OP-Tisch mit, ehe es mit dem medizinischen und Filmprogramm weiter geht. Klassische Eingriffe sind dabei etwa die Entfernung von eitrigen Mandeln oder Eingriffe beim Trommelfell.

„Nur wenn ein Kind mit Bauchweh oder Schmerzen kommt, dann funktioniert der Einsatz der Videobrille nicht, da benötigen sie etwas anderes, das sie beruhigt. Natürlich darf das Kuscheltier mit in den OP, es gibt auch Luftballons oder Geruchsstifte. Das Kind darf sich zum Beispiel aussuchen, welche Geschmacksrichtung die Beatmungsmaske haben soll“, sagt der Anästhesie-Primar.

50 bis 70 Prozent weniger Medikamente

Erwachsene schätzen die Videobrille, weil sie entspannt und weniger Medikamente nötig sind. „Durch ihren Einsatz konnten wir die Menge an Schlaf- und Beruhigungsmittel nachweislich um 50 bis 70 Prozent reduzieren. Der enorme Vorteil dabei ist, dass die Patienten viel kürzer im personalintensiven Aufwachraum verweilen müssen. Benötigen Patienten nach einem Eingriff mit Vollnarkose etwa zwei bis drei Stunden Überwachung, können die Filmschauer mit Lokalanästhesie schon nach gut einer Viertelstunde, sobald abgeklärt ist, dass sie keine Schmerzen haben, auf die Station gebracht werden. Das bringt auch eine große Entlastung, was den Personaleinsatz betrifft.“

Primar Kostja Steiner: „80 Prozent der Sinneswahrnehmung finden über Augen und Ohren statt, sich während der Operation einen Film anzusehen, ist sozusagen die optimale Ablenkung.“ ©OÖG

Weil die meisten Patienten von einer Operation nichts mitbekommen wollen, wurden bisher bei Angst, Stress und Nervosität, die zwangsläufig auftreten und zu einem beschleunigten Puls sowie schnellerer Atmung und erhöhtem Blutdruck führen, Medikamente eingesetzt. Eine bei Jung und Alt willkommene Alternative ist die Videobrille. Sie ist mit einem Kopfhörer verbunden, so dass keine unliebsamen Geräusche, die etwa bei einer Hüft- oder Knie-OP auftreten, an das Ohr dringen. Der Patient ist zudem mit einem Paravent soweit abgeschirmt, dass er den OP-Vorgang nicht sieht, gleichzeitig kann er sich jeder Zeit melden, wenn er doch ein Schlafmittel möchte. Es kann auch während des Eingriffs noch auf eine Vollnarkose umgestiegen werden. Selten aber doch gibt es Patienten, die genau mitbekommen wollen, was während des Eingriffs mit ihrem Körper passiert, auch das ist möglich.

Gerade für ältere Patienten oder Menschen mit beginnender Demenz, die Medikamente erheblich mehr belasten als Jüngere, ist der Einsatz der Brille gut geeignet und mittlerweile auch sehr nachgefragt, weiß Steiner: „Das Vermeiden von Angst und Stress während der OP fördert zudem den Heilungsprozess.“ Die Rückmeldungen jener Patienten, die die Videobrille bereits ausprobiert haben, sind extrem positiv. Jene, die später wieder zu einem Eingriff gekommen sind, verlangen wieder danach, sagt Steiner. Mittlerweile wird im Klinikum Rohrbach zu 34 Prozent auf eine Vollnarkose verzichtet.

Wärmemanagement im OP-Bereich

Zwei Punkte, die zudem zum Wohlbefinden der Patienten, die operiert werden müssen, beitragen, sind das umfangreiche Aufklärungsgespräch und das schon länger angewandte Wärmemanagement. „Bei uns dauert eine Aufklärung über den geplanten Eingriff eine halbe Stunde, dem Patienten wird umfassend beschrieben, wie die OP durchgeführt wird und er hat ausreichend Zeit, alle für ihn wichtigen Fragen zu stellen. Niemand soll das Gefühl haben, nur mit dem Nötigsten abgefertigt zu werden“, betont der Anästhesie-Primar: „Der Chirurg ist für die Operation, wir Anästhesisten für das Leben des Patienten verantwortlich. Da kommt es viel auf die richtige Wertschätzung an.“

Und weil, im Operationsaal eher eine kühle Temperatur herrscht, tragen warme Laken viel zum Wohlbefinden der Patienten bei. „Bei uns kümmert sich das engagierte Pflegeteam darum, dass der Patient ein weiches, warmes Bett hat und ihm vom Eintreffen im Operationssaal bis zum Aufwachen der Aufenthalt möglichst angenehm gestaltet wird. Da gehört ein gutes Wärmemanagement einfach dazu“, sagt Steiner.

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