Alle Jahre wieder: Milli Görüs feiert antisemitischen Gründer

In Österreich, Deutschland und anderen Ländern zahlreiche Gedenkfeiern zum 13. Todestag eines Islamisten

Antisemit Necettin Erbakan: Der Gründer der Milli-Görüs-Gemeinschaft wird zu seinem Todestag auch in Oberösterreich wieder kritiklos gewürdigt.
Antisemit Necettin Erbakan: Der Gründer der Milli-Görüs-Gemeinschaft wird zu seinem Todestag auch in Oberösterreich wieder kritiklos gewürdigt. © AFP

In Österreich und anderen europäischen Ländern wird dieser Tage öffentlich ein Antisemit gefeiert — und niemanden regt es (bislang) auf: Die — hierzulande unter dem Namen Islamische Föderation (IF) auftretende — Milli-Görüs-Gemeinschaft (IGMG) würdigt wie jedes Jahr die „Pioniere“ der Bewegung, allen voran den Gründer Necmettin Erbakan.

Auch heuer finden im Vorfeld von Erbakans Todestag am 27. Februar an zahlreichen Orten in Österreich, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern mit türkischer Community Gedenkfeiern statt.

Lesen Sie auch

Zwei Erbakan-Feiern in OÖ

In Oberösterreich lädt die Islamische Föderation an diesem Sonntag in ihrer Vorchdorfer Moschee zur Gedenkfeier. Wenige Kilometer entfernt findet eine weitere Erbakan-Feier statt: In Sattledt ruft der Österreich-Ableger der türkischen Saadet-Partei zum Gedenken an den Milli-Görüs-Gründer. Als Gastredner fungiert dort der Journalist Mustafa Yilmaz von der türkischen Milli Gazete (Nationalzeitung), in der Text wie dieser veröffentlicht werden: „Juden verwandeln die Welt in die Hölle und verderben alles mit der Grausamkeit des einzigen jüdischen Weltstaates mit Sitz in Jerusalem.“ (Zitat aus Milli Gazete, 2. November 2023).

Das lässt vermuten, dass es bei den bevorstehenden Huldigungen nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit Erbakan, insbesondere seinem Antisemitismus geht. Im Gegenteil: Wie einem Einladungstext der IGMG zum Berliner Gedenken zu entnehmen ist, sei es eine „Pflicht, die Älteren, die vorausgegangen sind, zu kennen, sie den jüngeren Generationen vorzustellen und sie als Beispiel zu nehmen“.

Fragwürdiges Vorbild

Was da der muslimischen Jugend von einem der einflussreichsten Islam-Verbände als Vorbild hingestellt wird, hat der Historiker Heiko Heinisch gemeinsam mit dem Politologen Hüseyin Cicek und Turkologe Jan Markus Vömel im vergangenen Jahr in einer umfassenden Studie über Milli Görüs analysiert. Wörtlich heißt es dort: „Erbakans Ideologie ist durchdrungen von antisemitischem Verschwörungsdenken. Er wittert geheimnisvolle Mächte, die unbemerkt von der Mehrheit der Menschen und vor allem der Muslime, die Welt durch ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem und verschiedene internationale Institutionen beherrschen. In einem Aufriss der Geschichte ab 1945 versucht er den Aufstieg geheimer Weltmächte – gemeint ist vor allem der Zionismus, ein Begriff, der von Erbakan synonym zu Judentum verwendet wird – aufzuzeigen. Gegen diese Kräfte sollen die Muslime mittels Dschihad aufbegehren.“

Einladung zum Erbakan-Gedenken des Oberösterreich-Ablegers der türkischen Islamisten-Partei Saadet in Sattledt an diesem Sonntag.
Einladung zum Erbakan-Gedenken des Oberösterreich-Ablegers der türkischen Islamisten-Partei Saadet in Sattledt an diesem Sonntag. ©Screenshot: Facebook

