Nicht zuletzt ein optisches Fest

Wiener Staatsoper: Die Ära Roscic eröffnete mit der „Butterfly“

Shooting-Star Asmik Grigorian glänzt als Madame Butterfly.
Shooting-Star Asmik Grigorian glänzt als Madame Butterfly. © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Normalerweise hätte der Eröffnungsabend einer neuen Operndirektion, noch dazu mit einer Premiere, eine Gala werden müssen, aber was ist schon normal in Corona-Zeiten? So musste man froh sein, wie tapfer alle Beteiligten das „Wir spielen!“ durchzogen („OFFEN“ prangt auch in Riesenlettern auf der Fassade der Oper), mit halb besetztem Haus, Stühlen im Stehplatzbereich, Sicherheitsvorkehrungen und dennoch — Betrieb wie fast normal. Eine große logistische Leistung.

Etwas Schöneres und Interessanteres

Der nunmehrige Direktor Bogdan Roscic hat das Statement verkündet, „eine auf der Tradition des Hauses aufbauende, und gleichzeitig an den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts orientierte Opern- und Ballettprogrammierung anzubieten“. So hat er gleich auf Anhieb einen „Klassiker“ durch einen anderen ersetzt. Wien besaß eine Inszenierung von Puccinis „Madame Butterfly“, die auf die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zurück ging, die aber im gänzlich konventionellen Rahmen im Repertoirealltag immer noch brav funktionierte. Ersetzt wurde sie tatsächlich durch etwas Schöneres und Interessanteres.

Denn wenn die Produktion des mittlerweile verstorbenen Anthony Minghella auch bereits 15 Jahre alt ist und vielerorts gezeigt wurde, wirkt sie in ihrer Konzeption ausgesprochen modern und in ihrer Optik überwältigend. Puppenspieler (Butterflys Kind wird hinreißend von einer Puppe verkörpert) und virtuose Tänzer tragen zur überzeugenden Stilisierung bei. Minghellas „Japan“ wirkt wie ein optischer, künstlerischer und zugleich dramaturgischer Kommentar zum Schicksal der kleinen, missbrauchten und weggeworfenen Japanerin. Er hebt (schwelgerisch mit Fächern und Paravents, Lampions und Blütenblättern atemberaubende Effekte erzielend) die Geschichte auf eine Ebene, die plumpen Realismus durch höhere Gleichnishaftigkeit ersetzt. Und das, ohne das Geschehen zu verfremden oder zu verfälschen.

Herausragende Butterfly Asmik Grigorian

Allerdings bietet vor allem die Titelheldin in der Regie von Minghellas Witwe, der Regisseurin und Choreografin Carolyn Choa, eine Leistung, die fernab von jedem Butterfly-Klischee rangiert. Asmik Grigorian (schlagartig berühmt geworden als Salome bei den Salzburger Festspielen 2018, heuer dort unter der Leitung von Welser-Möst die Chrysothemis in „Elektra“) ist alles andere als das arme, naive, bezaubernde, mädchenhafte Opfer. Ihre Darstellung setzt von Anfang an auf große Tragödie, und ihre Stimme, die zur Schärfe neigt, unterstützt dies in bemerkenswerten Ausbrüchen. Wer sentimentale Tränen weinen will, dem wird das hier schwer gemacht …

Leider nur Repertoire-Niveau boten die übrigen Sänger, wobei das neu engagierte Ensemblemitglied Freddie De Tommaso zumindest jene Spitzentöne schmetterte, die man von einem Tenor erwartet. Am Pult stand Musikdirektor Philippe Jordan persönlich (von dem man erfahren konnte, dass seine Mutter einst als Ballett-Tänzerin auch in Linz tätig war). Er packte das Schicksal Butterflys vor allem dramatisch an, die irisierende Welt eines dunklen, faszinierenden Japan und einer tragisch starren Hauptdarstellerin setzten sich auch im musikalischen Teil des Abends fort.

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Das halb besetzte Haus (nur jeder zweite Sitz wurde verkauft) klatschte nach Leibeskräften auch für die, die nicht dabei sein konnten — aber für diese ist man ja mit dieser Eröffnungspremiere ins Fernsehen gegangen und hat damit zumindest Opernfreunde in ganz Österreich erreicht.

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