Oscar-reifer Regisseur Meise muss sich in Filmstoff verlieben

Österreichs Oscar-Kandidat „Große Freiheit“ von Sebastian Meise kommt ins Kino

Filmemacher Sebastian Meise hat mit seinem Film „Große Freiheit“die Chance auf einen Oscar. Am 21. Dezember wird die Academy die Shortlist für die Auszeichnungen bekannt geben, am 8. Februar 2022 steht die Nominiertenliste fest. Geben würde es den Oscar dann am 27. März 2022.
Filmemacher Sebastian Meise hat mit seinem Film „Große Freiheit“die Chance auf einen Oscar. Am 21. Dezember wird die Academy die Shortlist für die Auszeichnungen bekannt geben, am 8. Februar 2022 steht die Nominiertenliste fest. Geben würde es den Oscar dann am 27. März 2022. © Elsa Okazaki

In Cannes gewann „Große Freiheit“ in der Kategorie „Un Certain Regard“, bei der Viennale wurde das Drama von Sebastian Meise zum besten österreichischen Film gekürt und beim Europäischen Filmpreis gibt es nicht nur eine Nominierung in der Schauspielsparte, sondern bereits Auszeichnungen für Kamera und Soundtrack.

Höhepunkt könnte ein Oscar werden. Der Film über ein Paar, das sich im Gefängnis findet, wird der rot-weiß-rote Kandidat für den Auslandsoscar sein. Das VOLKSBLATT sprach mit Sebastian Meise über diese Chance und seinen beeindruckenden Film.

VOLKSBLATT: Cannes, Sarajevo, Viennale, Europäischer Filmpreis … da kann jetzt eigentlich nur noch der Oscar kommen, oder?

SEBASTIAN MEISE: Mal schauen (lacht). Die Longlist ist sehr lang. Es ist nicht zu erwarten, dass man da weiterkommt, aber man wird sehen. Es ist schwer zu sagen.

Für den Fall der Fälle: Haben Sie eine Skizze einer Dankesrede im Kopf?

Nein, nein … um Gottes Willen! Da muss man ja erst mal auf die Shortlist kommen, und dann muss man erst nominiert werden. Da sind sehr große Filme in Konkurrenz. Diese internationale Sektion vom Oscar ist ja die heiß umstrittenste, weil ja die meisten Filme international besser sind als die amerikanischen. Das ist halt so.

Als sich die Idee von „Große Freiheit“in Ihrem Kopf geformt hat, dachten Sie, dass der Stoff das Potenzial für so einen Preisregen hat?

Nein, überhaupt nicht. Ich muss mich in einen Stoff verlieben. Und ich habe schon immer sehr an diesen Stoff geglaubt. Aber das mit den Preisen, das ist schon eine andere Sache, weil das kann man ja nicht beeinflussen. Aber es ist toll, dass es diesen Response gibt, dass es ankommt, das freut mich wirklich extrem. Aber rechnen kann man damit nicht.

Was hat denn die Liebe zu dieser Geschichte ausgelöst?

Draufgekommen sind wir anhand der Berichte von Schwulen, die aus den Konzentrationslagern 1945 in Gefängnisse kamen, um dort ihre Reststrafen abzusitzen. Das war sozusagen der Ausgangspunkt, um sich mit dem Paragrafen (in Deutschland stellte der Paragraf 175 gleichgeschlechtliche Liebe bis 1969 unter Strafe, erst 1994 verschwand er aus den Gesetzbüchern, Anm.) auseinanderzusetzen. Die Vorstellung, in so einer Welt zu leben, das war narrativ wahnsinnig interessant. Verbotene Liebe, das ist ein archaischer Stoff. Liebe, Gefängnis, Freiheit … das hatte für mich gleich Potenzial.

Warum haben Sie die Geschichte in Deutschland angesiedelt? In Österreich gab es ja diese Paragrafen auch.

Das hatte produktionstechnische Gründe. Wir wussten gleich, dass wir eine Co-Produktion machen müssen und Franz Rogowski war auch sehr schnell als Hauptdarsteller im Topf. Dazu kam, dass wir wussten, dass wir in Österreich kein leerstehendes Gefängnis finden werden. Mit Georg Friedrich als zweite Hauptfigur haben wir so eine deutsch-österreichische Fusionierung gemacht. Und so war klar, dass Deutschland in Vertretung für den deutschsprachigen Raum stehen wird. Weil sich der Paragraf in Österreich mehr oder weniger parallel, fast ident, entwickelt hat.

