Schlafen, spucken, unzüchtige Kleidung beim Gottesdienst

Wie benimmt man sich in einer Kirche? Diese Frage ist heutzutage schnell beantwortet: andächtig, ruhig und dem Ort und dem Anlass angemessen. Doch das war beileibe nicht immer so, im Gegenteil. In früheren Zeiten taten die Messbesucher so ziemlich alles, was man in einer Kirche nicht tut: vom Schlafen übers Essen und Trinken, das Ausspucken des Kautabaks bis zum Anbandeln in dunklen Ecken. In dem soeben erschienenen Buch „Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche“ von Guido Fuchs (Verlag Pustet) wird dieser spezielle Bereich der „Kirchengeschichte“ dargestellt.

Demetrio Cosola: „Ertappte Ministranten“ ... aber manchmal war es eben auch den Spaß wert. © Verlag Pustet

Vorauszuschicken sind die unterschiedlichen äußeren Bedingungen in den Kirchen von früher und von heute. Im Mittelalter gab es keine Kirchenbänke, die Leute mussten während der Messe stehen oder spazierten herum. Das tat der Ordnung im Kirchenraum nicht gut.

Der Priester stand am Alter mit dem Rücken zum Volk, was das „Mitfeiern“ auch nicht erleichterte. Die Licht- und Sichtverhältnisse waren nicht so wie heute, „es gab mehr dunkle Nischen hinter Säulen und in Seitenkapellen, die unangemessenem Verhalten Raum gaben“, schreibt Autor Fuchs.

Vor allem aber: Es war für einen Christenmenschen selbstverständlich, am Sonntag in die Kirche zu gehen, auch wenn ihm dies nichts bedeutete. Diese „christlich-gesellschaftliche Sozialkontrolle“ füllte zwar die Gotteshäuser, aber zu einem guten Teil auch mit im Grunde Desinteressierten und innerlich Unbeteiligten. Die Folge war „schlechtes Benehmen“.

Waschen mit Weihwasser

Das begann oft schon beim Betreten der Kirche, genauer gesagt beim Weihwasserbecken: manche wuschen sich darin die Hände, man ließ den Hund vom Weihwasser saufen oder verwendete das Becken als Aschenbecher, wird in den kirchlichen Annalen berichtet.

Einmal im Kirchenraum, gab es oft ein lautstarkes Begrüßen der Bekannten, verbunden mit angeregten Plaudereien, selbst als die Messe schon begonnen hatte. Der Barockprediger Johannes Pramhofer beklagt in seinen Schriften, dass das Volk während seiner Predigt „schwätzt, lacht, greint, flucht, schreyt, trohet, galanisiert, löfflet, scherzt, stoßt, druckt, Zotten und Bossen treibt, von unzüchtigen Buhl-Händlern redet“.

Frommer Wunsch und Realität klaffen manchmal auch in der Kirche auseinander: Schild an der Eingangstür der Kirche von Wessobrunn in Bayern. ©Guido Fuchs

Wie überhaupt rund um die Predigt in früheren Jahrhunderten vieles passierte, was nicht unbedingt als gutes Benehmen einzuordnen ist. Abgesehen von den Dingen, die der Barockprediger moniert, war es – nachdem in den Kirchen Bänke aufgestellt worden waren – vor allem das Schlafen.

Um das zu verhindern, ließ zum Beispiel der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm im 18. Jahrhundert bei den Bänken der Garnisonskirchen die Lehnen entfernen, um es den Soldaten nicht so bequem zu machen. In den Klöstern wurde das Einschlafen während des Gottesdienstes als Sünde eingestuft, nach mittelalterlichen Vorstellungen sollen es kleine Teufel gewesen sein, welche die Mönche zum Schlafen brachten.

Freilich ist auch Gegenteiliges bekundet: nämlich berühmte Prediger, bei denen die Zuhörer nicht nur wach blieben sondern „sie klatschten in die Hände, sprangen in die Höhe, wehten mit ihren Schnupftüchern, schlugen sich auf die Brust“.

