Naher, ferner „Gott“ des Rock´n´Roll

Baz Luhrmanns vibrierende Filmbio „Elvis“ lässt den Mythos unangetastet

Unterwäsche landet auf der Bühne, Austin Butler übertrifft als zuckend-erotisierender Elvis Presley beinahe das Vorbild.
Unterwäsche landet auf der Bühne, Austin Butler übertrifft als zuckend-erotisierender Elvis Presley beinahe das Vorbild. © Warner Bros.

Der späte Elvis singt auf einer Gala, Scheinwerferlicht lässt Schweiß auf dem Gesicht des erschöpften Helden glänzen. Schnelle Schnitte, gefährlich glitzernde Spritzen, Zeitungen titeln: Colonel Parker schuld am Tod Elvis´? Parker selbst spricht aus dem Off, ein Unschuldslamm.

Rückblende in die 1950er, Parker lernt sein schmieriges Handwerk im Tingeltangel von Jahrmärkten, im Radio läuft „That´s All Right, Mama“. Der Sänger singt wie ein Schwarzer, „aber er is´n Weißer!“ Parker hat seine Goldgrube gefunden.

Tom Hanks spielt Elvis´ berüchtigten Manager, die Maske hat ganze Arbeit geleistet, und Hanks spielt natürlich großartig. Parker ein zwielichtiger Charakter und ein sogenannter unzuverlässiger Erzähler, was Regisseur Baz Luhrmann einige Freiheiten ermöglicht. Elvis im intimen Gespräch mit Ehefrau Priscilla, als Mamas „Booby“ im zärtlichen Streit mit ihr. „Echt“? Was ist schon wahr an einem Mythos?

Wahr ist die beispiellose Hysterie, die der aufgehende Rock´n´Roll-Stern Elvis Presley entfachte. In diesen Szenen – und der Regisseur schwelgt ausgiebig und in opulenten Bildern – ist Luhrmanns Filmbiografie „Elvis“ am stärksten, ja sensationell. Das Märchen vom anfangs noch schüchternen Jungen, der gegen das Lampenfieber Pepsi trinkt (und später zu härteren Drogen greift). Elektrisierend die Show, die Elvis dann abzieht. Er singt nicht bloß, er zuckt, vibriert, ist pure Energie. Austin Butler als Elvis übertrifft beinahe das Vorbild, der Hüftschwung lässt die Mädchen kreischen, die Kamera direkt auf Elvis´ Beckengegend gerichtet. Aufgestaute sexuelle Energie, Schreie der Befreiung im lähmenden Mittelschichts-Amerika Präsident Eisenhowers.

Der ungehorsame Elvis

Luhrmann hält den Schwung, diese aufgeladene Spannung eine gute Stunde aufrecht. Er stilisiert Elvis zu einer Ikone des zivilen (in den Augen der Gegner: unzivilisierten) Ungehorsams, arbeitet plakativ heraus, wie der vermeintlich obszöne Elvis mit seinen Bühnenshows die Obszönität der Rassentrennung unterwandert. Mehr pflichtschuldig spult Luhrmann nach der Rock´n´Roll-Explosion weitere Lebensstationen ab. Militärdienst in Deutschland, Priscilla und Tochter Lisa Marie, Hollywood, Comeback als Rock´n´Roller in schwarzer Lederkluft. Mit dem ausführlichen Las Vegas-Kapitel läuft „Elvis“ noch einmal zu ganz großer Form auf.

Luhrmanns Elvis erinnert an eine andere Figur in seinem Filmschaffen, an den ebenfalls überweltlichen Jay Gatsby, Leonardo DiCaprio in „Der große Gatsby“ 2013. Luhrmanns Elvis ein Mythos, der manchmal für Augenblicke im Film menschlich greifbar erscheinen mag, dann aber gleich wieder entschwunden ist. Auf die Nachricht vom Tod Elvis´ 1977 folgt eine Szene mit Elvis am Klavier. Todesnah und mit aufgeschwemmtem Gesicht, Gänsehaut erzeugende „Unchained Melody“. Der 156-minütige Film keine Offenbarung zu Elvis, aber eine hinreißende Liebeserklärung an den Rock´n´Roll-Gott.

Von Christian Pichler

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