Naturheilkunde und göttliche Visionen

Von vielen geliebt, von manchen gehasst: Hildegard von Bingen (1098-1179) schrieb Bücher über Gesundheit und den christlichen Glauben, verfasste Lieder, ging auf Predigtreisen und prägte viele durch ihr starkes Selbstbewusstsein und ihr Durchsetzungsvermögen. Bis heute werden Hildegards Gesundheitstipps angewendet, auch in Filmen und Serien beschäftigt man sich mit ihrem Lebenswerk. Doch was steckt hinter ihrer beeindruckenden Geschichte?

Als zehntes Kind der Edelfreien Hildebert und Mechtild kam Hildegard von Bingen zwischen dem 1. Mai 1098 und dem 17. September 1098 in Bermersheim vor der Höhe zur Welt, ihr genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt.

Ihre Kindheit verbrachte sie auf dem väterlichen Herrenhof, mit acht Jahren wurde sie in religiöse Erziehung gegeben. „In meinem achten Jahr aber wurde ich zu geistlichem Leben Gott dargebracht (oblata) und bis zu meinem fünfzehnten Jahr war ich jemand, der vieles sah und mehr noch einfältig aussprach, so dass auch die, welche diese Dinge hörten, verwundert fragten, woher sie kämen und von wem sie stammten.“, so Hildegard.

Göttliche Visionen

Hildegards Leben war geprägt von immer wiederkehrenden Visionen, die ab 1141 sehr stark wurden. Eine dieser Visionen beschrieb sie als Licht, das von Gott gekommen sei, da er ihr Sachen sagen wollte, die sie an die Menschheit weitergeben sollte. Verwirrt und unsicher suchte sie nach Hilfe und schrieb einen Brief an Bernhard von Clairvaux, einen Mönch aus Frankreich.

Er antwortete Hildegard mit diesen Worten: „Wir freuen uns mit dir über die Gnade Gottes, die in dir ist. Und was uns angeht, so ermahnen und beschwören wir dich, sie als Gnade zu erachten und ihr mit der ganzen Liebeskraft der Demut und Hingabe zu entsprechen. Was können wir übrigens noch lehren oder wozu ermahnen, wo schon eine innere Unterweisung besteht und eine Salbung über alles belehrt?“

1147 bekam Hildegard von Papst Eugen III. die Erlaubnis, ihre Visionen an die Öffentlichkeit zu tragen, wodurch auch ihre politische Bedeutung gestärkt wurde. In ihren Büchern schrieb sie diese nieder: Das Hauptwerk „Scivias“ („Wisse die Wege“) der deutschen Benediktinerin, bestehend aus 35 Miniaturen, entstand 1151 oder 1152. „Liber vitae meritorum“ heißt ihr zweites Visionswerk und bedeutet so viel wie „Buch der Lebensverdienste“.

35 Laster und Tugenden werden darin thematisiert. Das dritte Buch der Reihe trägt den Titel „Liber divinorum operum“ („Buch der göttlichen Werke“) und erzählt von der Schöpfungsordnung innerhalb der mittelalterlichen Vorstellung. Zwischen 1147 und 1150 gründete die Universalgelehrte das Kloster Rupertsberg auf dem Rupertsberg. Durch ihr selbstbewusstes Auftreten, ihren Glauben, ihre Lebensart und ihre politischen Ziele wurde sie für einige zur Wegweiserin, andere jedoch waren neidisch auf Hildegard.

Oft wurden falsche Gerüchte über sie verbreitet, um ihren Ruf zu zerstören. Doch das hielt die willensstarke Frau nicht auf: Als erste Nonne sprach sie öffentlich auf ihren Predigtreisen, unter anderem in Mainz, Würzburg oder Köln über die Umkehr zu Gott. Ihr Schaffen blieb nicht ungehört: Einige geistliche und weltliche Persönlichkeiten standen im regelmäßigen Austausch mit Hildegard von Bingen.

Das Thema Gesundheit spielte ebenfalls eine große Rolle im Leben der Benediktinerin: Sie verfasste naturheilkundliche Schriften, deren Erfolg bis heute andauert. „Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum“ („Das Buch von den Geheimnissen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe“) ist eines ihrer bekanntesten Werke. Die Eigenschaften und Wirkungen von Kräutern, Bäumen, Edelsteinen, Tieren und Metallen werden darin erläutert. „Causae et curae“ („Ursachen und Behandlungen“), ein weiteres Gesundheitsbuch Hildegards, bespricht die Behandlung und Diagnostik verschiedenster Erkrankungen.

Darin heißt es etwa: „Vom Tränen der Augen: Wer nässende Augen hat, wie wenn sie tränten, soll ein Feigenblatt pflücken, das in der Nacht vom Tau gründlich benetzt worden ist, wenn die Sonne es an seinem Zweige bereits erwärmt hat, und so warm auf seine Augen legen, um deren Feuchtigkeit einzuschränken“ oder „Wenn das Gehör eines Menschen von irgendeinem Phlegmastoff oder einer anderen Art des Krankseins zugrunde gerichtet wird, nimmt man weißen Weihrauch, und lass aus ihm über lebendigem Feuer Rauch aufsteigen und lass diesen Rauch in das sich obdurierende Ohr aufsteigen“.

Auch musikalisch war die Nonne sehr talentiert, was durch Werke wie „Symphonia armonie celestium revelationum“ („Symphonie der Harmonie der himmlischen Erscheinungen“), eine Sammlung geistlicher Lieder, bestätigt wird. Ein weiteres musikalisches Werk der Ordensfrau ist „Ordo virtutum“. Am 17. September 1179 starb Hildegard von Bingen im Kloster Rupertsberg im Alter von 81 Jahren.

Was blieb?

Kloster Ruperstberg wurde während des Dreißigjährigen Krieges zerstört, Gerhard Roese rekonstruierte die Gestalt des Gebäudes – zu besichtigen ist es im Historischen Museum am Strom in Bingen. Das Kloster Eibingen wurde zur Pfarrkirche St. Hildegard umbenannt.

Schon zu Lebzeiten galt sie unter ihren Anhängern als Heilige, 2012 wurde ihr Name von Papst Benedikt XVI. in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen. Der 17. September wurde zu ihrem Gedenktag, in Deutschland feiert man diesen Tag in zahlreichen katholischen Diözesen. Auch im Römischen Generalkalender ist dieser Tag seit Februar 2021 zu finden.

Doch der Name Hildegard von Bingen lässt sich auch in anderen Bereichen finden: Es gibt eine Hildegardkirche, nach ihr benannte Schulen, die Pflanzengattung Hildegardia und den Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik, um nur einige Beispiele zu nennen. Um mehr über ihr Leben zu erfahren, kann der 137 Kilometer lange Hildegard-von-Bingen-Pilgerwanderweg, der an ihren Lebensstationen vorbeiführt, besucht werden. In Film und Fernsehen tauchte ihre Geschichte immer wieder auf, etwa in „Trilogie der Zeitlosen“ von Hildegard Elisabeth Keller oder „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ von Margarethe von Trotta.

Von Elisa Knechtel

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