In Deutschland könnte sich nach Ansicht des Politikberaters Karl Jurka nach der vorgezogenen Bundestagswahl „eine Situation wie in Österreich“ ergeben. Der wahrscheinliche konservative Wahlsieger Friedrich Merz strebe nämlich eine Koalition mit den Sozialdemokraten des amtierenden Kanzlers Olaf Scholz an, die aber möglicherweise eine Mehrheit verpassen „und einen Dritten brauchen“ werde. Sollte die FDP den Einzug verpassen, kämen dann wohl nur die Grünen infrage.
„Die Regierungsbildung könnte ähnlich mühsam werden wie in Österreich“, sagte Jurka. In Österreich führen derzeit ÖVP und SPÖ Sondierungsgespräche über eine Regierung, in die zur Absicherung der hauchdünnen Mehrheit NEOS oder Grüne eintreten könnten. Der seit drei Jahrzehnten in Berlin tätige Österreicher berichtete, dass in Wiener Politkreisen sehr großes Interesse „an diversen Papieren“ im deutschen Koalitionsstreit bestehe.
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Das Ampel-Aus sei nur „vom Zeitpunkt überraschend“, sagte Jurka. Es sei nämlich in Berliner Politikkreisen schon seit dem Sommer klar gewesen, dass FDP-Chef Christian Lindner es auf ein Ende der Regierungszusammenarbeit anlege. SPD-Kanzler Olaf Scholz habe daher mit der Entlassung des Finanzministers „die Flucht nach vorne angetreten, um zu verhindern, dass Lindner es ist, der die Koalition aufkündigt“.
Der Grund für das Verhalten Lindners seien die schlechten Umfragewerte der FDP gewesen, die „kilometerweit weg davon ist, was sie bräuchte, um im Bundestag zu bleiben“. Auch nach dem Wechsel auf die Oppositionsbank sieht der ÖVP-affine Politikberater schwarz für die Gelben. „Ich sehe derzeit nicht, dass die FDP hineinkommt. Dieses Wunder kann ich mir nicht vorstellen.“ Vielmehr habe er eher den Eindruck, dass es Parteichef Lindner „zerbröselt“, verwies Jurka auf die Entscheidung von Verkehrsminister Volker Wissing, entgegen der Parteilinie weiter in der Regierung bleiben zu wollen.
Mit der Ampel-Politik habe die FDP viele ihrer mittelständischen Wähler vergrault. „Es gibt eine starke Tendenz, dass Mittelständler sagen: Es reicht mit dem Zirkus des Lindner“, so Jurka. Der FDP-Chef habe nämlich als Finanzminister „viel Unfug getrieben“, indem er fähige Spitzenbeamte durch Parteifreunde ohne entsprechende Sachkenntnis ersetzt habe. „Er hat das Finanzministerium kaputt gemacht.“ Auch sei der Streit ums Budget vordergründig gewesen. „Die paar Milliarden, die im Sommer noch gefehlt haben, hätte man in einem Land wie Deutschland an einem Nachmittag finden“, berichtete Jurka unter Berufung auf informierte Personen in Berlin.
Die FDP trage aber nicht die alleinige Schuld am Koalitions-Aus. Die Ampel sei an der Wirtschaftspolitik gescheitert, kritisierte Jurka die von Wirtschaftsminister Robert Habeck vermeintlich betriebene „links-grüne Planwirtschaft“ und „die Unfähigkeit des Herrn Scholz, sich in der eigenen Partei durchzusetzen“. So seien Vorschläge aus dem Kanzleramt im Bundestag zunächst auf Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion gestoßen, angeführt vom SPD-Linken Rolf Mützenich. Diesbezüglich zog Jurka einen Vergleich zur langjährigen christdemokratischen Kanzlerin Angela Merkel, die auch immer wieder Widerstand aus der eigenen Parlamentsfraktion bekommen, diesen aber „niedergebügelt“ habe. „Die Regierung war schon was Schlimmes“, sagte der seit Anfang der 1990er Jahre in Berlin tätige Politikberater. „So schlimm wie in den letzten drei Monaten war es noch nie.“
Die Kanzlerpartei SPD könne den entstandenen Schaden nur begrenzen, „indem sie bald Wahlen machen“. Ein Weiterregieren des nunmehrigen rot-grünen Minderheitskabinetts „wird die deutsche Öffentlichkeit nicht hinnehmen“, so Jurka. Daher werde es Wahlen schon vor dem März geben. Bei der Wahl werde Unions-Kanzlerkandidat Merz „ein ähnliches Ergebnis wie Nehammer“ bei der Nationalratswahl erreichen, also im höheren 20-Prozent-Bereich, während die Sozialdemokraten auch so wie in Österreich um die 20 Prozent landen könnten.
Scholz strebe Wahlen erst im März an, um bis dahin noch „etwas zustandebringen“ zu können. Die oppositionelle Union werde ihm aber diese Freude nicht machen, so Jurka. Damit die größte Oppositionspartei etwaige Maßnahmen der Minderheitsregierung mittrage, müsse „klar sein, dass diese den Stempel der CDU tragen“.
Befragt nach Parallelen zu den aktuellen Regierungsgesprächen in Österreich verwies Jurka auf die unterschiedliche Verfasstheit der jeweiligen Kanzlerparteien. Nehammer sei anders als sein deutscher Amtskollege Scholz auch Parteichef. Sollte ihm die Koalitionsbildung gelingen, sei der ÖVP-Chef auch „ungefährdet“. Ein Problem sei jedoch die „Spaltung“ innerhalb der SPÖ zwischen dem linken Flügel rund um Parteichef Andreas Babler und den gemäßigten Flügel rund um die Wiener SPÖ. Diesbezüglich spiele aber Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian eine stabilisierende Rolle. ÖVP und SPÖ hätten auch die Wahl, was den möglichen dritten Partner betreffe. Weil es NEOS mit ihren Ministerforderungen „etwas überzogen“ habe, seien „aus Verärgerung“ auch wieder Gespräche mit den Grünen aufgenommen worden. Dort sei Klimaschutzministerin Leonore Gewessler das „Problem“. „Ich bin in Österreich gar nicht so pessimistisch“, sagte der auch in Wien gut vernetzte Politikberater.
(Das Interview führte Stefan Vospernik/APA)