Den Islamismus salonfähig machen

Studie zeichnet ernüchterndes Bild der auch in Österreich erstarkten Milli-Görüs-Gemeinschaft

Islamistische Normvorstellungen: Milli Görüs präsentiert sich (wie hier mit einem Facebook-Post von einer Versammlung in einem Linzer Volkshaus) mit strikter Geschlechtertrennung und bekopftuchten Frauen.
Islamistische Normvorstellungen: Milli Görüs präsentiert sich (wie hier mit einem Facebook-Post von einer Versammlung in einem Linzer Volkshaus) mit strikter Geschlechtertrennung und bekopftuchten Frauen. © Screenshot: Facebook

„Oh Herrscher der islamischen Länder, wenn ihr Palästina helfen wollt: Nicht mit Verurteilungen und Presseerklärungen! Helft jetzt mit euren Kugeln, Raketen und Armeen!“ — der Gaza-Krieg lässt auch in der austro-türkischen Community wieder antisemitisch konnotierte Parolen aufpoppen.

Obiges Zitat kursiert unter Followern der Austria Linz Islamische Föderation (Alif), einem Ableger der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Es stammt von einem Autor der türkischen Milli-Görüs-Zeitung „Milli Gazete“. In früheren Jahren waren derartige Slogans auch von IGMG-Funktionären geteilt worden, inzwischen sind sie vorsichtiger, was wohl der medialen Beobachtung geschuldet ist. Ob diese Zurückhaltung einen grundlegenden Wandel illustriert oder eher taktischer Natur ist, versucht eine von der Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI) veröffentlichte Studie zu ergründen.

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Antisemitisches Erbe

Fazit: Es gebe „zwar Reformbemühungen einzelner Gruppen und Personen, die IGMG als Ganzes (ist) aber nach wie vor von ideologischen Vorstellungen ihrer islamistischen Tradition geprägt“. Dazu zählt auch der von ihrem 2011 verstorbenen Gründer Necmettin Erbakan gepflegte Judenhass.

„Die bis heute ungebrochene Verehrung Erbakans … steht einer Aufarbeitung des islamistischen und antisemitischen Erbes der IGMG im Weg“, so die vom Religionswissenschafter Hüseyin Cicek, dem Historiker Heiko Heinisch und dem Islamismusforscher Jan-Markus Vömel erstellte Studie. Zwar distanziere man sich auf Nachfrage mittlerweile allgemein von antisemitischen Aussagen Erbakans, aber eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus lasse sich nicht belegen.

Im vergangenen Jahr hatte IGMG-Generalsekretär Bekir Altas in einer Podiumsdiskussion in Wien mit der Einstufung der von der Türkei geförderten Hamas-Bewegung als Terrororganisation aufhorchen lassen. Diese Aussage wurde jedoch in den Medien der IGMG nicht kommuniziert. Altas war seine Führungsposition kurz darauf los.

Die von Köln aus gesteuerte Organisation mit 40 Regionalverbänden in 18 Ländern spielt auch in Österreich eine zentrale Rolle: Die Islamische Föderation (IF) stellt mit 52 Moscheegemeinden die zweitstärkste Fraktion der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) und mit Ümit Vural deren Präsidenten.

Weiter islamistisch

Der von Milli-Görüs-Funktionären etwa in gezielt forcierten Kontakten zu Politikern erweckte Eindruck von Weltoffenheit deckt sich nicht ganz mit dem Befund des Studienautoren: „Bei der IGMG und ihren Teilorganisationen sind zwar zaghafte Tendenzen einer Öffnung wahrzunehmen, aber nach wie vor bestehen starke islamistische und antisemitische Bezüge fort.“

Ihre Aktivitäten zielten darauf, „die sie umgebende Gesellschaft langfristig zu transformieren, indem versucht wird, in die Gesellschaft hineinzuwirken und inner-organisatorischen Normen auch nach außen Geltung zu verschaffen“.

Nähe zu Muslimbruderschaft

Die Gesellschaft solle „für islamistische Normvorstellungen empfänglich gemacht werden und etwa Geschlechtertrennung, Alkoholverbot und Speisegebote nicht nur akzeptieren, sondern praktizieren“. Insofern folge die IGMG auch weiterhin jenen Konzepten, die islamistische Vordenker entworfen haben, so die Studie, die auch Bezüge zur Muslimbruderschaft aufzeigt. Dem vom 2022 verstorbenen Muslimbruder-Chefideologen Yussuf al-Qaradawi gegründeten Fatwa-Rat mit Sitz in Dublin (Irland) gehöre mit IGGÖ-Mufti Mustafa Mullaoglu auch ein IGMG-Mitglied an, da Mullaoglu Berater des IGMG-Vorsitzenden Kemal Ergün sei. Der Fatwa-Rat sei „Kristallisationspunkt einer weitreichenden Kooperation verschiedener Strömungen des islamistischen Spektrums in Europa“.

IF weist Studie zurück

Die IF stellt die erhobenen Fakten in Abrede bzw. erklärt sie für überholt. Dominierend seien einseitige, unhinterfragte Bewertungen, die offenbar dem Weltbild der Autoren und dem politischen Auftrag der DPI dienten, heißt es in einer Stellungnahme. Die Studie zeichne ein Bild, „das mit der Realität der IGMG wenig gemein hat“. „Das Schüren von Verdacht und Misstrauen fördert nicht das Miteinander, sondern schürt Vorurteile und spaltet uns als Gesellschaft“, so die IF-Führung.

Von Manfred Maurer

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