Mehr Respekt vor dem Virus

Einer der ersten Corona-Patienten sieht als Pathologe die massiven Schäden hautnah

Der Tübinger Pathologe war einer der ersten Covid-19- Patienten. Seither interessiert ihn das Coronavirus auch beruflich sehr.
Der Tübinger Pathologe war einer der ersten Covid-19- Patienten. Seither interessiert ihn das Coronavirus auch beruflich sehr. © Uniklinikum Tübingen

Mit dem Wissen von heute hat der Tübinger Pathologe Hans Bösmüller, einer der allerersten Covid-19-Patienten in Deutschland, noch mehr Respekt vor SARS-CoV-2.

Zumal er bei 20 Obduktionen selbst gesehen hat, welche „immunologische Katastrophe“ das Virus anrichten kann. „Heute weiß ich, welches Glück ich mit meinem leichten Krankheitsverlauf gehabt habe“, erzählt der Mediziner mit Wohnsitz in Linz im VOLKSBLATT-Gespräch.

Tochter hatte sich in Mailand angesteckt

Am Faschingsdienstag 2020 kam der 60-Jährige gemeinsam mit seiner Tochter Christina auf die Isolierstation der Tübinger Uniklinik in Baden-Württemberg. Die Studentin hatte sich bei einer kurzen Reise nach Mailand angesteckt.

Ein Mitreisender hatte sich krank gefühlt und ließ testen. Bevor der Mediziner von seinem positiven Test erfuhr, ging er noch zwei Tage im selben Spital seiner Arbeit nach – wodurch die halbe Abteilung auch in Quarantäne musste.

Im Zuge der herzlichen Begrüßung zu Hause und einem gemeinsamen Abendessen mit der Tochter muss es zur Übertragung des Virus auf den Vater gekommen sein. „Zunächst hatte ich keine Symptome, erst etwa zehn Tage später traten Husten und Fieber auf und es kam zu einem Geschmacksverlust. In Summe war es aber ein leichter Verlauf mit keinen Spätschäden“, schildert der Arzt.

Seine Tochter sah sich aber in Sozialen Medien Anfeindungen von Freunden gegenüber, nach dem Motto: „Wie fühlst du dich, nachdem du uns das Virus nach Deutschland eingeschleppt hast?“

„Alle zwei Monate wird mir Blut abgenommen“

Seit seiner Quarantäne setzt sich Bösmüller intensiv mit dem Coronavirus auseinander. Ihm wird alle zwei Monate Blut abgenommen, um den Verlauf der Antikörper-Entwicklung und des immunologischen zellulären Gedächtnisses im Rahmen einer Studie zu dokumentieren.

„Wichtig ist, dass der Körper sogenannte neutralisierende Antikörper aufbaut, andernfalls ist man nicht vor einer Wiederansteckung geschützt“, erläutert der Pathologe: „Ich weiß, dass das bei mir der Fall ist. Dies muss aber nicht bei allen Corona-Patienten so sein. Bei mir hat sich gezeigt, dass sich zunächst viele Antikörper entwickelt haben, deren Menge aber nach einem halben Jahr zurückgegangen ist. Im Fall einer neuerlichen Infektion würde aber die Antikörper-Produktion innerhalb von Stunden hochgefahren werden, mit Krankheitssymptomen wäre in meinem Fall wahrscheinlich nicht zu rechnen. Allerdings ist nicht garantiert, dass ich in dieser Zeitlücke nicht jemand anderen anstecken kann. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt impfen war. Ich gehe davon aus, dass es wie bei der Grippeimpfung auch aufgrund der Mutationen jährlich zu einer Auffrischungsimpfung kommen wird.“

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Krankheitsverläufe im Umfeld gingen nahe

Obwohl sich Bösmüller im vergangenen Jahr keine zu großen Sorgen wegen einer Neuansteckung machen musste, haben auch ihm die Covid-19-Erkrankungen im beruflichen und privaten Umfeld – Gott sei Dank ist niemand daran gestorben – ziemlich zugesetzt. Hinzu kamen die Erkenntnisse, die er bei seinen Obduktionen gewonnen hat.

Sein jüngster Todesfall war erst 18 Jahre alt, allerdings hatte der Bursch Vorerkrankungen. „Ich habe Lungen gesehen mit derart massiven Schädigungen, wie ich es zuvor noch nie beobachtet hatte. Es hat sich gezeigt, dass der Schlüssel in der Zerstörung von Gefäßen liegt. Das ist ein immunologischer Prozess, der kleinere und mittlere Gefäße zerstört, auflöst und dann in diesen Bereichen zu Thrombosen führt. Egal, ob das etwa in der Haut, in der Lunge, im Darm oder in der Speiseröhrenschleimhaut ist“, erklärt der Pathologe.

Jetzt werde hinterfragt, welche genetische Disposition bei den Verstorbenen vorliege, denn es gebe Menschen mit guter Konstitution, die innerhalb kurzer Zeit an Covid-19 versterben.

Von Michaela Ecklbauer

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