„Mit der Gießkanne wird es nicht funktionieren“

Bundeskanzler Karl Nehammer will Hilfe gegen Inflation und teure Energie lieber zielgerichteter

Bundeskanzler Karl Nehammer mit Volksblatt-Redakteur Herbert Schicho
Bundeskanzler Karl Nehammer mit Volksblatt-Redakteur Herbert Schicho © ÖVP/Glaser

Am Dienstag besuchte Bundeskanzler Karl Nehammer Oberösterreich: neben Gesprächen mit Landeshauptmann Thomas Stelzer und Bürgermeistern, stand er auch dem VOLKSBLATT Rede und Antwort.

VOLKSBLATT: Kurz vor Jahreswechsel wurden Sie quasi „Plötzlich Kanzler“. Noch immer ist Pandemie und nun herrscht in der Nachbarschaft Krieg. Haben Sie es sich so vorgestellt?

NEHAMMER: Es war schon davor eine sehr intensive Zeit. Als Innenminister musste ich mit den Polizisten die Corona-Regeln umsetzen, dann kam der dramatische Terroranschlag. Als Innenminister war ich schon Krisen gewohnt. Aber jetzt haben wir die Herausforderung, dass eine Krise direkt in die nächste übergeht. Wir haben jetzt das Auslaufen der Omikron-Welle und auf der anderen Seite haben wir den Krieg in Europa, die Energie-Krise und die Inflation. Das sind viele Herausforderungen, vor allem für die Menschen. Die Menschen sind sehr belastet. Und da ist es wichtig, auf der einen Seite die Probleme so gut wie möglich zu lösen und auf der anderen Seite aber auch Zuversicht zu geben, dass wir schon viele Krisen gemeistert haben und auch diese Krisen meistern werden.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres wandelt nun auf Ihren Spuren und wird zuerst in Moskau und dann in Kiew vermitteln. Was kann man davon erwarten? Welche Hoffnung auf Frieden haben Sie?

Die Hoffnung auf Frieden ist derzeit noch getrübt, weil die Kriegslogik Putins sehr vehement ist. Aber es ist enorm wichtig, dass es diesen Kontakt gibt. Jedes Gespräch hilft. Und es ist wichtig, Putin immer wieder mit der Lage zu konfrontieren und auch zu animieren, über ein Ende des Krieges nachzudenken. Damit das Leid in der Ukraine aufhört. Ich unterstütze daher die Bemühungen von UN-Generalsekretär Guterres und werde danach auch mit ihm über weitere Schritte reden.

In Frankreich Marine Le Pen, in Österreich zeigt sich FPÖ-Chef Herbert Kickl als Putin- Versteher. Wie schade ist es, dass doch nicht ganz Europa mit einer Stimme spricht?

Da würde ich differenzieren: Es ist beeindruckend, wie geschlossen die Europäische Union agiert. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben ein sehr klares Sanktionsregime gegen den kriegsführenden Teil des Krieges verabschiedet. Sie haben eine klare Meinung zum Krieg und es gibt auch Hilfe für die Ukraine. Auf der anderen Seite ist das auch ein Ausdruck von Demokratie: Die EU ist ein Hort der Demokratie und es gibt natürlich unterschiedliche Meinungen und Auffassungen. Aber die Regierungschefs der EU-27 sind sich einig.

Wie neutral kann und soll Österreich überhaupt sein?

Österreich war, ist und wird immer militärisch neutral bleiben. Wir sind nicht Teil eines Bündnisses und das ist auch eine Position, in der man, wie ich, in Moskau und Kiew Gespräche führen kann. Aber wir sind sehr klar positioniert: Wir helfen der Ukraine mit Hilfslieferungen, mit humanitärer Hilfe, wir liefern Schutzanzüge, Rettungsautos, aber wie liefern weder Waffen noch Munition. Und wir geben bereits über 58.000 Ukrainerinnen und Ukrainern Schutz in Österreich.

Und welche Perspektive kann die EU der Ukraine geben, Stichwort EU-Beitritt?

Das Beitrittsansuchen ist gestellt und das läuft jetzt. Aber Österreich hat immer klar gesagt, dass schnelle Hilfe für die Ukraine zählt. Jetzt soll rasch und unbürokratisch geholfen werden und dann braucht es Aufbauhilfe. Ein EU-Beitrittsprozess ist zeitintensiv und komplex. Jetzt geht es um die schnelle Unterstützung und danach auch um den Aufbau der zerstörten Infrastruktur.

