Mörderische Elementarteilchen

Von Linz ins Genfer CERN: Wilfried Steiners Roman „Schöne Ungeheuer“

Lässt seinen tollpatschigen Helden zwischen Hochleistungsphysik und schwerst romantischen Gefühlen irren: Wilfried Steiner
Lässt seinen tollpatschigen Helden zwischen Hochleistungsphysik und schwerst romantischen Gefühlen irren: Wilfried Steiner © Volker Weihbold

„Wieder schaute ich eine Spur zu lange in ihre Topkapi-Augen. Als erzeugten sie ein magisches Gravitationsfeld, das die Menschen in ihrer Nähe unwiderstehlich anzog. Jelena entging das nicht. ‚Nur Mut‘, sagte sie, und der Satz klang mehrdeutig in meinen Ohren.“

Lesern von Wilfried Steiners Romanen sollte der „Held“, der Ich-Erzähler, in wesentlichen Charakterzügen bekannt vorkommen. In „Der Trost der Rache“ (2017) ließ Steiner einen ähnlich tollpatschigen, schwerst sympathischen Schwerenöter auftreten.

Im fabelhaftem neuen Roman „Schöne Ungeheuer“ heißt der Protagonist Georg Hollaus. Seine Lebensgefährtin hat er verloren (schmählicherweise an einen Autor von populärpsychologischen Ratgebern), sein eigenes Buch über die rätselhafte Explosion in der sibirischen Tunguska 1908 will dem frustrierten Wissenschaftsjournalisten Hollaus nicht und nicht von der Hand gehen.

Komet oder Meteorit, der über oder auf der Erde explodierte? Hollaus lässt sich ungern wegen eines schnöden Mordes aus seinen trüben Grübeleien reißen. Ein Physiker-Kongress in Linz, seltsame Beinahe-Gleichzeitigkeit von zwei Todesfällen. Ein snobistischer Weiberheld und Physiker wird nach einem präzisen Stich in den Hals tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. In schweren Verdacht gerät die exzellente Physikerin Jelena, deren Vater, gleichermaßen angesehener und umstrittener Physiker, ebenfalls in jener mörderischen Nacht stirbt.

Wissenschaftsroman, Versatzstücke des Film Noir, das ganz normale patscherte Leben – Wilfried Steiner hat in „Schöne Ungeheuer“ wieder seinen ganz eigenen Sound gefunden. Der Roman liest sich enorm geschmeidig, obwohl – in diesem Fall: weil! – Steiner im eleganten Plauderton Großartigkeiten der modernen Physik einflicht. Sein Held Hollaus reist mit der engagierten und blitzgescheiten Anwältin Eva nach Genf, um im CERN, dem Tempel auf der Suche nach des Pudels physikalischem Kern, Licht ins Dunkel des Mordes zu bringen.

Frankenstein & Wynona

Eva ein Fan von Mary Shelleys Klassiker „Frankenstein“, den Steiner schön an Wissenschaftern des CERN spiegelt, die ebenfalls gerne Gott spielen. Wie sich rasch herausstellt, herrscht im CERN eine erbitterte Gegnerschaft. Verfechter der (Super-)Stringtheorie geraten an jene, die das funkelnde Theoriegebilde als unbeweisbar ablehnen. Eine Meinungsverschiedenheit als Motiv für einen Mord, zumal damit eine Menge Prestige und Geld verbunden ist?

Winona Ryder, Jean Seberg in Godards Klassiker „Außer Atem“ – der 1960 in Linz geborene Steiner, im Zweitberuf künstlerischer Leiter des Linzer Posthofs, fährt schwere Geschütze auf. Alles, um Jelena, dem in U-Haft wartenden Gravitationszentrum von „Schöne Ungeheuer“, zu huldigen. Bluttriefende Romantik trifft auf schillernde Wissenschaft, das Buch lässt sich locker in ein, zwei Nächten verschlingen. So sexy die Erforschung von Elementarteilchen, so widersprüchlich und verblüffend die Motive des schön/hässlichen Ungeheuers Mensch.

Wilfried Steiner: „Schöne Ungeheuer“. Otto Müller Verlag, 316 Seiten, 25 Euro

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