„Der Iran tut (fast) nichts, der will nur spielen…“

Manche glauben nach dem Raketenhagel auf Israel noch immer, dass es der Mullah-Staat nicht ernst meint

Irans Führung lässt sich von seinen Claqueuren auf Teherans Straßen für den Angriff auf Israel feiern.
Irans Führung lässt sich von seinen Claqueuren auf Teherans Straßen für den Angriff auf Israel feiern. © APA/AFP/Kenare

Nach den iranischen Raketen hagelte es auf Israel Appelle zur Zurückhaltung. Der erste direkte Angriff des Iran auf Israel sollte der Welt die Augen dafür geöffnet haben, wozu das Mullah-Regime bereit ist.

Doch nach der ersten Schrecksekunde mehreren sich die Stimmen derer, die im militärischen Scheitern des Großangriffes an der israelischen Abwehr politische Absicht zu erkennen glauben. Teheran feuerte demnach zwar hunderte Raketen auf Israel ab, wollte aber gar nicht treffen. Sogar ein ehemaliger Nato-Generalsekretär verbreitet diese Theorie: Der Angriff sei zwar eine „dramatische Eskalation“ gewesen, doch wollte Teheran offenkundig gar keinen Treffer landen.

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„Es scheint klar, dass der Iran seinen Angriff so eingestellt hat, damit er von den Israelis eingedämmt werden kann“, meinte der britische Oberhaus-Abgeordnete und Ex-Nato-Chef George Robertson.

Gewollter Fehlschlag?

Alles also halb so wild? Tatsächlich hatten die mehr als 300 Drohnen, ballistischen Raketen und Marschflugkörper, die der Iran und seine Terrormilizen im Libanon und Jemen in der Nacht zum Sonntag Richtung Israel abgefeuert hatten, „nur“ ein – muslimisches (!) – Mädchen verletzt und ansonsten geringen Sachschaden angerichtet. 99 Prozent der anfliegenden Munition konnten dank der effektiven Abwehr Israels und seiner Verbündeten schadlos gemacht werden.

Es bedarf schon einer gewissen Chuzpe, Naivität und/oder Unkenntnis der islamistischen Logik, aus dem offenkundigen Fehlschlag dieses versuchten Massenmordes ein beabsichtigtes Fiasko zu konstruieren, wie es nicht nur Ex-Nato-Chef Robertson tat. „Es war eine sorgfältig kalibrierte Reaktion, um das Gesicht zu wahren und gleichzeitig eine Eskalation mit unvorhersehbaren Folgen für die Region und die Welt zu vermeiden“, schrieb etwa ein Kommentator.

Jubel mit Mussolini-Zitat

„Der Iran hat sich vor der eigenen Bevölkerung und in der Region als handlungsfähiges Regime präsentiert“, meinte der deutsche Politikwissenschafter Markus Kaim. Das war wohl in der Tat die Absicht der Mullahs. Nur: Die Rechnung ist nicht aufgegangen, wie Reaktionen in der arabischen Welt zeigen.

Zwar bejubelten in Teheraner Straßen die Claqueure des Regimes den Angriff ebenso wie der Chef der im Sold Teherans agierenden libanesischen Hisbollah-Miliz Hassan Nasrallah, welcher auf X (vormals Twitter) ein Meme postete, das einen in die iranische Flagge gehüllten Löwen mit zum Todesbiss aufgerissenem Maul über einer israelischen Flagge zeigt. Dazu ein Zitat des Italo-Faschisten Benito Mussolini: „Es ist besser, einen Tag als Löwe zu leben, als hundert Jahre ein Schaf zu sein.“

In Memes außerhalb der iranischen Einflusssphäre wurde der Terrorangriff weniger heroisch bewertet, sondern vielmehr mit Hohn und Spott bedacht. So kursieren in sozialen Medien arabische Postings, auf denen iranische Raketenwerfer harmlose Gurken abfeuern oder ein Mullah auf ebenso einer Gurke durch die Lüfte reitet. Dieses Echo werden die grundsätzlich spaßbefreiten Turbanmännern in Teheran so wohl nicht beabsichtigt haben.

