Bitterer Lohn der Kurzsichtigkeit

Jetzt rächt sich eine Außenpolitik, die um des lieben Profits willen mit Tyrannen kuschelte

IRAN-PROTEST-WOMEN-RIGHTS

Moral, Wirtschaft und Sicherheit — oft geht das nicht unter einen Hut, wenn Politik pragmatisch sein will oder glaubt, sein zu müssen. Winken wirtschaftliche und/oder sicherheitspolitische Vorteile, wird der moralische Blick oft unscharf.

Wie sehr sich das rächen kann, war kürzlich Thema einer Diskussionsrunde, zu welcher der Verband kleiner und mittlerer Unternehmen in Europa (SME) namhafte Experten ins Brüsseler EU-Parlament geladen hatte. Es ging vor allem, aber nicht nur um die MENA-Region, als den Mittleren Osten und Nordafrika.

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Dort sorgt vor allem ein Land seit langem für negative, vielleicht aber bald auch für positivere Schlagzeilen: Iran. „Es muss uns allen klar sein, dass Iran offen die russische Invasion in der Ukraine mit Waffen unterstützt“, verweist SME-Präsident Ivan Stefanec auf einen der vielen Aspekte dieses Problemfalles.

Russland und Iran mischen bei Migrationskrise mit

„Wir haben die Bedrohung durch den Iran ignoriert – nicht nur die atomare: Der Iran hat in allen Konflikten der Region seine Finger im Spiel“, warnt Daniel Schwammenthal, Direktor des Transatlantischen Instituts des American Jewish Committee (AJC). Die Migrationskrise, mit der Europa konfrontiert ist, sei auch auf iranische und russische Einflüsse zurückzuführen.

Die Schweizer Islamismus-Expertin Saida Keller-Messahli verweist darauf, dass der Iran einen militanten politischen Islam exportiert und auch die Terrororganisation Hamas finanziert. Und die von Katar finanzierte Muslimbruderschaft sei „sogar hier im Europaparlament sehr aktiv“. Ihr türkischer Milli-Görus-Ableger versuche durch Lobbyorganisationen in Brüssel in europäische Institutionen einzudringen.

Diskutierten vor dem Hintergrund einer aus den Fugen geratenen Welt Herausforderungen für Europa (v. l.): Sicherheitsberater Pisecky, SME-Chef Stefanec, Moderator Tudor Fabian, Islam-Expertin Keller-Messahli und Daniel Schwammenthal vom American Jewish Comitee. ©Staudinger
Diskutierten vor dem Hintergrund einer aus den Fugen geratenen Welt Herausforderungen für Europa (v. l.): Sicherheitsberater Pisecky, SME-Chef Stefanec, Moderator Tudor Fabian, Islamismus-Expertin Keller-Messahli und Daniel Schwammenthal vom American Jewish Comitee. ©Staudinger

Zumindest im Iran gibt es Hoffnung: Das Mullah-Regime in Teheran steht am Abgrund. Angesichts der seit zwei Monaten andauernden Protestwelle sieht Helmut Pisecky, Geschäftsführer des auf internationale Sicherheit spezialisierten Informationsdienstleisters Mar Adentro, durchaus Chancen für einen Regime change. Der frühere Sicherheitsexperte des Wiener Verteidigungsministeriums warnt jedoch vor zu großen Hoffnungen: „Man sollte nicht erwarten, dass der Iran sich völlig verändern wird. Die Iraner werden sicher nicht die besten Freunde der USA und Israelis.“

Europa wird auf der Hut sein müssen, alte Fehler nicht zu wiederholen — und das nicht nur im Iran. Die Ukraine zahle heute den Preis für unsere Kurzsichtigkeit, meint Schwammenthal. Es sei nie sinnvoll gewesen, sich von russischer Energie dermaßen abhängig zu machen, dass Russland seine Nachbarn glaubte erpressen zu können.

Vorsicht bei China

Die Warnung vor blauäugigem Arrangement mit Tyrannen betrifft nicht nur Moskau oder Teheran. „Das gleiche gilt für China. Wir schauen auf den kurzen wirtschaftlichen Vorteil und erlauben chinesischen Firmen, unsere geistiges Eigentum zu rauben“, sagt Schwammenthal und unterstreicht die Bedeutung von Moral in der Außenpolitik.

Ein Lichtblick in der MENA-Region sei die sogenannte Abraham Accords Declaration, die Israel mit wichtigen arabischen Länder wie Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterzeichnet hat. Dadurch wurde, so Schwamenthal, eine Normalisierung angestoßen, welche die Region wirtschaftlich, aber vor allem auch sozial und politisch verändern könnte.

Glaubwürdigkeitsproblem

Keller-Messahli ortet jedenfalls Nachholbedarf Europas in Sachen politischer Moral: „Die EU hat viel zu lange autoritäre Regimes toleriert. Sie ist deswegen nicht glaubwürdig, die Umsetzung von Menschenrechten tatsächlich zu unterstützen.“

Von Manfred Maurer

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