Tories-Verluste: Labour fordert Neuwahl in Großbritannien

Eine rabenschwarze Wahlnacht für die britischen Konservativen © APA/AFP/BENJAMIN CREMEL

Bei einer Nachwahl im nordenglischen Blackpool haben die regierenden Tories von Premierminister Rishi Sunak einen Parlamentssitz an die Opposition verloren. Der Kandidat der Labour-Partei, Chris Webb, landete laut den Resultaten vom Freitag mit einem deutlichen Vorsprung vor dem Kandidaten der Regierungspartei. Auch bei den Kommunalwahlen in England und Wales drohen den Tories herbe Verluste. Labour-Chef Keir Starmer fordert Sunak auf, umgehend eine Parlamentswahl auszurufen.

Die Labour-Partei („Arbeitspartei“) gewann den Wahlkreis Blackpool South mit einem Vorsprung von 26 Prozent – dies ist der drittgrößte Vorsprung vor den konservativen Tories bei einer Nachwahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Webb setzte sich mit 59 Prozent der Stimmen durch.

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Damit setzte es bei der 13. Nachwahl der aktuellen Legislaturperiode bereits die zwölfte Niederlage für die regierenden Tories. Die Wahl in Blackpool war notwendig geworden, nachdem der konservative Abgeordnete Scott Benton wegen eines Lobbyskandals zurückgetreten war.

Der erdrutschartige Sieg seiner Partei in Blackpool South sei „das wichtigste Ergebnis des heutigen Tages“, sagte der Labour-Vorsitzende Starmer am Freitag. Das Ergebnis spreche für das ganze Land. Die Menschen hätten genug nach „14 Jahren des Scheiterns, 14 Jahren des Niedergangs“, sagte Starmer. Das Land wolle einen Neubeginn unter der Labour-Partei.

Dem Sender Sky News sagte Starmer, Labour sei seit seinem Amtsantritt als Parteichef vor vier Jahren „eine grundlegend andere Partei“. Die Ergebnisse vom Freitag zeigten, dass Labour wieder eine wählbare Kraft sei. „Dies ist die einzige Wahl, bei der die Wähler die Chance hatten, den Konservativen von Rishi Sunak eine direkte Botschaft zu senden, und diese Botschaft ist ein überwältigendes Votum für den Wandel.“

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Der Vorsitzende der Konservativen Partei, Richard Holden, sprach von „einer harten Nacht“. „Offensichtlich keine großartigen Ergebnisse“, sagte er Times Radio.

Bei der Parlamentswahl dürften die Einbußen geringer ausfallen, betonten Experten aber. „Die Wähler lieben Labour nicht“, fasste der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster im dpa-Gespräch die Resultate zusammen. „Aber die Tories sind toxisch.“

Die Nachwahl im Wahlkreis Blackpool South war angesetzt worden, weil der dortige Tory-Abgeordnete wegen eines Lobbyismus-Skandals zurücktreten musste. Parallel fanden am Donnerstag in England und Wales Kommunalwahlen statt. Diese gelten als letzter großer Stimmungstest für Premier Sunak vor der anstehenden britischen Parlamentswahl. Ersten Ergebnissen zufolge konnte die Labour-Partei auch hier kräftig zulegen. Die offiziellen Ergebnisse der Kommunalwahlen wurden im Laufe des Freitags oder am Samstag erwartet.

Nach Einschätzung des Wahlforschers John Curtice könnten die Tories bei den Kommunalwahlen etwa die Hälfte der fast tausend Ratssitze verlieren, die sie zu verteidigen versuchen. „Wir stehen wahrscheinlich vor einem der schlechtesten, wenn nicht dem schlechtesten Ergebnis der Konservativen bei Kommunalwahlen in den letzten 40 Jahren“, sagte der Experte der BBC.

Regierungschef Sunak räumte ein, dass der Verlust dutzender Mandate „enttäuschend“ sei. Viele Ergebnisse stünden aber noch aus, sagte er am Freitag vor Journalisten. Er konzentriere sich derweil „voll und ganz auf die anstehende Aufgabe, die darin besteht, für die Menschen im ganzen Land etwas zu erreichen“.

Das Augenmerk bei den Kommunalwahlen richtet sich unter anderem auf die Bürgermeisterwahl in der britischen Hauptstadt London. Dort bewirbt sich mit Sadiq Khan von der Labour-Partei erstmals ein Bürgermeister um eine dritte Amtszeit. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen dürfte es auch in den Regionen West Midlands und Tees Valley geben.

In Umfragen liegen Sunaks Tories mit großen Abstand hinter der oppositionellen Labour-Partei. Der Premierminister hatte angekündigt, die Wahl zum britischen Unterhaus in der zweiten Jahreshälfte abhalten zu wollen. Ein schlechtes Abschneiden seiner Partei bei den Kommunalwahlen könnte den Druck auf ihn weiter verstärken.

Großbritannien erlebt derzeit eine der größten Krisen seit Jahrzehnten. Die Menschen leiden stark unter hohen Lebenshaltungskosten. Die seit 2010 regierenden Tories stehen landesweit auch bei Themen wie Verkehr und Gesundheit massiv in der Kritik.

Gewählt wurden am Donnerstag insgesamt elf Bürgermeisterposten, mehr als 2.500 Gemeinderäte, die 25 Mitglieder der Londoner Stadtversammlung sowie 37 sogenannte Police and Crime Commissioner in England und Wales, ein politisches Amt für die Aufsicht über die lokale Polizeibehörde. In 107 der 317 englischen Gemeinden wurden die politischen Karten neu gemischt.

Als wichtige Themen galten unter anderem die schwierige Finanzlage der Gemeinden, Schlaglöcher auf Straßen sowie ins Meer und in Flüsse abgeleitete Abwässer. Einer Analyse der Denkfabrik Local Government Information Unit zufolge reagieren etliche Gemeinderäte mit höheren Steuern und Gebühren sowie geringeren sozialen Leistungen auf den drohenden finanziellen Ruin.

Die Wahl gilt als wichtiger Stimmungstest vor der Unterhauswahl, die spätestens im Jänner 2025 stattfinden muss. Sunak hat einen Wahltermin im zweiten Halbjahr als „wahrscheinlich“ bezeichnet, jüngst aber auch einen Termin noch vor dem Sommer nicht ausgeschlossen. Sunak ist bereits der dritte Regierungschef der aktuellen Legislaturperiode, nachdem sowohl der Wahlsieger des Jahres 2020, Boris Johnson, als auch seine Nachfolgerin Liz Truss über Affären gestürzt waren. Die Tories haben eine komfortable Mehrheit im Unterhaus, liegen in landesweiten Umfragen aber hoffnungslos hinter der oppositionellen Labour Party.

Zu denken geben dürfte Sunak auch die Konkurrenz der rechtspopulistischen Partei Reform UK, die ihm seit Längerem zusetzt. In Blackpool South landete die einstige Brexit-Partei nur gut 100 Stimmen hinter den Konservativen auf Platz drei. Auch bei den Lokalwahlen setzte Reform UK, einst von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage gegründet, teilweise beachtliche Resultate und kostete die Konservativen zahlreiche Sitze.

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