In Frankreich sind am Samstag Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Ernennung des konservativen Politikers Michel Barnier zum Ministerpräsidenten zu protestieren. Linke Parteien werfen Präsident Emmanuel Macron vor, mit der Auswahl des Ex-EU-Kommissars das Ergebnis der Parlamentswahl vor rund zwei Monaten zu ignorieren. Die Behörden rechnen Medienberichten zufolge mit etwa 15.000 Demonstranten in über 100 Städten, darunter Bordeaux, Paris und Nantes.
Seit der Parlamentswahl stellt die Mitte-Rechts-Partei Barniers, Les Republicains, mit weniger als 50 Abgeordneten nur die fünftgrößte Fraktion. Stärkste Kraft wurde die Neue Volksfront (NFP). Macron lehnte es jedoch ab, sie mit der Regierungsbildung zu beauftragen, da andere Parteien mit der linken Sammlungsbewegung nicht zusammenarbeiten wollen.
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Nach der Ernennung des 73-jährigen Barniers, der als EU-Kommissar die Brexit-Verhandlungen geleitet hat, riefen Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und vor allem das linke Parteienspektrum zu Massenkundgebungen auf. So auch die Partei La France Insoumise (LFI, „Unbeugsames Frankreich“), nach deren Angaben es am Samstag 130 Demonstrationen im ganzen Land gab.
Einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe zufolge sind 74 Prozent der Franzosen der Meinung, Macron habe das Wahlergebnis missachtet. Frankreich droht am 1. Oktober eine Streikwelle, die bereits mit dem Demonstrationsaufruf für Samstag angekündigt wurde.
Macron hatte nach dem Erstarken des rechten Rassemblement National (RN) bei der Europawahl Neuwahlen ausgerufen. Jedoch verlor seine eigene Bewegung Ensemble bei der Abstimmung Anfang Juli die Mehrheit im Parlament. Die französische Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, für das Amt des Ministerpräsidenten zu ernennen, wen er will. Jedoch muss diese Person in der Lage sein, Misstrauensvoten der Opposition zu überstehen.
Allerdings stellen NFP und RN zusammen eine Mehrheit und könnten – im Falle einer Zusammenarbeit – den Regierungschef stürzen. Beide Lager hatten massiv gegen einige von Macrons unpopulären Reformvorstößen gewettert. Dazu zählt vor allem die Anhebung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Barnier kündigte an, die Reform mitzutragen.
Der RN wird in der Konstellation zum Königsmacher, da die Partei Barnier unter bestimmten Bedingungen zugesichert hat, sich nicht an einem Misstrauensvotum zu beteiligen. RN-Chef Jordan Bardella sagte am Samstag dem Sender BFM, Barnier sei ein Ministerpräsident unter Beobachtung. „Ohne uns geht nichts“.
Barnier erklärte in seinem ersten Interview nach seiner Ernennung, er wolle das zersplitterte Parlament einen und zugleich einen härteren Kurs in der Einwanderungspolitik einschlagen.