Lage in Georgien spitzt sich zu

Ministerium sieht Verstöße gegen das Versammlungsgesetz © APA/AFP/GIORGI ARJEVANIDZE

In Georgien spitzt sich die politische Krise angesichts der strittigen Frage eines Beitritts in die Europäische Union zu. Die der EU zugewandte Präsidentin Salome Surabitschwili bezeichnete die Regierung am Samstag als nicht rechtmäßig und erklärte, sie werde trotz ihrer im Dezember endenden Amtszeit auf ihrem Posten bleiben. Die USA setzen ihre strategische Partnerschaft mit der Südkaukasusrepublik vorübergehend aus.

USA orten „Verrat an der georgischen Verfassung“

Die Entscheidung der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, sei ein „Verrat an der georgischen Verfassung“, teilte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, auf der Online-Plattform X zur Begründung mit. Man verurteile auch „den übermäßigen Einsatz von Gewalt gegen Georgier, die ihr Recht auf Protest wahrnehmen“, hieß es weiter.

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Die georgische Bevölkerung unterstütze mit „überwältigender Mehrheit die europäische Integration“, teilte das Außenministerium in Washington auf seiner Webseite mit. In der georgischen Verfassung sei das Versprechen verankert, „eine vollständige Integration in die Europäische Union und die NATO anzustreben“. Die prorussische Partei Georgischer Traum verhalte sich „antidemokratisch“ und verstoße gegen grundlegende Werte einer Zusammenarbeit wie Verpflichtungen in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte.

Der pro-russische Ministerpräsident Irakli Kobachidse erklärte indes, Georgien werde keine Revolution zulassen. Kobachidse bezog sich auf die Ukraine, wo 2014 der russland-freundliche Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt wurde. In Georgien war der politische Streit am Donnerstag offen ausgebrochen, als die Partei „Georgischer Traum“ von Kobachidse erklärt hatte, man werde die EU-Beitrittsgespräche für die nächsten vier Jahre aussetzen, weil Georgien von der EU erpresst werde.

Eine EU-Mitgliedschaft ist in Georgien bei den Bürgern populär. Die Ankündigung löste daher Proteste im Land aus. Das Land im Südkaukasus mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern hat das Ziel eines EU-Beitritts auch in seiner Verfassung verankert. In Umfragen stellt sich immer wieder eine breite Mehrheit dahinter.

Surabitschwili sagte am Samstag in einer Ansprache, das Parlament habe kein Recht, einen Nachfolger für sie zu wählen, wenn ihre Amtszeit im Dezember ende. Sie werde daher im Amt bleiben. Die Präsidentin und andere Regierungskritiker haben das Ergebnis der Parlamentswahl von Ende Oktober als gefälscht bezeichnet, bei der der „Georgische Traum“ fast 54 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Surabitschwili sagte am Samstag, es gebe kein legitimes Parlament, „und deshalb kann ein illegitimes Parlament keinen neuen Präsidenten wählen“. Ihr Mandat bleibe bestehen, bis ein rechtmäßig gewähltes Parlament gebildet sei.

Abgeordneten legten in Tiflis Termin für Präsidentenwahl auf 14. Dezember fest

Am vergangenen Dienstag legten die Abgeordneten in Tiflis den Termin für die Präsidentenwahl auf den 14. Dezember fest, Abgeordnete der Opposition boykottierten die Abstimmung. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat.

Die Nachfolgerin oder der Nachfolger der regierungskritischen Präsidentin Surabischwili soll erstmals nicht mehr direkt vom Volk, sondern von einer 300-köpfigen Wahlversammlung aus 150 Parlamentsabgeordneten sowie Lokal- und Regionalvertretern bestimmt werden. Das neue Wahlverfahren war 2017 im Rahmen einer von der Partei Georgischer Traum vorangetriebenen Verfassungsreform verabschiedet worden.

Aufgrund des Verfahrens gilt als ausgemacht, dass das neue Staatsoberhaupt auf der Linie der Partei von Regierungschef Irakli Kobachidse liegen wird. Der neue Staatschef soll nach Parlamentsangaben am 29. Dezember sein Amt antreten, die Amtszeit dauert fünf Jahre.

Kobachidse fürchtet Revolution wie in der Ukraine 2014

Kobachidse hat die Gegner des EU-Beitrittsstopps beschuldigt, eine Revolution nach dem Vorbild der Maidan-Proteste in der Ukraine 2014 zu planen. Georgien werde ein solches Szenario „natürlich nicht zulassen“, wurde Kobachidse von lokalen Medien zitiert. Dem georgischen Innenministerium zufolge wurden seit der Nacht 107 Personen in der Hauptstadt Tiflis festgenommen, als Pro-EU-Demonstranten Barrikaden entlang der zentralen Rustaweli-Allee errichteten und Feuerwerkskörper auf die Bereitschaftspolizei warfen. Diese hatte sie mit Wasserwerfern und Tränengas auseinander getrieben. Am Samstagabend versammelten sich erneut tausende Demonstranten in Tiflis. Die Polizei zog zahlreiche Kräfte zusammen.

Mit dem angekündigten Stopp des EU-Beitritts hatte der Streit in den sich seit Monaten verschlechternden Beziehungen zwischen dem „Georgischen Traum“, dem autoritäre und pro-russische Tendenzen vorgeworfen werden, und dem Westen einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Partei wird von Bidzina Iwanischwili dominiert, einem milliardenschweren Ex-Ministerpräsidenten, der im Vorfeld der Wahlen im Oktober zunehmend antiwestliche Positionen vertreten hatte. Sowohl die Regierungspartei als auch die georgische Wahlkommission haben erklärt, die Wahl sei frei und fair verlaufen.

Barrikaden, Tränengas und Wasserwerfer bei Pro-EU-Protesten

Am Samstag gingen in Tiflis den dritten Abend in Folge tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen durch die Russland-freundliche Regierung zu protestieren. Die Straßen im Zentrum der Hauptstadt waren voller Demonstranten, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP beobachteten. Vor dem Parlament schwenkten sie Fahnen Georgiens und der EU. „Meine Zukunft hängt davon ab, was Georgien genau jetzt tut“, sagte die 22-jährige Anna Kaulaschwili der AFP.

Es kam erneut zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten. In Tiflis errichteten Protestierende Barrikaden, schlugen Fensterscheiben ein und zündeten Feuerwerkskörper vor dem Parlament. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Georgischen Medien zufolge gab es Proteste auch in weiteren Städten im ganzen Land.

Massive Proteste seit Donnerstagabend

Die massiven Proteste in dem Kaukasus-Staat hatten am Donnerstagabend begonnen. Sie richten sich insbesondere gegen den von Regierungschef Irakli Kobachidse angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen des Landes bis 2028. In den vergangenen Tagen waren tausende Menschen auf die Straße gegangen. In der Nacht zum Samstag wurden bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrierenden mehr als 100 Menschen festgenommen. Die Polizei setzte einen Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstranten ein.

Das Außenministerium in Wien (BMEIA) ließ dazu über die Sozialen Netzwerke „X“ und „Bluesky“ wissen: „Die Stimme der Georgier, die für Demokratie und eine europäische Zukunft demonstrieren, muss gehört und respektiert werden. Gewalt gegen friedliche Demonstranten ist nicht akzeptabel! Wir fordern die Regierung auf, die Situation zu entschärfen.“