Popstar und Reibebaum, Irrläufer und Weltautor

Am 6. Dezember wird Peter Handke 80. Ein Weltschriftsteller, der außerhalb des Schreibens aufregt und verstört. Und der doch — dies vor allem! — gelesen gehört.

Peter Handke im Garten im Pariser Vorort Chaville, wo er seit 1990 lebt. © AFP/Bailly

1966 war das Jahr, als Peter Handke zum Popstar der Literatur wurde. So wie 200 Jahre vor Handke der „Werther“-Goethe, wie 100 Jahre davor der Charles Baudelaire der „Blumen des Bösen“. Am 8. Juni 1966 wurde Handkes skandalträchtiges Stück „Publikumsbeschimpfung“ im Frankfurter Theater am Turm uraufgeführt, Claus Peymann inszenierte. „Es war ein legendärer Tag“, erinnert sich Peymann, die Beschäftigung mit Handkes Drama sei für ihn eine „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen: „Ich war ja jung. Wir waren alle jung. Es war wirklich so die Zeit der Beatles und der Rolling Stones. (…) Revolte gegen das Bestehende, Revolte gegen das Schlagergeschäft. Und im Grunde ist die ,Publikumsbeschimpfung´ ja das Stück der 68er gewesen, das heißt, der Aufstand gegen das Bestehende.“

Im Schimpfen war Handke groß wie sein Zeitgenosse Thomas Bernhard, dem er übrigens in inniger Abneigung („sträfliche Machwerke“) verbunden war. Handke trug einst eine Pilzkopf-Frisur im Stil der Beatles, die Fab Four aus Liverpool sangen eindeutig die lieblicheren Texte. Handke klang in der „Publikumsbeschimpfung“ zum Beispiel so: „Ihr wart dem Leben abgelauscht./ ihr ewig Gestrigen// Ihr wart eine Idealbesetzung./ ihr Herdentiere// Ihr wart unnachahmlich./ ihr Laffen// Ihr habt unsere Erwartungen nicht enttäuscht./ ihr Miststücke“.

Im selben Jahr 1966, im Frühjahr, hatte Handke die Regeln für den künftigen Rockstar angewandt: Aufmerksamkeit und Provokation. Kurz bevor sein erster Roman „Die Hornissen“ ausgeliefert wurde, mischte er die legendäre Gruppe 47 auf. Eine Versammlung von Größen der Literatur und des Literaturbetriebs, denen Handke „Beschreibungsimpotenz“ in ihrer „ganz dummen und läppischen Prosa“ attestierte. Handkes Kritik entsprang nicht bloß einer Lust am Lästern, sondern war auch berechtigt. Großschriftsteller Günter Grass sollte später von einem „Blattschuss“ für die Gruppe 47 sprechen. Handke mit instinktivem Abscheu gegen ein Schreiben, das Schablonen, dem „Markt“ oder Ideologien (was heute oft in eins fällt) folgt.

Autoren (jawohl, großteils männlich), die nichts von sich selbst hergeben. Schreiben als permanente Verstopfung. Handke hingegen ein Autor, der sich nicht versteckt. Der sich entäußert, seine (innere) Suche offenlegt. Der offen mit der Sprache ringt, weil die Wörter vielfach schal und tausendfach abgelutscht sind. Der nach einer „unschuldigen“ Sprache sucht, wie ein Kind, das Welt und Dinge erstmals benennt. Ein Wanderer in seinen späteren Werken, der Steine am Wegrand aufklaubt und genau hinsieht. Was lebt unter den Steinen?

Dunkle Wolken

Handke, der keine Klischees gelten lassen will. Der Autor Handke, der sich entblößt und mit offenem Visier antritt. Darin keine Kompromisse macht. Was Leser und Leserinnen am Schriftsteller lieben, kann höchst verfänglich werden, wenn er seinen Prinzipien auch in der realen (politischen) Welt folgt. Ein Desaster, ein Bleigewicht seit Jahren das Thema Handke und Serbien. Das Thema komplex, von eigenartiger Psychologie Handkes durchzogen. Man kann ihm zugute halten, dass er zutiefst überzeugter Antifaschist ist, als solcher Serbiens Beitrag in der Niederringung des Nationalsozialismus würdigt (und konsequenterweise das mit den Nazis im Bett liegende kroatische Ustascha-Regime verachtet). Man kann Handke auch so etwas wie „Medienkritik“ zugestehen, ein Wüten gegen Lesermaximierung durch Feinbildpflege der „bösen Serben“.

