„Möchte meine Freiheit zurück“

Eine Corona-Infektion kann auch für junge Menschen schwere Folgen haben. Zwei von Long-Covid-Betroffene sind Iduna (16) und Elias (17). Nach der Akut-Erkrankung verbesserte sich ihr Gesundheitszustand. Wenig später traten aber viele unterschiedliche Symptome auf, von einer Normalität ist heute bei weitem noch keine Spur. Während Elias in der Kinderreha kokon in Rohrbach-Berg schon große körperliche Fortschritte gemacht hat, zeichnen sich bei Iduna erste kleine Lichtblicke ab.

Beim Training mit dem Motomed wird Iduna von Therapeutin Valeria unterstützt und überwacht. © kokon

Normalerweise würde Iduna Smolnig (16) derzeit in der 10. Schulstufe die Schulbank drücken, doch seit ihrer Covid-Erkrankung im März 2020 ist nichts mehr wie zuvor. Zunächst war die Infektion weniger schlimm als bei ihrer Mutter, doch etwa eine Woche nach ihrer Genesung fingen die gesundheitlichen Probleme richtig an.

Immer wieder litt die Schülerin unter massiven Herz-Kreislauf-Problemen, Sehstörungen, Gelenksschmerzen und totaler Erschöpfung. Mutter Birgit pilgerte mit ihr in Wien und NÖ von Arzt zu Arzt, auch Krankenhausaufenthalte waren dabei, aber die Blutbefunde waren normal und viele Mediziner ratlos. Zu schnell wurden die körperlichen Symptome als psychosomatische Probleme abgetan.

Erst als die Mutter im Internet auf eine Long-Covid-Selbsthilfe- gruppe in England stieß, kam sie auf die richtige Fährte und fand nach langem Suchen einen kompetenten Neurologen in Wien, der sie endlich ernst nahm.

Körperliches Training verschlimmerte Symptome

Dazwischen lag ein langer Leidensweg, oft gut gemeinte Ratschläge, doch viel in die frische Luft zu gehen und ein körperliches Training zu beginnen, waren – wie man heute weiß – genau das Falsche. Die Symptome verschlimmerten sich. Iduna und ihre alleinerziehende Mutter, die ihre berufliche Selbstständigkeit aufgeben musste und derzeit ihre ganze Kraft der Betreuung der Tochter widmet, erlebten kaum Höhen aber viele Tiefen.

Gelang es zunächst noch das Sommersemester 2020 in der Schule mit Distance Learning und viel Goodwill ihrer Lehrer abzuschließen, ist derzeit an Unterricht nicht zu denken. Denn im Herbst kam wieder ein großer Crash. Iduna ist momentan so kraftlos, dass sie im Rollstuhl sitzt und bei allem auf Hilfe angewiesen ist. „Durch die lange Suche nach einer adäquaten Therapie haben wir viel Zeit verloren, das sehen wir derzeit auch bei der Reha“, schildert Birgit Smolnig, die zum Gründungsteam der Selbsthilfegruppe „Long Covid Kids Austria“ gehört, dem VOLKSBLATT. Ihr Hauptanliegen neben der Gesundheit ihrer Tochter ist, „dass sich mehr Ärzte mit Long Covid auseinandersetzen“.

Heute, zwei Jahre nach ihrer Infektion, macht Iduna bei ihrer Long-Covid-Reha im kokon in Rohrbach-Berg immerhin kleine Fortschritte. „Das Motomed-Training ist cool“, erzählt sie. Dabei geht es um die Kräftigung der Beinmuskeln, je nach Tagesverfassung mit selbst treten oder passiv durch den motorbetriebenen Bewegungstrainer. Ziel dabei ist, dass sich der Puls auf normale Werte einpendelt, um den Kreislauf zu stabilisieren. Denn an manchen Tagen sind sogar freudige Ereignisse für die Jugendliche viel zu anstrengend, ein Buch zu lesen ebenso unmöglich wie einen Film mit etwas Spannung anzusehen.

Musikhören und Zeichnen als Motivation

Um an ihrem Schicksal nicht zu verzweifeln, versucht sich Iduna mit positiven Sätzen zu motivieren, auch Musikhören oder Zeichnen lenkt die tapfere Jugendliche von ihren schweren Einschränkungen ab. „Ich höre gerne Nina Hagen oder Siouxsie and the Banshees“, erzählt sie im Telefonat.

Iduna im Gespräch mit ihrer Ärztin Beate Biesenbach ©kokon

Ihr größter Wunsch: „Ich möchte meine Freiheit wieder zurück und alltägliche Dinge machen können. In krassen Situationen lernt man damit umzugehen, weil es nicht anders geht“, sagt sie bescheiden. „Eine Reise nach Japan würde ich auch ganz gerne einmal machen“, steckt sie sich ein großes Ziel.