Zum Glück gescheitert

In einer Region, in der Stärke alles und Schwäche gleich Scheitern ist, erscheint es als ausgeschlossen, dass die Mullahs mit einer absichtlich schwachen Vorstellung auf einen Prestigegewinn spekuliert haben könnten. Ein Regime, das seit 45 Jahren die Vernichtung Israels predigt und zum Zweck der Realisierung dieses islamistischen Traumes in der gesamten Region ein Netzwerk des Terrors aufzieht, macht sich in diesem antisemitischen Paralleluniversum keine Freunde mit einem „absichtlich“ keinen großen Schaden anrichtenden Großangriff.

Dieser ist – zum Glück – einfach misslungen. Wer 300 Raketen auf ein Land abfeuert, nimmt jedoch billigend Leid und Tod von Tausenden Menschen in Kauf. Es hätte ja auch andersrum schieflaufen und die Abwehr doch nicht so gut funktionieren können. Es gibt also nichts, was für die Verharmlosungsthese spricht, wonach der iranische Rottweiler militärisch eh nix tut, sondern nur ein bisserl politisch spielen will.

Appeasementpolitik

Und dennoch wirkt die Verharmlosung, indem sie mancherorts die Appeasementpolitik befeuert. Nach dem Motto: Weil eh fast nichts passiert ist, braucht Israel auch nicht zurückzuschlagen. So forderte der britische Außenminister David Cameron Israel auf, nach dem iranischen Angriff auf Vergeltungsmaßnahmen zu verzichten, weil das Vorgehen der Teheraner Führung ein fast völliger Fehlschlag gewesen sei und man sich weiterhin auf die Vereinbarung einer Waffenruhe im Gazastreifen konzentrieren solle. Auch dort geht es vielen vor allem darum, Israels Zurückhaltung einzufordern. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mahnte nicht nur den Iran, sondern auch Israel, nicht weiter zu einer Eskalation im Nahen Osten beizutragen.

Natürlich ist es nach einem derart massiven, nur dank technologischer Überlegenheit Israels fast zur Gänze abgewehrten Angriff, politisch nachvollziehbar, sich vom Attackierten Zurückhaltung zu wünschen, weil weder die USA und schon gar nicht Europa eine unkalkulierbare Eskalation riskieren wollen.

Denn spätestens seit 2015 wissen wir: Wenn der Nahe Osten brennt, laufen die Menschen Richtung Europa. Trotzdem ist das permanente Einfordern von Zurückhaltung zynisch angesichts der realen Bedrohungslage, mit der Israel nicht erst seit vergangenem Sonntag und auch nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 konfrontiert ist.

Man stelle sich nur vor, Österreich müsste seit Jahrzehnten jeden Tag und jede Nacht mit potenziell tödlichen Raketenangriffen und Überfällen von Terrorbanden aus benachbarten Staaten rechnen. Würde die heimische Politik dann mit Zurückhaltung reüssieren und erfolgreich für ein Hinhalten der anderen Backe werben können?

Antisemitische Biotope

Nichtsdestotrotz führt kein Weg vorbei am Streben nach Frieden. Dieser Wille sollte auch denen nicht abgesprochen werden, denen ein Stillhalten Israels als vernünftigste Reaktion auf den Terror aus Teheran erscheint. Aber wenn Israel zur Zurückhaltung motiviert werden soll, dann muss es dafür auch einen Anreiz in Form einer Aussicht auf ein Ende der Bedrohung geben. Dazu gehören schärfere Sanktionen gegen das Quell des Übels, wie sie heute beim EU-Gipfel in Brüssel beraten und wohl auch beschlossen werden.

Doch dazu gehört auch eine vielleicht nicht sofort, aber langfristig wirkende Maßnahme: Das Austrocknen jener politischen Biotope, in denen die israelfeindliche Agitation der Hamas und anderer islamistischer Bewegungen nahezu ungehindert gedeihen und so die Politik der Regierungen im Sinne der Extremisten beeinflussen kann.

Selbst im an sich betont Israel-freundlichen Österreich konnten und können sich derartige Gruppierungen ungehindert betätigen, wie auf den Demonstrationen nach dem Hamas-Terror zu beobachten war. Die Devise lautet: Genau hinschauen und hinhören, wer Antisemitismus predigt oder duldet – auch den, der sich als Antizionismus tarnt.

Analyse: Manfred Maurer

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