Mir war völlig unbekannt, dass in Konzentrationslagern inhaftierte Homosexuelle 1945 nach der „Befreiung“ direkt ins Gefängnis kamen. Sehen Sie Ihren Film da auch als ein Stück Geschichtsaufarbeitung?

Ich habe das eigentlich nie so gesehen, weil für mich ist es auch kein Film mit einer politischen Agenda. Wir wollten eigentlich immer diese Geschichte erzählen, diese zwei Figuren, die in einem Setting leben, die die Beziehung zueinander erst ermöglicht. Die Mechanismen der Unterdrückung, die dahinterstehen, sind letztlich doch austauschbar. Das gefällt mir an diesem Prinzip Gefängnis auch recht gut, das könnte man überall hin verlegen. Das könnte man heute nach Indonesien verlegen, oder nach Simbabwe, wo Homosexualität noch immer verboten ist. Das hat so etwas universelles, weil das System der Unterdrückung immer dasselbe ist. Klar ist es immer spannend, von etwas auszugehen, was nicht so bekannt ist. Aber als Geschichtsaufarbeitung habe ich es nie gesehen.

Sind Sie auf viele solcher Fälle gestoßen?

Ja, wir sind auf einige gestoßen, wir haben dann auch aufgehört zu recherchieren, weil wir gesagt haben, wir sind keine Historiker. Vieles ist natürlich auch in Archiven verschüttet, vieles ist verloren gegangen.

Wie wäre es Ihrem Liebespaar zehn, zwanzig Jahre nach dem Ende des Films gegangen?

Puh, schwer zu sagen. Ein Ende ist ein Ende, ich versuche, da nicht weiterzudenken. Natürlich haben sich die Zustände verbessert. Aber der Paragraf wurde erst 1994 wirklich abgeschafft. Der Prozess hat wirklich extrem lange gedauert und die Aufarbeitung hat letztlich nie wirklich stattgefunden. Man lernt das auch heute nicht in der Schule. Ich hab kürzlich von einer Studie gelesen, dass ein Kind in der Schule immer noch achtmal am Tag das Wort „schwul“ als Schimpfwort hört. Die Homophobie ist immer noch stark vorhanden. Aber die Geschichte der Kultur funktioniert ja immer in Wellen. Und man sieht etwa an Ungarn und Polen, wie schnell es gehen kann, dass da Rückentwicklungen stattfinden.

Besteht die Gefahr, dass Zuschauer historische Stoffe nicht auf ihr eigenes Leben, auf Diskriminierung heute beziehen?

Dadurch, dass wir immer versucht haben, eine universelle Geschichte zu erzählen, die auch heute in anderen Ländern stattfinden könnte, ist es ja letztlich immer noch aktuell. Dadurch, dass es mehr darum geht, dass diese Figuren zueinander finden und dann dieser Paragraf gar nicht mehr die Basis für deren Geschichte bildet, ist es für mich ein universeller Stoff.

Wann haben Sie die Chemie zwischen Ihren wunderbaren Darstellern, Franz Rogowski und Georg Friedrich, erstmals gesehen?

Das habe ich mir schon so vorgestellt. So auf halben Wege beginnt man schon, sich vorzustellen, wer das spielen könnte. Den Franz finde ich ja ganz toll und den Georg habe ich immer schon verehrt. Da dachte ich mir, das könnte eine tolle Kombi sein. Wir haben ihnen dann auch die Rollen auf den Leib geschrieben, ohne zu wissen, ob sie es machen würden. Das war ein bisschen riskant, aber beide fanden die Idee, miteinander zu spielen, gleich extrem reizvoll. Da war mir schon klar, ok, das wird gut funktionieren zwischen den beiden und eine tolle Energie ergeben. Schon bei den ersten gemeinsamen Treffen war das sehr stark spürbar.

Sie erzählen eine wundervolle Liebesgeschichte im schrecklichen Umfeld eines Gefängnisses. Haben Sie je daran gedacht, Ihrem Paar einen gemeinsamen Moment in Freiheit zu schreiben?

Nein! Eigentlich wirklich nie.

Mit SEBASTIAN MEISE sprach Mariella Moshammer

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