Der Krieg wirkt sich massiv auf die Energiepreise aus. Reichen die Pakete gegen die Teuerung? Und wann wird der versprochene Strom-Gutschein bei den Bürgern ankommen?

Wir haben bereits mehrere Unterstützungsmaßnahmen gesetzt. Das erste Anti-Teurungspaket ist bereits in Umsetzung. Das zweite wird der Nationalrat nun beschließen. Da gibt es eine Fülle von Maßnahmen, die treffsicher dort ankommen, wo es am notwendigsten ist. Das Aussetzen der Ökostrompauschale hilft natürlich allen, und auch der Strom-Gutschein soll in Kürze bei den Menschen ankommen.

Das Paket im Nationalrat wird nicht das letzte sein?

Nein. Wir werden uns Schritt für Schritt gegen die Teuerung stellen. Wir müssen uns auch für den Herbst rüsten. Wir führen mit den Sozialpartnern intensive Gespräche …

SPÖ und FPÖ hätten gerne eine Senkung der Mehrwertsteuer bzw. bei Lebensmitteln sogar eine Aussetzung. Wäre das auch für Sie denkbar?

Das sind Maßnahmen, die Null zielgerichtet sind. Wenn sie die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel senken oder gar weglassen, brächte das vielleicht etwa acht Prozent Ersparnis für diesen Bereich. Aber es ist nicht garantiert, dass der Preis nicht trotzdem steigt.. Wir wollen zielgerichtete Maßnahmen für diejenigen, die besonders unter der Teuerung leiden und kein Gießkannenprinzip.

Anders gefragt: Was können wir uns leisten und was sollen wir uns leisten?

Wir müssen weiterhin dort helfen, wo es notwendig ist und wo es Sinn macht. Es geht darum, dass der soziale Wohlfahrtsstaat in Österreich nicht kippt. Die Maßnahmen müssen dort greifen, wo sie gebraucht werden. Mit der Gießkanne wird es nicht funktionieren.

Sollte man die CO2-Bepreisung etwas nach hinten verschieben?

Die ist ohnehin in die ökosoziale Steuerreform eingebunden und es ist dort ein Mechanismus eingebaut, dass Entlastungen kommen, wenn die Energiekosten extrem hoch sind. Es gibt den Investitionsbonus, es gibt den Klimabonus. Wir sind sehr bedacht, dass den Menschen kein Nachteil daraus entsteht.

Gerade die Industrie in Oberösterreich ist von den Energiekosten besonders betroffen. Was kann und was wird die Politik unternehmen?

Viele dieser Maßnahmen helfen auch der Industrie. So bringt etwa die befristete Senkung der Erdgas- und Elektrizitätsabgabe 900 Mio. Euro Entlastung. Es gibt Liquiditätshilfen und eine befristete Entlastung des Treibstoffaufwandes für inländische KMU mit hohem Treibstoffaufwand. Große Unternehmen werden in Summe um drei Millionen Euro entlastet.

Sie stellen sich in knapp drei Wochen der Wahl zum ÖVP-Obmann. Warum tut man sich das an?

Es ist eine große Ehre, Obmann einer Partei sein zu dürfen, die maßgeblich die zweite Republik aufgebaut hat. Die für Innovation, Eigentum und Selbstbestimmtheit steht. Die Volkspartei ist ein wichtiger, nicht wegzudenkender gesellschaftspolitischer Faktor, wenn ich an die vielen ehrenamtlichen Funktionäre, an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, an die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte denke. Die Volkspartei hat als Partei, als Organisation und auch inhaltlich so viel zu bieten, dass es – bei allen Schwierigkeiten, die es unbestritten derzeit gibt – ein großes Privileg ist, Obmann sein zu dürfen.

Und wo sehen Sie die ÖVP in fünf bzw. zehn Jahren?

Mit Prognosen muss man vorsichtig sein. Aber was ich versprechen kann ist, dass ich mich als Obmann dafür einsetzen werde, dass die Volkspartei einen guten Weg nimmt.

Mit Bundeskanzler KARL NEHMAMMER sprach Herbert Schicho

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