EU-Lexikon – Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union

++ ARCHIVBILD ++ Die EU-Verteidigungspolitik ist wichtiger geworden © APA/AFP/ALESSANDRO RAMPAZZO

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 ist ein EU-Bereich in den Vordergrund gerückt, der lange ein Schattendasein führte: die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Anders als die 1949 als Allianz gegen die Sowjetunion gegründete NATO sieht sich die EU nicht primär als Verteidigungsbündnis. Zivile und militärische Missionen der EU sollten vielmehr weltweit einen Beitrag zur Konfliktverhütung und Stabilisierung leisten.

Worum geht es eigentlich?

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Mit der Invasion Russlands in der Ukraine haben die Europäer erkannt, dass sie mehr für ihre Verteidigungsfähigkeit tun müssen. Finnland und Schweden traten 2023 bzw. 2024 der NATO bei. Neben Österreich sind nur noch Irland, Zypern und Malta bündnisfrei, die anderen EU-Staaten gehören auch zur NATO. Zugleich ist die Zukunft der NATO ungewiss, vor allem wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl im November wieder gewinnt. Trump hat in Hinblick auf die niedrigeren Verteidigungsausgaben europäischer Verbündeter die NATO-Beistandsverpflichtung bei einem russischen Angriff infrage gestellt. Dies ist von Bedeutung, denn sowohl in Hinblick auf die konventionellen militärischen Fähigkeiten als auch durch den nuklearen Schutzschirm sind die USA bisher ein unverzichtbarer NATO-Partner Europas. Dazu kommt, dass seit dem EU-Austritt Großbritanniens 2021 als einzige Atommacht nur mehr Frankreich in der EU verblieb. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine stärkere europäische Aufrüstung eingemahnt.

Warum ist das wichtig?

Manche Militärexperten im Westen befürchten, dass Russland auch EU- und NATO-Länder, etwa die baltischen Staaten oder Polen, angreifen könnte, wenn es den Krieg gegen die Ukraine gewinnt. Der Kreml selbst sieht sich im Krieg gegen den Westen. Die Unterstützung der Ukraine gegenüber Russland ist für die EU zu einer sicherheitspolitischen Hauptaufgabe geworden. Nach Angaben der EU-Kommission haben die EU-Staaten bisher 32 Milliarden Euro an Militärhilfe für die Ukraine mobilisiert, davon rund sechs Milliarden Euro aus der Europäischen Friedensfazilität, einem außerbudgetären Instrument, das ein Jahr vor dem russischen Angriff auf die Ukraine gegründet wurde. Außerdem hat die EU über ihre Ausbildungsmission bisher 47.000 ukrainische Soldaten trainiert.

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Wie ist das Verhältnis zwischen EU und NATO?

Der Kern zu einer eigenen europäischen Armee ist im Lissabon-Vertrag der EU angelegt. Über eine „ständige strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO) arbeiten alle EU-Staaten außer Malta bereits im Rahmen von Verteidigungs- und Rüstungsprojekten zusammen. Außerdem bekommt die EU ab 2025 eine neue militärische Eingreiftruppe mit 5.000 Soldaten. Eine größere „europäische Armee“ mit eigenen Kommandostrukturen ist jedoch allenfalls Zukunftsmusik. Was es – verstärkt durch Russlands Krieg gegen die Ukraine – gibt, ist ein Bekenntnis aller EU-Staats- und Regierungschefs zu einer deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben und zur gemeinsamen Rüstungsbeschaffung, um militärische Fähigkeitslücken zu schließen und über gemeinsame Einkäufe Geld zu sparen. Die EU und die NATO sind durch eine „strategische Partnerschaft“ verbunden, die zuletzt vertieft wurde, eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Akteuren wird angestrebt. Die NATO bleibt die Grundlage kollektiver Verteidigung für ihre Verbündeten.

Welche Rolle spielt das neutrale Österreich?

Nicht nur die NATO, sondern auch die Europäische Union verfügt seit dem Lissabon-Vertrag über eine Beistandsklausel: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.“ Diese Verpflichtung wird durch eine „Irische Klausel“ ergänzt, die besagt, dass der besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter EU-Staaten unberührt bleibt. Österreich würde sich also auf die Neutralität berufen und dürfte demnach keine militärische Unterstützung an den angegriffenen EU-Staat leisten. In der Praxis stellt die Neutralität Österreich immer wieder vor neue Herausforderungen. Politisch sieht sich Österreich innerhalb der EU nicht als neutral, wie das Beispiel Ukraine zeigt. Österreich nimmt an der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU teil. Es gestattet NATO-Staaten Militärtransporte zur Unterstützung der Ukraine, und es will sich auch zusammen mit anderen EU- und NATO-Staaten und der neutralen Schweiz an der europäischen Luftverteidigungsinitiative Sky Shield beteiligen. Die Europäische Friedensfazilität wird von Österreich mitfinanziert. Bei Waffenlieferungen hat sich Österreich „konstruktiv enthalten“, das heißt, es blockiert derartige EU-Beschlüsse nicht.

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