Nein zum Trump’schen Gasdiktat

Nord Stream 2: Berechtigte US-Bedenken rechtfertigen keine Entmündigung Europas

Russlands EU-Gasmarktanteil von rund 40 Prozent sollte zu denken, aber keinem US-Präsident das Recht zum Energiediktat geben.
Russlands EU-Gasmarktanteil von rund 40 Prozent sollte zu denken, aber keinem US-Präsident das Recht zum Energiediktat geben. © alexlmx - stock.adobe.com

Die USA lassen nicht locker in ihrem Kampf gegen die fast fertige Gaspipeline Nord Stream 2, durch welche russisches Gas am Grund der Ostsee nach Deutschland gepumpt werden soll.

Nachdem Präsident Donald Trump schon vor Weihnachten 2019 Sanktionen gegen Eigner von Rohrverlegungsschiffen verhängt hatte, werden nun auch Strafmaßnahmen gegen am Bau der Pipeline beteiligte Unternehmen auf den Weg gebracht. Die Zustimmung im Kongress ist sicher. Denn in diesem Fall sind sich die oppositionellen Demokraten einig mit Trump.

Eigennützige Schutzmacht

Worum es den USA vordergründig geht, kommt im Titel des Sanktionenbeschlusses vom Dezember klar zum Ausdruck: „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“. Dass aber auch Eigennutz Triebfeder ist, weiß man spätestens seit Juli 2018, als der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker drohende US-Strafzölle auf europäische Autos unter anderem mit der Zusage höherer Importe von Flüssiggas (LNG) aus den USA abwenden konnte. Tatsächlich verdreifachten sich die LNG-Importe aus den USA binnen eines Jahres. Trotzdem sind die USA ein unbedeutender Lieferant: Mit ihrem teuren Flüssiggas erreichten sie 2019 in der EU einen Marktanteil von dreieinhalb Prozent. Platzhirschen sind Norweger und Russen, die rund 30 bzw. 40 Prozent der EU-Gasimporte liefern.

Während der Marktanteil des EU-Binnenmarktmitgliedes Norwegen niemandem Kopfzerbrechen bereiten muss, verhält es sich mit Russland etwas anders. Die von den USA vorgebrachten Bedenken haben nämlich ihre Berechtigung.

Das weiß Europa auch, wenngleich seine Bereitschaft und Fähigkeit zu entsprechenden Konsequenzen unterentwickelt sind. Denn der Dauerkonflikt zwischen Russland und der Ukraine bescherte der EU einige energiepolitische Lektionen. Die Gasversorgung war zwar nie ernsthaft gefährdet, doch als Moskau und Kiew 2005 über Preis und Transitgebühr für russisches Gas stritten, strömte ein Drittel weniger Gas gen Westen. Die Russen machten ukrainischen Gas-Diebstahl dafür verantwortlich, die Ukrainer vor- übergehend eingestellte russische Lieferungen. Das Spiel wiederholte sich 2006/7 und 2008/9.

„Nabucco“-Flop und…

Der damalige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) war einer der Politiker in der EU, die auf eine Diversifizierung der Lieferanten die Lösung des Problems drängten. Das Zauberwort hieß „Nabucco“: Die nach der Verdi-Oper benannte Pipeline sollte Gas von Aserbaidschan nach Österreich pumpen und die Europäer damit aus der Abhängigkeit von Russland und der Ukraine führen. Kremlchef Wladimir Putin hatte für die Pläne nur ein spöttisches Lächeln. Denn das Konsortium, an dem die OMV zu einem Fünftel beteiligt war, hatte die Rechnung einfach ohne den Wirt gemacht – sprich: die Pipeline geplant, ohne mit Aserbaidschan einen Liefervertrag zu haben. Der kam tatsächlich nicht zustande, weshalb 2013 nur der Abgesang auf „Nabucco“ blieb.

… noch ein Rohrkrepierer

Ein Jahr darauf schaute Europa bei einem weiteren Projekt mit OMV-Beteiligung in die Röhre: Die South-Stream-Pipeline sollte Gas von der Schwarzmeerküste über Bulgarien nach Österreich, Slowenien und Süditalien leiten. Hinsichtlich der angestrebten Diversifizierung hätte die Leitung nur die Ausschaltung des unsicheren Transitlandes Ukraine gebracht. Weil sich Moskau nicht EU-Regeln unterwerfen wollte, wurde auch South Stream zum Rohrkrepierer. Das Nachfolgeprojekt TurkStream ist dagegen seit Jänner Realität: Diese Pipeline leitet Russen-Gas über die Türkei nach Südost-, später auch nach Westeuropa.

Die russische Dominanz auf dem EU-Gasmarkt bleibt also gewahrt. Das sollte Europa durchaus Kopfzerbrechen bereiten, auch wenn Kremlchef Wladimir Putin stets betont, ein verlässlicher Lieferant zu sein. Tatsächlich ist die Abhängigkeit eine gegenseitige, weil Russland auf die Einnahmen angewiesen ist. Doch wie schon erlebt ist ein plötzlicher „Druckabfall“ im Rohr nicht auszuschließen, wenn es zwischen dem Liefer- und einem Transit- oder Abnehmerstaat kriselt.

Solidarisches Europa?

Die EU hat zwar 2017 mit einer neuen Gasversorgungssicherheit-Verordnung Pläne zur gegenseitigen Hilfe entwickelt, die Corona-Krise nährt aber Zweifel an der Solidarität. Wer keine Schutzmasken teilen will, wird auch knappes Gas nicht teilen wollen.

Trumps Warnungen von der Abhängigkeit Europas sind also nicht von der Hand zu weisen. Daraus resultiert aber kein Recht zum energiepolitischen Diktat. Der US-Präsident agiert nicht wie ein Partner, der auf Augenhöhe diskutiert, sondern wie ein Hegemon, der seine Politik oktroyiert. Das darf Europa nicht zulassen. Was aber nicht bedeutet, dass sich die EU eine Debatte über mehr energiepolitische Diversifizierung ersparen kann. Denn hegemoniale Tendenzen sind auch Wladimir Putin alles anders als fremd.

Eine Analyse von Manfred Maurer

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