Musikalische Fähigkeiten helfen auch im Parlament

Den Umgangston im Hohen Haus benotet Nationalratspräsident Sobotka mit einem Zweier – Österreich gehe gut mit aktuellen Krisen um

Lebendiger Parlamentarismus lebe von Rede und Gegenrede. Im internationalen Vergleich ortet der Präsident einen guten Umgangston im Hohen Haus.
Lebendiger Parlamentarismus lebe von Rede und Gegenrede. Im internationalen Vergleich ortet der Präsident einen guten Umgangston im Hohen Haus. © Parlamentsdirektion/Zinner

Warum sich die Menschen auch in Zeiten der Corona-Pandemie auf das Parlament verlassen können, das erklärt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im VOLKSBLATT-Interview. Er sagt ebenso, wieso er dem Umgangston im Plenum die gute Note zwei gibt.

Und der Musiker – Sobotka studierte neben Geschichte auch Violoncello und Musikpädagogik in Wien sowie Dirigieren am Linzer Brucknerkonservatorium – findet, dass Erfahrungen in der Musik auch im Parlament nützlich sind.

VOLKSBLATT: Kann es passieren, dass auch das Parlament in einen Corona-Lockdown muss?

SOBOTKA: Wir haben schon im März gesehen, dass das Parlament nicht in einen Lockdown geht. Die Legislative muss immer funktionieren, um gesetzliche Grundlagen zu schaffen, auf deren Basis die Regierung Verordnungen erlassen kann. Die Menschen müssen das Vertrauen haben können, dass die staatlichen Institutionen funktionieren. Aber wir versuchen, uns gegen Infektionsgefahren zu schützen. Wir testen etwa am Vortag und am Parlamentstag, wir haben Plexiglaswände, wir desinfizieren und empfehlen, die Masken zu tragen.

Gehen alle Abgeordneten verantwortungsvoll mit der Bedrohung um?

Als Nationalratspräsident vergebe ich da keine Noten. Ich bemühe mich, alle zu überzeugen und zu motivieren. Es gibt auch Kritiker, nicht alle Parlamentarier haben eine klare Haltung zu den Vorgaben. Trotzdem sind wir bisher gut über die Runden gekommen.

Beunruhigt Sie persönlich die Corona-Situation?

Natürlich. Denn es geht uns darum, vulnerable Gruppen bestmöglich zu schützen. Auf der anderen Seite ist dieses Virus so unberechenbar: Wir haben auch junge Menschen ohne Vorerkrankungen auf der Intensivstation liegen. Was mich bekümmert, ist, dass offenbar viele Menschen immer gesetzliche Rahmenbedingungen brauchen, um sich so zu verhalten, wie es in einer Pandemie notwendig erscheint.

Wie benoten Sie als ehemaliger Lehrer den Umgangston im Parlament?

Auf der einen Seite bekommen wir immer wieder Rückmeldungen, wonach der Umgangston ein sehr rauer sei. Aber Parlamentarismus lebt von einer lebendigen Rede und einer Gegenrede. Im europäischen Vergleich würde ich unseren Parlamentariern insgesamt einen Zweier geben. Es gibt natürlich Ausrutscher und Situationen, mit denen man nicht zufrieden sein kann.

Ein rauer Umgangston herrscht auch im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Auch an Ihnen hat es Kritik gegeben. Bleiben Sie in jedem Fall Vorsitzender?

Ich folge dem Gesetz. Und demnach führt der Präsident den Vorsitz oder seine Stellvertreterinnen und Stellvertreter. Dass es manchmal unglücklich verlaufen ist, tut mir persönlich leid. Oft ist die politische Profilierung im Mittelpunkt gestanden und nicht das Interesse an der sachlichen Aufklärung. Wir haben eine Verfahrensrichterin gehabt, die sehr engagiert begonnen, dann aber gesagt hat, sie möchte sich das nicht antun, weil der Umgangston ein sehr rüder wäre.

Sind U-Ausschüsse in dieser Form sinnvoll, wenn sie für solche politische Profilierung verwendet werden?

Das Instrument ist ja allen ein Anliegen. Die Beurteilung, wie das in der Öffentlichkeit wirkt, muss ich der Öffentlichkeit überlassen. Ich versuche, den zentralen Fragen nachzugehen. Aber oft versucht man auf anderen Feldern, den Ausschuss in eine besondere Situation zu bringen. Das ist schade, denn Demokratie kostet auch etwas und soll daher effizient sein.

Auch der Parlamentsumbau kostet etwas, mehr als ursprünglich veranschlagt. Ist das zu rechtfertigen?

