„Nach der Szene war ich ein, zwei Tage wirklich down“

Murathan Muslu über Kränkungen, Jeans am Roten Teppich und sein musikalisches Comeback mit Sua Kaan Music

Am Weg: Schauspieler Murathan Muslu
Am Weg: Schauspieler Murathan Muslu © Starpix/Tuma/picturedesk.com

Weit hergeholt ist Hollywood bei Schauspieler Murathan Muslu (39) nicht: Im August startet die Serie „Am Anschlag“ auf ZDFneo, nächstes Jahr geht es mit den „Vorstadtweibern“ auf ORF weiter, Stefan Ruzowitzkys „Hinterland“ feiert beim Film Festival in Locarno, das am Mittwoch startet, seine Weltpremiere — und überall spielt der sympathische und wandlungsfähige Wiener eine entscheidende Rolle.

VOLKSBLATT: Was drehen Sie eigentlich lieber: mehrteilige Geschichten, bei denen man die Figuren entwickeln kann, oder Filme?

MURATHAN MUSLU: Das hängt einfach nur vom Projekt ab. Ich mache das nach Bauchgefühl. Wenn es mich interessiert, mache ich nicht viel Unterschied, ob das eine Serie, oder ein Film ist. Es gibt Serien, die sind auf Ultra-HD aufgebaut, die vernachlässigen oft diesen Filmlook – manchmal beabsichtigt, manchmal nicht. Ich bin sehr optisch veranlagt und deswegen ist es mir sehr wichtig, dass das Ganze immer so einen leichten Filmlook hat. Das sind schon mal 30 Prozent für eine Zusage.

Bei den „Vorstadtweibern“ sind Sie seit 2018 zu sehen. Was überwiegt da: der Vorteil, immer etwas zu drehen zu haben, oder engt das für andere Projekte schon sehr ein?

Ich achte sehr darauf, dass ich nicht zu lange in einer Serie drin bin, bzw. nicht zu oft vorkomme, damit man nicht bei anderen Projekten dann mein Gesicht oder mein Movement damit assoziiert. Das Image kriegst du nicht mehr weg. Also, wenn man „Columbo“ kennt, dann sieht man Peter Falk in anderen Filmen gerne auch als Columbo. Der Einzige, der das meiner Meinung nach schafft, wenn ich schnell drüber nachdenke, ist Sean Connery. Der hat es geschafft, dass er von „James Bond“ aus andere Sachen machen konnte, und man nicht an James Bond gedacht hat.

Bei den „Vorstadtweibern“ ist aber jetzt wirklich Schluss …

Eigentlich wollte ich mit der letzten Staffel schon aufhören, aber bei einem Gespräch mit der Produktion habe ich mir gedacht: Ja, jetzt zum Abschluss noch ein rundes Ende.

Ich habe mit Jürgen Maurer und Faris Rahoma ‘mal nachgedacht über ein Spin-Off der „Vorstadthaberer“. Könnten Sie sich das vorstellen?

Meine Lieblingsfiguren sind ja die von Ruth Brauer-Kvam und Thomas Mraz als Polizisten. Das fände ich ein gutes Spin-Off mit den beiden. Das würde ich ohne Ende gucken, die sind ohne Ende lustig. „Vorstadthaberer“ wäre auch eine gute Idee, das klingt schon interessant. Da müssen Sie noch die anderen Kollegen fragen, ich finde es super.

„Am Anschlag“ ist eine wahnsinnig intensive Geschichte und man kommt den Figuren sehr nahe. Gibt es Szenen, die Ihnen schwergefallen sind, gerade weil es so eine emotionale Story ist?

Es gibt da diese Toilettenszene, da versuche ich mir selber weh zu tun. Ich fand es spannend, genau bei dieser Szene nicht auf die Figur zurückzugreifen. Ich kam während dem Duschen oder so auf die Idee, ich spiele da gar nichts von der Figur. Ich dachte: Tu mal so, als würdest du selber so reagieren, also ich, als Murathan Muslu. Das fand ich sehr spannend, aber nach der Szene war ich noch ein, zwei Tage wirklich down. Da braucht man Zeit, dass man wieder rauskommt, wieder hochkommt. Die Szene ist sehr extrem, brutal und ich hatte diese coole Idee eben einmal etwas Anderes zu machen. Ansonsten versuche ich, dem Drehbuch treu zu bleiben.

Das Thema Kränkung spielt eine zentrale Rolle. Wenn man sich so eine Rolle erarbeitet, denkt man darüber nach, was einen selbst kränkt?

Man denkt sicher drüber nach, und ich bin der Meinung, dass alle Probleme, die wir haben, im Grunde mit einer Kränkung zu tun zu haben. Alleine das Fallen und das Versuchen, wieder aufzustehen … ich erkläre es mal so: Du schwimmst Stunden auf offener See, ertrinkst langsam, aber kämpfst immer wieder, um nach oben zu kommen, um Luft zu schnappen. Das beschreibt meine Figur wohl am besten, glaube ich, vom psychologischen, von meiner Spielweise her.