Herzrasen schon beim Aufstehen

In der Kinderreha kokon in Rohrbach-Berg hat man sich auf Jugendliche wie Iduna spezialisiert. Pro Turnus – vier Wochen mit möglicher Verlängerung – werden seit 1,5 Jahren bis zu sieben Kinder- und Jugendliche mit Long Covid betreut. „In der Zeit haben wir uns intensiv mit der Studienlage auseinandersetzen müssen, weil die klassische Reha mit Grundlagen/Ausdauer und Krafttraining für diese Patientengruppe nicht geeignet ist“, sagt Beate Biesenbach, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und stv. Ärztliche Direktorin.

„Die Symptome sind sehr unterschiedlich, und nachdem Long Covid eine Ausschlussdiagnose ist, sind neben der Basisabklärung Experten aus allen Spezialgebieten der Pädiatrie gefordert. Der Zugang gestaltet sich oft schwierig und endet nach unauffälligen Blutwerten, Herz- und Lungenuntersuchungen häufig in der Psychosomatik. Dabei gibt es fassbare Auffälligkeiten: Viele Jugendliche berichten über Herzrasen schon beim Aufstehen, Essen oder langsamen Spaziergang. Das kann man im sogenannten NASA Lean Test bestätigen: Dabei steigt der Puls um 40 Schläge pro Minute, wenn die Jugendlichen aus dem Liegen aufstehen, ihnen wird schwindlig, der Blutdruck bleibt hingegen gleich oder steigt ein wenig. Sie haben eine Dysregulation des Kreislaufs, das sogenannte POTS (Posturale Tachykardiesyndrom). Autoimmunologische Faktoren – Zustände, wo der Körper Antikörper gegen körpereigene Strukturen bildet – , chronische Entzündungsmediatoren und genetische Faktoren spielen eine Rolle. Unsere Reha-Patienten waren in der Akutphase nur leicht oder mittelschwer erkrankt. Manche wurden jedoch nicht mehr gesund, bei anderen stellten sich die Probleme innerhalb von drei Monaten ein“, erklärt Biesenbach.

„Wir versuchen herauszuarbeiten, was man den Patienten zumuten kann, damit es nicht zu einer Verschlechterung kommt – manche mussten die Reha aus diesem Grund auch abbrechen. Eine zentrale Rolle haben Entspannungsübungen, eine Pulsuhr zeigt die Herzfrequenz laufend an. Mitunter braucht es Medikamente, um die Herzfrequenz zu senken. Viele haben auch ein Histamin-Problem, das bei der Ernährung berücksichtigt und mit Antihistaminika behandelt werden muss. Wir schauen, dass sie die richtigen Vitamine und Mikronährstoffe – etwa Vitamin B12, C, D, Zink und Selen – bekommen. Atemübungen, Biofeedback, Entspannungsübungen im Wasser – sofern es der Kreislauf zulässt – stehen ebenso am Programm wie herzfrequenzadaptiertes Kraft und Ausdauertraining“, erläutert Biesenbach.

Auf den Energiehaushalt zu achten und nicht dauernd an und über die Grenze zu gehen, Frühwarnzeichen zu erkennen und generell mehr Wissen über Long Covid anzueignen ist ein ebenso wichtiger Teil der Reha.

Kurzzeitgedächtnis ist noch weg

Elias (17), der nach einer Infektion mit dem Ebstein Barr Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber) bereits Kreislauf-Probleme hatte erkrankte Mitte Dezember 2021 trotz zweifacher Impfung schwer an der Delta-Variante von SARS-Co-V-2. Nachdem er sich anfänglich wieder erholte, kam im Jänner ein schwerer Crash. Der einst sportliche junge Mann war nur noch müde und schlief an manchen Tagen bis zu 22 Stunden, ein Schulbesuch ist seither unmöglich. In der Reha hat er mit Medikamenteneinstellung zwar große Fortschritte gemacht, Kopfschmerzen und Schwindel – zuvor ständige Begleiter – sind besser, auch sportliche Betätigungen sind wieder möglich, aber das Kurzzeitgedächtnis ist noch völlig weg.

„Ich kann kein Buch lesen, geschweige denn etwas auswendig lernen. Sobald ich einen Satz lese, ist der vorhergehende schon wieder in Vergessenheit geraten“, schildert er dem VOLKSBLATT: „Mein größter Wunsch wäre, dass wieder Normalität in meinen Alltag einkehrt. Dass ich wieder in die Schule gehen und Freunde treffen kann und der Geruchs- und Geschmackssinn zurückkehren.“

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