Dadurch, dass es zu Bauzeitverlängerungen kommt – man hat etwa Asbest gefunden und seit März ist Corona unser Gegner –, ist es zu Kostensteigerungen gekommen. Zudem sind in den ursprünglichen Planungen vor meiner Zeit etwa die Außenfassade nicht im Auftrag inbegriffen gewesen. Dann hat man erkannt, dass da aber auch Reparaturen nötig sind. Bei den Kosten bewegen wir uns aber noch immer in dem Verhältnis, das man 2014 beschlossen hat, nämlich Abweichungen von plus-minus 20 Prozent.

Was ist schwieriger zu dirigieren: das Waidhofener Kammerorchester oder der Nationalrat?

Man kann beides nicht vergleichen. Die Kunst hat eine andere Zugänglichkeit: Musiker im Orchester haben das Ziel, ein Werk bestmöglich aufzuführen. Da gibt es nicht eine Situation mit Opposition und Regierungsfraktion. Aber natürlich ist eine Verantwortung und eine Haltung sowohl beim Musizieren als auch im Parlament von Vorteil. Und gewisse Grundeigenschaften eines Musikers wie Ausdauer, Konsequenz, Genauigkeit sind auch im Parlament dienlich.

Just im Jubiläumsjahr gibt es mit Corona & Co. viele Krisen. Schaffen wir das?

Ich glaube, uns stellt sich nicht die Frage, ob wir es schaffen, sondern wie wir es schaffen. Wir sind ja letztlich alle angetreten, um auch Krisen zu meistern. Und was wir bisher getan haben, hat gezeigt, dass Österreich mit einer großen Verantwortung an die Sache herangeht. Und es sind ja weltweite Krisen, nicht österreichische. Wir müssen uns klarmachen, dass wir viele Herausforderungen der letzten 100 Jahre durch gemeinsames Zusammenstehen gemeistert haben.

Eine weitere Krise ist jene des islamistischen Terrors. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Die Situation des politischen Islamismus ist nicht neu. Das hat sich in rund 40 Jahren entwickelt. Vieles hat man lange unterschätzt. Aber gerade die Regierung Kurz ist sich dieser Sache sehr bewusst. Maßnahmen zur Integration sind ebenso wie Maßnahmen im strafrechtlichen Bereich die wesentlichsten Schritte, um mit dieser Gefahr für die Demokratie in ganz Europa fertig werden zu können. Und in Österreich ist man rasch zu Ergebnissen gekommen. Aber es gibt keinen hundertprozentigen Schutz. Die Tatsache, dass es noch in der dreitägigen Staatstrauer politische Untergriffe gab, stimmt mich etwas traurig.

Warum hat die Öffentlichkeit früher die Entstehung von Parallelgesellschaften unterschätzt?

Man hat Menschen aus anderen Kulturkreisen als Gastarbeiter geholt und zu wenig auf deren soziale und gesellschaftliche Strukturen geachtet. Aber schon in den 2000er-Jahren hat man gewarnt, dass es aus dem Ausland finanzierte Prediger nicht gut mit Österreich meinen. Dann kamen die großen Migrationsbewegungen. Das hat auch das gesellschaftliche Bild gewandelt und viele haben sich – mitunter unterstützt von ihren Herkunftsländern – radikalen Predigern zugewandt. Da gibt es Menschen, die die Religion missbrauchen. Das wird aber nicht funktionieren in einem Land, das sich seine Freiheit erkämpft hat, die Aufklärung hinter sich hat und Menschenrechte hochhält und für alle verbindlich festgelegt hat. Wesentlich ist, dass die islamische Glaubensgemeinschaft nachhaltig und glaubhaft diesen Extremisten entgegentritt.

Haben Sie bereits Vorsätze für die Vorweihnachtszeit?

Derzeit bin ich noch nicht so in vorweihnachtlicher Stimmung, weil die Problemlage noch im Vordergrund steht – etwa die wirtschaftliche Entwicklung nach Corona, die Lage der Schülerinnen und Schüler, der Künstlerinnen und Künstler. Unabhängig vom Glauben: Die Weihnachtszeit sollte auch der Einkehr dienen. Es ist auch die Frage der Werthaltung, die zu Weihnachten auf dem Prüfstand steht. Weihnachten ist auch ein Anlass für Reflexion. Und es zeigt uns Menschen unsere Endlichkeit und dass noch etwas anderes über uns steht.

Mit Nationalratspräsident WOLFGANG SOBOTKA sprach Christian Haubner

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