Mauthausen leistet Bildungsarbeit nun digital

Täglich Hunderte Zugriffe auf Videos, die von den Vermittlern der KZ-Gedenkstätte produziert werden

Die Schüler erarbeiten anhand von Videos und Arbeitsblättern online einzelne Stationen der Rundgänge im ehemaligen Konzentrationslager
Die Schüler erarbeiten anhand von Videos und Arbeitsblättern online einzelne Stationen der Rundgänge im ehemaligen Konzentrationslager © KZ-Gedenkstätte Mauthausen/Mauthausen Memorial

Ein besonders einprägsames Erlebnis geht Hunderten Gruppen von heimischen Schulklassen dieses Jahr angesichts der Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie verloren: ein Besuch der Gedenkstätte KZ Mauthausen.

Antworten auf Fragen nach der Entstehung des Konzentrationslagers, den Lebensbedingungen der Insassen, der Zwangsarbeit im Steinbruch, der Beziehung zwischen Konzentrationslager und dem gesellschaftlichen Umfeld und schließlich den Ereignissen rund um die Befreiung uvm. wurden deshalb von den Verantwortlichen in Online-Form gegossen und Schülern, aber auch allen anderen Interessierten zur Verfügung gestellt.

„Anhand von fünf- bis achtminütigen Videos, die von unseren Vermittlern gestaltet wurden, wird der Rundgang, der sonst vor Ort absolviert wird, Station für Station nachvollzogen“, erklärt Gudrun Blohberger, seit 2015 pädagogische Leiterin der Gedenkstätte, im VOLKSBLATT-Gespräch.

Videos und Arbeitsblätter für den Unterricht

15 Videos wurden seit der Schließung der Gedenkstätte im März gestaltet, täglich kommen neue dazu. Ergänzt werden die Video-Aufzeichnungen durch Arbeitsblätter, die von Schülern in 30 bis 45 Minuten bearbeitet werden können. Auch zusätzliche Recherchehinweise sind enthalten, um tiefer gehen zu können.

„Mit unserem Angebot wollen wir auch das Home Schooling unterstützen und haben viele positive Rückmeldungen von Lehrern erhalten, die obendrein sehr kreativ mit unseren Materialien umgehen“, erzählt die studierte Pädagogin und Psychologin. In der Karwoche wurden auch Videos in englischer und italienischer Sprache gestaltet, die sich an ausländische Gäste, die traditionell in dieser Zeit einen großen Anteil an den Besuchern ausmachen, richten.

Zumindest bis zu den Befreiungsfeiern Anfang Mai wird die Videoproduktion weiter stattfinden und den Schwerpunkt rund um das Thema 75 Jahre Befreiung des KZ Mauthausen haben. Je nachdem, wie sich das mit der Schule weiterentwickelt, auch bis Schulschluss, so Blohberger.

Die Videos wie auch die Vermittlungsprogramme vor Ort sind für Schüler ab der 8. Schulstufe gestaltet, also ab 13, 14 Jahren geeignet. Immer wieder werden neue Formate entwickelt, es gibt in Mauthausen verschiedene Rundgänge und Workshops, in denen etwa einzelnen Lebensgeschichten nachgegangen wird. Blohberger: „Wir beziehen die Besucher mit ein, persönlicher Austausch ist uns wichtig.“ Ab Herbst soll es einen Kombinationsrundgang Mauthausen und Gusen geben, der sich besonders mit Nachkriegsgeschichte auseinandersetzt. Rund 80 Vermittler arbeiten mit, Blohberger ist besonders stolz auf die Diversität ihres engagierten Teams, in dem sich Studenten ebenso wie Pensionisten finden, verschiedenste Nationalitäten und auch Menschen, die aus einem völlig anderen Berufsfeld kommen. Der Großteil stamme aus der Region, es gebe aber auch Vermittler, die extra aus Wien anreisen, um diese wertvolle Aufgabe zu übernehmen, so Blohberger.

Auf der Motivsuche rücken die Täter in den Fokus

Auch inhaltlich habe sich die pädagogische Arbeit in den letzten zehn Jahren verändert. Früher seien hauptsächlich die Opfer des Nationalsozialismus im Vordergrund gestanden. Blohberger: „Es ist ja auch sehr wichtig, die Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten und das Leid, das sie erfahren haben, auch zu würdigen.“

Aber: Um die Zeit des Nationalsozialismus zu verstehen, dieses System, sei es genauso wichtig, sich mit Tätern auseinanderzusetzen, deren Motiven und der Einbettung der Konzentrationslager ins gesellschaftliche Umfeld: Das gehe auch mit der Frage einher, welche gesellschaftliche Verantwortung wir heute für diese Verbrechen tragen und wo heute Unrecht passiert. Gerade für junge Menschen seien die Geschichten von Tätern oft irritierend. „Sie fragen sich etwa, wie die Bevölkerung zuschauen konnte, wenn Hunderte täglich durch ihren Ort getrieben wurden und wie schnell es gehen kann, dass sich so ein System gesellschaftlich etabliert und mitgetragen wird.“

Ein- bis zweimal pro Woche ist Blohberger derzeit in der Gedenkstätte, es sei gerade in einer sonst sehr besucherstarken Zeit eigenartig, das jetzt so leer zu sehen. Nur manchmal seien Spaziergänger im Denkmalpark — der Außenbereich ist zugänglich — unterwegs. „Wir haben jedes Jahr 250.000 bis 270.000 Besucher, die größte Frequenz von Mai bis August und da bis zu 2000 Personen am Tag.“

Besuche an historischen Orten nicht ersetzbar

Die Online-Angebote werden mit täglich Hunderten Zugriffen auf die Videos gut angenommen. Sie können echte Begegnungen mit historischen Orten nicht ersetzen, so Blohberger, aber auch künftig wertvoll bei der Nachbearbeitung solcher sein. Hoffentlich ist diese Form des Erinnerns und Gedenkens bald wieder möglich.

Von Melanie Wagenhofer

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