Frauen sollten stricken

Nicht „schlechtes Benehmen“, aber auch nicht ideal war es, was aus dem Jahr 1825 überliefert wird: Ein Pfarrer forderte die Frauen auf, während seiner Predigt zu stricken (!). Seine Begründung würde ihn heute vor die Gleichbehandlungskommission bringen: „Das weibliche Geschlecht sey nur dann andächtig, wenn es beschäftigt sey!“

War ein berühmter Prediger angesagt, so pflegten viele Leute absichtlich zu spät und nur zur Predigt in die Kirche zu kommen und diese gleich wieder zu verlassen, wenn das letzte Wort von der Kanzel gesagt war. Als Gegenmaßnahme wurden in vielen Kirchen die Tore nach Beginn der Messe zugesperrt und erst wieder am Ende des Gottesdienstes geöffnet.

Männer als Abbild Gottes

Ein besonderes Kapitel und Stein des Anstoßes waren in früheren Zeiten die Kleidung und – vor allem bei den Frauen – das gesamte äußere Erscheinungsbild der Gottesdienstbesucher. Schon der Apostel Paulus erteilt der Gemeinde von Korinth die Weisung, Männer sollten an der gottesdienstlichen Versammlung entblößten Hauptes teilnehmen, denn das unbedeckte Haupt des Mannes zeige seine Bedeutung als „Abbild und Abglanz Gottes“. Die Frauen hingegen sollten sich verschleiern.

Das zog sich praktisch durch die ganze Kirchengeschichte bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Noch 1931 zum Beispiel verbot eine Gottesdienstvorschrift in Würzburg, dass „Frauen und Mädchen in ärmellosen oder zu weit ausgeschnittenen Kleidern und mit bloßen Beinen“ zur Messe kommen. Und ein „Catechismus Romanus“ warnte im Zusammenhang mit dem 6. Gebot vor „übertriebenem Putz der Frauen“, wodurch „die Augen sehr lüstern gemacht werden“.

„Besoffenes Volk“

Breiten Raum in der speziellen Kirchengeschichte des Benehmens bei Gottesdiensten nimmt das Kapitel „Essen“ ein. Wobei Nüsse und dergleichen noch das geringere Problem waren, auch wenn das „Knacken“ als störend empfunden wurde.

Das Schnupfen von Tabak sowie der Kautabak waren allseits beliebte Verhaltensweisen in der Kirche, freilich, wie erwähnt, verbunden oft mit dem Ausspucken. Da rund um viele Kirchen Märkte und Gastwirtschaften angesiedelt waren, kamen die Messbesucher immer wieder auch entsprechend mit Speis und Trank zur Messe. Letzteres mit erheblichen Folgen: Von einem Weihnachtsgottesdienst wird berichtet, dass das „besoffene Volk“ mit brennenden Kerzen von den Leuchtern umherwarf. Wie überhaupt bei Festtagen und den damit zusammenhängenden Gottesdiensten das Wort „Fest“ ziemlich wörtlich genommen wurde.

Die Leute vertrieben sich etwa die Zeit bis zur weihnachtlichen Mitternachtsmette mit Essen und Trinken, beim nächtlichen Gottesdienst war dann „Tanzen, Lärmen und Herumtoben des Volkes“ die Folge. Im Jahre 1711 verfügte daher der preußische König, dass die „Christ-Mette nicht des Abends sondern schon um Drei Uhr am Nachmittag“ zu feiern sei.

Eine gänzlich andere Art des „Essens“ fiel früher auch unter das „schlechte Benehmen“: Frauen stillten während der Messe ihre Babys, was, so wird berichtet, dazu führte, dass junge deutsche Pastoren „bei ihrer ersten Predigt stecken geblieben sind, wenn sie die entblößten Brüste sahen“. Übrigens hat Papst Franziskus im Jahr 2016 ausdrücklich die Mütter aufgefordert, nötigenfalls ihre Kinder auch während der Messe zu stillen!

Pinkelnde Hunde

Noch ein Wort zu den Tieren in der Kirche: Dass Hunde nicht mitgenommen werden durften, musste die kirchliche Obrigkeit den Leute immer wieder einbläuen, mit wenig Erfolg. Auf alten Gemälden sieht man oft pinkelnde Hunde in Kathedralen.

Resümee von Autor Fuchs: „Das Abschmelzen der Teilnehmerzahlen in Gottesdiensten wird auch dafür sorgen, dass es sich dabei überwiegend um eine bewusste Teilnahme handelt, weshalb viele frühere Formen schlechten Benehmens kaum mehr vorkommen“.

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