Gibt es Parallelen zwischen Ihnen und Georg?

Bis auf die Physis eher nicht so. Ich meine, jeder Mensch ist tagtäglich von Problemen gefordert und man versucht, die irgendwie zu lösen. Das ist natürlich eine Parallele, aber das trifft so auf alle Menschen in irgendeiner Form zu. Ich hoffe, dass man sich genau darüber auch nach der Serie Gedanken macht.

Sie sind erfolgreicher Schauspieler, aber Drehbuchschreiben interessiert Sie auch …

Ja, immer wieder. Ich habe es schon zweimal versucht, einmal hat es sogar geklappt. Da habe ich eine Förderung bekommen. Aber ich habe nicht viel Zeit dafür und konzentriere mich da lieber auf eine Sache. Und es steckt ja echt viel Arbeit dahinter. Respekt auch an alle Drehbuchautoren da draußen: Das ist nicht einfach, das Ganze. Aber ich bin echt immer gerne bei Meetings dabei, wo über Filme geredet wird und Ideen gesucht werden. Wenn dann eine Idee von mir genommen wird, dann freue ich mich.

Bei „Am Anschlag“ hört Ihre Figur Rammstein. Sie kommen aus einer anderen musikalischen Ecke. Ist diese Karriere abgeschlossen, oder hat „Skylines“ Sie wieder auf den Geschmack gebracht, zu rappen?

Das war eigentlich schon passé, das Ganze. Aber meine alten Kumpels von damals und ich, wir haben jetzt das Indie Label Sua Kaan Music gegründet und feiern jetzt – nach 14 Jahren oder so – wieder ein Comeback, aber diesmal mit einem anderen Sänger, mit dem wir in Österreich versuchen, etwas Großes zu starten, wenn möglich auch in Deutschland. Mit Ben Saber wird noch was Großes kommen und wir hoffen, dass wir mit ihm so Richtung Amadeus Award gehen und noch größere Sachen schaffen. Ich steh aber mehr im Background, und Ben steht im Vordergrund. Mir macht es halt Spaß, irgendwas mit Musik zu machen und für Musik ist man nie zu alt. Vielleicht hat „Skylines“ etwas in mir geweckt, aber auf jeden Fall geht es wieder in eine coole Richtung, und es wird wieder professionell, das Ganze.

In Locarno feiert „Hinterland“ Weltpremiere. Freuen Sie sich, dass es wieder Festivals live gibt? Und ist dieser Rote-Teppich-Starrummel eigentlich so Ihre Sache?

Ehrlich gesagt nicht. Man sieht die Leute auf dem Roten Teppich, die perfekt angezogen sind, oder auch nicht … je nach Geschmack. Ich fühl’ mich halt in Jeans und T-Shirt wohler, aber da würde ich dann vielleicht das Festival in Misskredit bringen. Könnte ich in Jeans und T-Shirt da auftauchen, vor allem bei der Hitze, wäre es mir lieber, als mit ‘nem Hemd und ‘nem Sakko. Ich bin eher zurückhaltend und solche Events geben mir nicht so viel. Das gehört dazu, das ist Fluch und Segen zugleich. Aber ich bin halt gerne zuhause und nicht so gern in der breiten Masse. Und wegen Corona sollte man vorsichtig sein. Ich hoffe, es werden Schutzmaßnahmen getroffen, damit da nichts Gröberes noch passiert.

Sie drehen mit Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky, mit Joseph Gordon-Levitt. Steht Hollywood an der Spitze Ihrer beruflichen Wunschliste?

Ja, ich glaube, es ist von vielen Schauspielern ein Ziel, international zu drehen. Es muss ja nicht Hollywood sein, aber ich wäre schon froh, wen ich irgendwann vielleicht einmal das Glück habe, etwa in Frankreich zu drehen. Ich kann zwar nicht Französisch, aber vielleicht brauchen sie ja einen deutschsprachigen Schauspieler. Oder Dänemark, Schweden, Brasilien … also wenn ich einmal international agieren könnte, das fände ich gut. Ein japanischer Film wäre auch super. Ich stehe echt auf japanische und koreanische Filme. Aber es kann ja beruflich auch morgen mit mir zu Ende sein. Wie es im Job halt ist: einmal kriegst du ‘was, und dann kriegst du überhaupt nichts mehr, das kann ja sein. Ich bleibe lieber am Boden und nehme das, wo mein Bauchgefühl mir sagt, das ist gut für mich.

Was steht jetzt aktuell an?

Ich bin bei einer Netflix-Serie dabei. Dreharbeiten sind ab ca. Mitte August in Krakau. Mehr kann ich darüber leider nicht sagen. Es wird auf jeden Fall spannend.

Mit MURATHAN MUSLU sprach Mariella Moshammer

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