Bulgarien-Wahl wird keine stabile Regierung bringen

Bulgarien wählt am Sonntag ein neues Parlament – zum fünften Mal in zwei Jahren. Die Meinungsforscher gehen von einer niedrigen Wahlbeteiligung von 39 Prozent aus. Nach einem mauen Wahlkampf zeichnet sich kein eindeutiger Wahlsieger ab. Die jüngste Umfrage der Agentur „Alpha Research“, deren Ergebnisse am Donnerstag veröffentlicht wurden, bestätigt die Erwartung fast aller Meinungsforscher: die bevorstehende Wahl wird Bulgarien wohl keine stabile Regierung bescheren.

Tiefes Misstrauen unter den wichtigsten Parteien machen es fast unmöglich, eine regierungsfähige Koalition zu bilden. Ins 240-köpfige-Parlament würden demnach fünf Parteien einziehen. Um den Wahlsieg kämpfen die zwei großen Player GERB (“Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens”) und das Wahlbündnis PP/DB (“Wandel fortgesetzt” und „Demokratisches Bulgarien“). Die 2020 abgewählte Mitte-Rechts-Partei GERB des ehemaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow bekommt 25,9 Prozent Zustimmung, dicht gefolgt mit 25,4 Prozent von der im Juni 2021 gestürzten Antikorruptionspartei von Ex-Regierungschef Kiril Petkow „Wandel fortgesetzt“ (PP), die nun zusammen mit der konservativen Partei „Demokratisches Bulgarien“ (DB) antritt.

Das Meinungsforschungsinstitut „Alpha Research“ sieht den dritten Platz als ebenfalls stark umkämpft. Mit 13,8 Prozent liegt derzeit die liberale Türkenpartei DPS vor der prorussischen populistischen Formation „Wazraschdane“ (zu Deutsch: Wiedergeburt) mit 13,6 Prozent. Die als frühere KP historisch mit Moskau verbundene Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) verliert deutlich an Unterstützung und belegt mit nur 8,2 Prozent derzeit den letzten Platz unter den Parteien, welche die Vier-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament sicher schaffen werden. Knapp darunter liegt derzeit die konservative prorussische Partei „Bulgarischer Aufstand“ mit 3,9 Prozent sowie die sich von der BSP abgespaltene Formation „Die Linke“ mit 3,1 Prozent.

So sind sich die politischen Beobachter in Sofia einig: „Die rund 15 Prozent unentschlossenen Wähler werden die Entscheidung am Sonntagabend bringen“, so der Soziologe Pawel Waltschew von „Alpha Research“.

Prägend für die politische Situation der vergangenen Jahre ist Borissows GERB-Partei, die mit kurzen Unterbrechungen zwischen 2009 und 2021 in Sofia regiert hatte. Wegen Korruptionsvorwürfen begannen 2020 Massenproteste gegen Borissow, weshalb seine prowestliche und wirtschaftsliberale Partei nach ihrer Abwahl 2021 weiterhin in politischer Isolation ist. Das macht eine Koalition mit der ebenfalls prowestlichen liberaldemokratischen Formation PP/DB derzeit noch unmöglich.

Zum prowestlichen Lager zählt auch die liberale DPS, die die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien vertritt und daher eine stabile Stammwählerschaft hat. Die DPS kämpft jedoch mit Korruptionsvorwürfen und kommt deshalb für PP/DB als Koalitionspartner ebenfalls nicht in Frage.

Als prorussisch gilt die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) – früher eine der einflussreichsten Kräfte in Bulgarien, die allerdings seit 2017 kontinuierlich an Wählerschaft verliert. Nun haben sich beliebte Sozialisten von der BSP abgespalten und treten mit der neu gegründeten Formation „Die Linke“ zur Wahl, was der früheren kommunistischen Partei wieder Wahlverluste einbringen wird.

Stetig gewachsen ist hingegen der Einfluss der offen moskaunahen rechtspopulistischen Partei „Wazraschdane“ (Wiedergeburt), die fordert, dass Bulgarien im Ukraine-Krieg neutral bleibt.