„Jüdische Weltherrschaft“

Belege für den ihm attestierten Antisemitismus hat Erbakan zeitlebens zuhauf geliefert. Er war überzeugt, dass die Juden seit mehr als 5700 Jahren die Welt regierten. In seinem Buch „Adil Ekonomik Düzen“ (Gerechte Wirtschaftsordnung) schrieb er 1991: „Die Zionisten haben die Kontrolle über den weltweiten Imperialismus erlangt. Durch das kapitalistische System, insbesondere durch den Zinsmechanismus, nutzen sie die gesamte Menschheit aus. Durch imperialistische Staaten erhalten sie ihre politische Vorherrschaft auf der Erde aufrecht.“ Das Buch ist übrigens erhältlich bei der Wiener Milli-Görüs-Buchhandlung MGV-Publications, wo es auch ein Werk des Muslimbruder-Ideologen Yusuf al-Qaradawi gibt, in dem Muslime zur Ermordung von Juden aufgerufen werden.

Ideologie lebt weiter

Dass diese Ideologie nicht mit ihrem Schöpfer gestorben, sondern in der muslimischen Community weiter von Relevanz ist, zeigt das Beispiel des Erdogan-Schülers Turgut Akin, der im Bezirk Eferding in einer Koranschule der Hilful-Fudul-Organisation Jugendarbeit betreibt.

Nachdem der türkische Saadet-Abgeordnete Hasan Bitmez im vergangenen Dezember im Parlament in Ankara nach einer Hasstirade gegen Israel im Zuge einer Debatte über die jüngste Nahost-Krise zusammengebrochen und zwei Tage später verstorben war, postete Akin auf X (vormals Twitter) diese Kondolenz: „Möge dein Märtyrertod gesegnet sein. In der Al-Aqsa-Flut, einem Krieg, in dem das zionistische Regime wütete und unsere Mudschaheddin einen Sieg nach den anderen errangen, haben wir Bruder Hasan Bitmez, einen unbeugsamen Kämpfer des Kampfes gegen den Zionismus, als Jerusalem-Märtyrer zu unserem Herrn geschickt.“

Obwohl Akin in der Vergangenheit immer wieder antisemitisch konnotierte Sprüche gepostet hatte, war der Absolvent der türkischen Erbakan-Universität 2021 von der Jugendorganisation der Austria Linz Islamische Föderation (Alif) Oberösterreich als Referent engagiert worden. Die Alif-Jugend wird übrigens vom Freistädter SPÖ-Gemeinderat Ibrahijm Cansiz geleitet, der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) pflegt freundschaftliche Kontakte mit Alif-Chef Murat Baser, welcher auf seiner Facebook-Seite ebenfalls das heutige Erbakan-Gedenken in Vorchdorf bewirbt.

Treue zu Erbakan

Allgemein verurteilt die Milli-Görüs-Gemeinschaft Antisemitismus, insbesondere, wenn es um den nationalsozialistischen geht. Ein Bruch mit dem antisemitischen Erbe ihres Gründers scheint ihr aber kein Anliegen zu sein. So kam etwa der Verfassungsschutz Baden-Württemberg in einem Bericht im April 2023 zu diesem Schluss: „Die bekanntermaßen antisemitischen, antiwestlichen und antipluralistischen Komponenten des Gedankenguts von Erbakan bilden von jeher den Kern der Problematik, um die sich gesellschaftspolitische Debatten außerhalb der IGMG immer wieder neu entzünden. Betrachtet man die Gefolgschafts- und Respektsbekundungen der Führungsebene aus der IGMG-Zentrale in Köln, von Regionalverbänden und Ortsvereinen sowie Einzelpersonen, so kann man diesen keine kritische Distanz zu Erbakan attestieren. Im Gegenteil: Die Zustimmung zu seinen ordnungspolitischen Vorstellungen ist ungebrochen, und die Verehrung seiner Person kennt keine Grenzen.“

Schon im vergangenen Jahr hatte der IF-Vorsitzende Abdi Tasdögen anlässlich des Erbakan-Gedenkens gegenüber dem VOLKSBLATT die Ablehnung einer kritischen Auseinandersetzung mit dem antisemitischen Islamisten so begründet: „In unserer Glaubenspraxis spricht man nur gut über tote Menschen.“

Von Manfred Maurer

Das könnte Sie auch interessieren