Nahe fremde Welt Fernost

Leopold Federmairs Roman „Die lange Nacht der Illusion“

Leopold Federmair: Die lange Nacht der Illusion. Otto Müller Verlag, 285 Seiten, 23 Euro © Otto Müller Verlag

Yuuki, die „Einzelgängerin“, arbeitet in einem modernen Büro, alle „Angestellten saßen vor einem Terminal, durch unsichtbare Drähte, Linien, Gespinste miteinander verbunden“.

Und weiter: „Hatten sie ihr Tagespensum erledigt, machten sie sich still und schleunig wie Kinder, die etwas angestellt haben, aus dem Staub; oder wie Figuren in jenen Science-Fiction-Filmen, die in Pixel zerfallen und Augenblicke später irgendwo anders sind, an einem Ort, der mit dem hiesigen nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.“

Ich-erzähle-euch-jetzt-eine-Geschichte

Leopold Federmair entführt den Leser wieder nach Fernost, wo der 1957 in Wels geborene Autor seit 2006 lebt. Anders als im leichter zugänglichen Vorgänger „Tokyo Fragmente“ (2018) baut Federmair im neuen Roman „Die lange Nacht der Illusion“ einige Hürden ein. Eine ist die vorangestellte Reflexion über das Erzählen, über Gleichzeitigkeit und Fluss der Zeit. Federmair hinterfragt das Ich-erzähle-euch-jetzt-eine-Geschichte des Autors; jene Illusion aus Wörtern, Sätzen etc., die seltsamerweise hin und wieder auf das Leben passt.

Wer sich auf das gedankliche Spiel einlässt, erntet reichlich. Federmair hat einen sehr stimmigen Sound gefunden für eine dem Alteuropäer noch einigermaßen fremde Welt. Alltag, der sauber und wie durch Watte gedämpft dahinschnurrt. In einer Oberfläche aus Höflichkeit und sozialem Wohlverhalten tun sich Ritzen und Klüfte auf.

Ein violetter Müllsack, unzulässig vollgestopft mit Krimskrams, erregt den Unmut des „Wohnkomitees“ der Siedlung. Die eben zugezogene Yuuki fühlt sich verdächtigt. Sie freundet sich mit der Nachbarin an. Die Nachbarin schwanger und mit koreanischen Vorfahren, als Beinahe-Ausländerin ebenfalls „verdächtig“. Beide Frauen zufällig mit „verstrahlten Omas“, ein Scherz im Kaffeehaus und ein Abgrund japanischer Geschichte.

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Yuuki ist die Frau von Theo, einem Übersetzer und wohl auch Abbild des Autors. Die beiden leben getrennt, sind Eltern einer halbwüchsigen Tochter. Wie in der Einleitung angekündigt, betritt Theo erst spät die Bühne („betritt die Bühne“ — die Wörter fragwürdig). Sein trauriger Konflikt mit der Tochter, die sich (zu Recht) von der Mutter zurückgelassen fühlt.

Ein fürchterlicher Erdrutsch begräbt das Problem des Müllsacks unter sich, auch Yuuki unter den Toten? Absurder Höhepunkt Theos Suche nach Yuuki in der ihm immer noch fremden japanischen Sprache. Literatur zwischen Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod. „Die lange Nacht der Illusion“ ein eigenwilliges Buch. Es kann auch verzaubern.

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