Man kann nicht nicht hinsehen

Jordan Peeles „Nope“ beeindruckt mit Bildern und Gegensätzen

OJ, Em und Angel (Brandon Perea) wollen wissen, was über ihren Köpfen Sache ist.
OJ, Em und Angel (Brandon Perea) wollen wissen, was über ihren Köpfen Sache ist. © Universal Studios

„Trainierte Tiere sind unberechenbar!“ Eine Warnung, die nur zu verständlich ist, steht doch am Beginn eines jeden Trainings das Brechen eines starken Willens.

OJ Haywood (Daniel Kaluuya) weiß das, seit frühester Kindheit kennt er dieses Geschäft. Sein Vater war eine Legende in Sachen Tiere-Zurechtbiegen. Gestorben ist er, als eigenartige Objekte vom Himmel fielen, nun führen OJ und seine Schwester Emerald (Keke Palmer) das Tiertraining für Filmproduktionen fort. Doch es stimmt etwas nicht in der unwirklich aussehenden Wüstengegend nahe Hollywood. Eine unbewegliche Wolke scheint Farm und Bewohner zu beobachten. Dahinter verbirgt sich ein fliegendes Etwas, das mit seinem Maul — oder ist es ein Auge, eine mechanische Luke? — Mensch und Tier aufsaugt und verdaut.

Die Besessenheit von Bildern und Spektakeln

„Nope“ von Regisseur Jordan Peele („Get Out“) ist ein Science-Fiction-Film, ein Horrorstreifen und ein Western, und all das in gleichzeitig bekannter, als auch völlig neuer Weise. Wir finden uns in einem altmodischen Setting, das einer ganz anderen Filmära huldigt, sehen uns mit Themen konfrontiert, die noch immer brandaktuell sind.

Von Bildern und dem dazugehörigen Spektakel sind in „Nope“ fast alle besessen und davon, durch das beste selbst gesehen zu werden: Emerald will ihr „Oprah-Foto“ von dem fliegenden Objekt, das sie berühmt und reich machen würde; Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott) zweifelt an der Möglichkeit der perfekten Aufnahme, der er trotzdem bis in den Tod nachlaufen wird; der gesichtslose Vertreter der Klatschpresse kann es nicht glauben, dass jemand kein Foto schießendes Handy vorm Auge mitführt. Und der Gegenpol: das unbekannte Flugobjekt, dass es absolut nicht leiden kann, wenn man es anblickt.

Jordan Peele arbeitet so gekonnt mit den Gegensätzlichkeiten wie kaum ein anderer. Der Glanz Hollywoods liegt so nahe am heruntergekommenen Umland, den Resten und Überlebten der Traumfabrik. Willenlos und gebrochen wirken die Tiere, die für die Unterhaltung der Menschen zu funktionieren haben. Ebenso wie die ausrangierten menschlichen Stars, die übersehenen Macher der Träume. Wenn ein Schimpanse, nachdem er und seine Leidensgenossen zig Episoden einer Soap Opera hat drehen müssen, ein Massaker anrichtet und mit blutverschmierten Armen und Gesicht dasteht, hat man Verständnis. Gleichzeitig begeistert man sich als Zuschauer selbst für die großen Bilder, die da in „Nope“ aus der Traumfabrik aufsteigen. Sie sind einfach zu beeindruckend, die Aufnahmen, die Hoyte van Hoytema (Kamera) über der kargen Wüstenlandschaft entstehen lässt. Man kann nicht nicht hinsehen. Dazu stimmt das Timing jeder Einstellung noch auf dem Punkt.

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Als Nachfahren jenes schwarzen Jockeys, der 1887 zwar auf jenen Fotografien sichtbar wurde, die die Basis der Filmindustrie bildeten, aber namenlos blieb, sind die Geschwister Symbol für dieses Verschwindenlassen. Bis heute muss sich Hollywood dem berechtigten Vorwurf stellen, People of Color unterzurepräsentieren. Peele schafft es, dieses Thema neu zu beleuchten. Auch hier das Gegensätzliche: Der Film eines schwarzen Regisseurs mit schwarzen Hauptdarstellern zeigt auf, wie das Verschwindenlassen praktiziert wird.

Vieles in „Nope“ entzieht sich einer simplen Deutung und bleibt so wunderbar uneindeutig und schlau.

Von Mariella Moshammer

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