EU-Kommission will Atomkraft als umweltfreundlich einstufen

Die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter Auflagen als klimafreundlich einstufen. Das geht aus einem Entwurf für einen Rechtsakt der Brüsseler Behörde hervor, der am Neujahrstag an die EU-Mitgliedstaaten versendet wurde.

Konkret sehen die Pläne der EU-Kommission vor, dass in Frankreich, Polen und den Niederlanden geplante neue Atomkraftwerke als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem müssen die neuen Anlagen bis 2045 ihre Baugenehmigung erhalten.

Gas statt Kohle

Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden.

Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen, und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen.

Ob Gas und Atomkraft als Teil der sogenannten Taxonomie als klimafreundlich gelten sollten, ist unter den EU-Staaten jedoch stark umstritten. So sind zum Beispiel Österreich und Deutschland gegen eine Aufnahme von Kernkraft. Für Länder wie Frankreich ist hingegen die Atomenergie eine Schlüsseltechnologie.

Aufschrei in Österreich

Scharfe Kritik an dem Entwurf kam unter anderem von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne). Für Österreich sei ganz klar: „Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren. Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder.“ Der Entwurf werde genau geprüft, und man werde auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Verordnung vorzugehen.

Auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) äußerte Bedauern. „Wir haben immer betont, dass Atomkraft aus unserer Sicht keine nachhaltige Energieform ist und nicht in der Taxonomie-Verordnung drinnen sein sollte.“

Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des EU-Parlaments, warb umgehend für einen gemeinsamen Einspruch aller österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments, um das Vorhaben noch zu stoppen.

Kritik übte auch die Umweltschutzorganisation WWF Österreich: „Damit könnten Milliarden Euro in schädliche Industrien fließen und einen fatalen Effekt produzieren“, erklärte Jakob Mayr.

„In der Hoffnung, dass der Entwurf in den Feiern zum Neuen Jahr untergehen möge, veröffentlichte die EU-Kommission den Entwurf zur Nachhaltigkeits-Taxonomie“, kritisierte Patricia Lorenz von Global 2000. „Nur noch das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten können jetzt noch das versuchte Greenwashing von Atomenergie verhindern.“

Entsetzen in OÖ

Mit völligem Unverständnis reagierte auch Angelika Winzig, die ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, auf den Entwurf: „Wir haben einen gefährlichen Weg eingeschlagen, mit dem wir den nachfolgenden Generationen einen immensen Sorgenrucksack umhängen. Atomkraft kann nie die Lösung sein, sondern ist oftmals der Ursprung großer Probleme. Nuklear jetzt als nachhaltig einzustufen wäre für mich absolut unverständlich und inakzeptabel. So stelle ich mir den neuen Green Deal nicht vor“.

Klima-Landesrat Stefan Kaineder (Grüne) stellte ferner klar: „Atomkraft kann nicht zum Klimaschutz beitragen. Sie ist veraltetet, teuer und gefährlich, Katastrophen wie Fukushima oder Tschernobyl sind ein Beispiel dafür. Zudem schwebt die nicht gelöste Frage der Endlager wie ein Damoklesschwert über dieser Diskussion.“

atomstopp_ooe betonte, Atomkraft in die Taxonomie-Verordnung aufzunehmen, stelle „einen elementaren klimapolitischen Fehler dar, Atomkraft ist keine Lösung gegen den Klimawandel, sondern Teil des Problems“.

Ablehnung kam auch von deutschen Regierungsvertretern. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) monierte, Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei bei „dieser Hochrisikotechnologie falsch“, der radioaktive Atommüll werde die EU über Jahrhunderte belasten.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) lehnte die Pläne als „falsch und absurd“ ab.

Magere Chancen

Bis Mitte Jänner läuft nun eine Begutachtungsfrist. Gibt es eine Mehrheit, wird der Vorschlag dem Europäischen Parlament vorgelegt. Dieses kann dann Einspruch erheben. „Wir werden jedes Mittel nutzen, dass der Rechtsakt nicht so kommt, wie er jetzt vorliegt. Leider gibt es innerhalb der Union auch eine starke Atomlobby. Aber wir werden hier sicher nicht locker lassen“, so Winzig.

Eine Umsetzung kann nur verhindert werden, wenn sich eine verstärkte qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten oder eine Mehrheit im EU-Parlament dagegen ausspricht. Dies gilt als unwahrscheinlich, da sich neben Österreich und Deutschland lediglich Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft verwehren.

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