Die Beziehungen zu Moskau spalten nach wie vor die öffentliche Meinung im traditionell russlandfreundlichen Balkanland. Erst im Herbst gelang es den prowestlichen Kräften im Parlament, Militärhilfe für die Ukraine durchzusetzen. Umfragen zeigen, dass fast zwei Drittel der Bevölkerung glauben, Bulgarien würde durch die Waffenlieferung direkt in den Konflikt verwickelt.

Federführend für die zurückhaltende Position Bulgariens ist der Präsident Rumen Radew. Die politische Dauerkrise hat unverhältnismäßig viel Macht in seinen Händen konzentriert, denn die Verfassung erlaubt dem Ende 2021 wiedergewählten Staatschef, das Land mit einem Übergangskabinett als quasi Präsidialrepublik statt als parlamentarische Republik zu regieren.

Radew – ein Luftwaffe-General a.D. – stieg erst 2016 dank der moskautreuen BSP in die Politik ein. Angesichts des Ukraine-Krieges und wegen seiner russlandfreundlichen Haltung fürchten politische Beobachter im In- und Ausland, dass Bulgarien in einer geopolitischen Grauzone zwischen dem Westen und Russland bleiben wird. Mehrmals bezeichnete der bulgarische Präsident diejenigen, die die Lieferung von Waffen an die Ukraine fordern, als „Kriegstreiber“. Erst kürzlich verkündete Radew, solange sein Übergangskabinett in Sofia regiert, werde Bulgarien weder Kampfjets, noch Luftabwehrsysteme oder Panzer nach Kiew liefern.

Beim EU-Treffen zum Munitionsmangel in der Ukraine vergangene Woche verweigerte der vom Präsidenten ernannte Verteidigungsminister Dimiter Stojanow in Brüssel die Zustimmung zur gemeinsamen Bestellung von Artilleriegeschossen für die ukrainische Armee. Dabei hätte das Land durchaus an der mit EU-Geld finanzierten Munitionsproduktion verdienen können, denn Bulgariens Verteidigungsindustrie hat lange Tradition.

Die Übergangsregierung hat die Pläne für eine Euro-Einführung im Jänner 2024 aufgegeben, da „Bulgarien bei der Verabschiedung der entsprechenden Gesetzgebung“ zurückbleibt, wie das Finanzministerium in Sofia im Februar verkündete. Umfragen belegen, dass die Mehrheit der 6,5 Millionen Bulgarinnen und Bulgaren den Beitritt zur Euro-Zone ablehnen.

Die prorussischen Parteien BSP und „Wazraschdane“ fordern eine Volksabstimmung darüber. Der Kurs des bulgarischen Lew ist fest am Euro gebunden, die Inflation liegt allerdings mit zuletzt 16,4 Prozent weit über dem EU-Durchschnitt. So sieht die geschäftsführende Finanzministerin Rosiza Welkowa eines der wichtigsten Kriterien für den Beitritt zur Euro-Zone nicht erfüllt und behauptete zudem, die Staatskasse sei leer.

Ihr Haus plant nun, die Gewinne der nicht-staatlichen Unternehmen mit einer Sondersteuer zu belegen. Darüber soll das nächste Parlament abstimmen. Unterdessen meldete die Wirtschaft Rekordgewinne für das vergangene Jahr. Laut EU-Angaben wuchs das BIP um 3,9 Prozent.

Viel mehr als die Euro-Einführung interessiert es die bulgarischen Wählerinnen und Wähler, ob nach der Parlamentswahl am Sonntag endlich wieder eine stabile Regierung gebildet werden kann. Dem Soziologen Pawel Waltschew vom Meinungsforschungsinstitut „Alpha Research“ zufolge werden die Bulgaren am Sonntag ihr Kreuz auf dem Wahlzettel weniger nach ideologischen Überzeugungen machen, als vielmehr überlegen, wer eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament organisieren kann.

„Die Rolle des Präsidenten zur Lösung der fortlaufenden politischen Krise ist nicht gerade produktiv, weil er sich darauf konzentriert hat, die Parteien als regierungsunfähig zu kritisieren“, kommentierte Waltschew im Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk BNR. Er schloss aber auch nicht aus, dass Radews Animosität die Parteien motivieren könnte, ihre Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und doch noch eine Regierungsmehrheit zu organisieren. „Andernfalls wird im Herbst wiedergewählt, dann zeitgleich mit den anstehenden Kommunalwahlen“, sagte der Soziologe.

Das könnte Sie auch interessieren