Doch als ab 1996 die Diskussion mit Handkes Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ so richtig hochkochte, wurde der Schriftsteller zum Irrläufer. Das bestens dokumentierte Massaker von Srebrenica – im Juli 1995 ermordeten Truppen von Ratko Mladic mehr als 8000 Bosniaken – nannte Handke ein „Rachemassaker“. Handke reduzierte das bis dahin schwerste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg auf einen „mutmaßlichen Genozid von S.“. In einem von ihm nicht autorisierten Interview verhöhnt er auch die Mütter der Ermordeten von Srebrenica. Am 18. März 2006 sprach Handke bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic, Kriegstreiber und serbischer Ex-Präsident. Er habe, so Handke später als Rechtfertigung, am Grab von Milosevic vor allem das endgültige Verschwinden des Vielvölkerstaates Jugoslawien betrauert.

Die Diskussion enorm verfahren, redliche Motive Handkes mögen am Beginn gestanden sein. In Sarajevo und in der Republik Kosovo gilt Handke mittlerweile als Persona non grata, der in Sarajevo geborene und 1994 nach Deutschland geflohene Autor Tijan Sila etwa reagierte nach der Überreichung des Nobelpreises an Handke wütend und frustriert. Diese „Anerkennung“, so Sila, „signalisiert mir als Überlebendem: Was du aushältst, ist eigentlich wertlos.“

Es wurde Licht

Am 6. Dezember wird der in Griffen, Kärnten, geborene Handke 80. Die Verleihung des Nobelpreises für Literatur in Stockholm am 10. Oktober 2019 war Krönung des Lebenswerks, von Handke durchaus mit Rührung empfangen („Es ist schon so, als ob das, was man gemacht hat, nun Licht bekommt“). Im Gespräch mit dem großen Fragensteller und Interviewer, dem Journalisten André Müller, hatte Handke 2007 noch mit dem ihm eigenen Humor gelästert und den „Bad Boy“ (den Rock´n´Roller?) hervorgekehrt: „… ich glaube, dass der Nobelpreis, zumindest der für Literatur, schon seit längerem nichts mehr zählt. Man sollte das Geld wieder der Nobel-Stiftung geben und damit Waffen herstellen, wie es ursprünglich war.“

Bitterböser Humor verdeckt das Wichtigste: Handke lesen! Handke zu lesen tut gut. „Achtsam“ ein Modewort, das Handke wohl verachten würde. Handke zu lesen bedeutet, die Welt achtsam wahrzunehmen. Die Menschen, die Figuren sind nur ein Teil dieser Welt, nicht wesentlich wichtiger als die Dinge. Als Einstiegslektüre empfiehlt sich noch immer ein frühes Werk, „Wunschloses Unglück“ von 1972. Hochsensible Einfühlung in die Mutter, die sich das Leben nahm. Präzise Analyse, die Mutter früh gebändigt durch verinnerlichte Scham und dem daraus folgenden Zwang, stets „die Form wahren“ zu müssen: „Als Frau in diese Umstände geboren zu werden, ist von vornherein schon tödlich gewesen. Man kann es aber auch beruhigend nennen: jedenfalls keine Zukunftsangst. Die Wahrsagerinnen auf den Kirchtagen lasen nur den Burschen ernsthaft aus den Händen; bei den Frauen war diese Zukunft ohnehin nichts als ein Witz.“

Stockholm, 10. Dezember 2019: Der schwedische König Carl Gustav gratuliert Peter Handke zum Nobelpreis für Literatur. Vor der Konzerthalle (Bild unten), wo der Preis verliehen wurde, Proteste gegen Handke, u. a. wegen Relativierung des Massakers von Srebrenica im Juli 1995.

Das könnte Sie auch interessieren