Weltstrafgericht erlässt Haftbefehl gegen Putin

Hintergrund ist die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland © APA/SPUTNIK/PAVEL BEDNYAKOV

Der Internationale Strafgerichtshof hat wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Das teilte das Gericht am Freitag in Den Haag mit. Putin sei mutmaßlich verantwortlich für die Deportation ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland. Einem entsprechenden Antrag des Chefanklägers Karim Khan auf Ausstellung eines Haftbefehls hatten die Richter stattgegeben.

Zurzeit hat dieser Haftbefehl aber vor allem eine symbolische Bedeutung. Denn ein Prozess gegen Putin scheint ausgeschlossen. Es ist der erste Haftbefehl, den das Gericht im Zusammenhang mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen hat.

Das Gericht erließ auch einen Haftbefehl gegen Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte. Auch ihr werden Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Deportation ukrainischer Kinder zur Last gelegt.

Putin soll als Befehlshaber zur Verantwortung gerufen werden. Er habe seine zivilen oder militärische Untergebenen unzureichend kontrolliert, wird der Verdacht begründet. Der genaue Text der Haftbefehle wird nicht veröffentlicht, um Opfer und Zeugen zu schützen, wie das Gericht mitteilte.

Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass Putin tatsächlich auch in Haft genommen und in eine der Zellen des Gerichts im Nordseebad Scheveningen eingesperrt wird. Das Gericht mit Sitz in Den Haag verfügt über keine eigene Polizeimacht, die den Präsidenten festnehmen könnte. Es ist derzeit auch illusorisch zu denken, dass Russland seinen eigenen Präsidenten dem Gericht ausliefern würde.

Aber ein solcher internationaler Haftbefehl schränkt Putins Bewegungsfreiheit weiter ein. Sobald er in ein Land reist, das den Grundlagenvertrag des Gerichts ratifiziert hat, droht ihm die Festnahme. Denn alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Haftbefehle auszuführen.

Momentan scheint ein Prozess gegen den russischen Präsidenten in Den Haag aber ausgeschlossen. Der Strafgerichtshof darf keine Prozesse in Abwesenheit der Angeklagten führen. Russland erkennt das Gericht nicht an. „Allein die Formulierung der Frage halten wir für unverschämt und inakzeptabel“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge am Freitag. „Entsprechend sind Entscheidungen dieser Art für Russland vom rechtlichen Standpunkt unbedeutend.“ Peskow wollte sich nach Angaben der russischen Agenturen nicht dazu äußern, ob eine drohende Verhaftung des Kremlchefs in Ländern, die das Gericht anerkennen, sich auf die Reisepläne Putins auswirken könnte.

Der prominente russische Außenpolitiker Leonid Sluzki warf dem Haager Gerichtshof vor, sich vom Westen zu Propagandazwecken instrumentalisieren zu lassen. Das Gericht solle vielmehr einen Haftbefehl gegen den „ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seine Bande“ sowie dessen „westlichen Beschützer“ ausstellen. Diese seien „die wahren Kriegsverbrecher“.

Die ukrainische Führung jubelte wegen der Entscheidung des IStGH. „Dies ist eine historische Entscheidung“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Nach seinen Angaben sind weit mehr als 16.000 Kinder verschleppt worden. „Es wäre unmöglich gewesen, eine solche kriminelle Operation ohne die Zustimmung des Mannes an der Spitze des terroristischen Staates durchzuführen“, erklärte er in seiner nächtlichen Videoansprache.

Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin lobte die Entscheidung als Signal für die Welt, dass das „russische Regime“ verbrecherisch sei. „Die Führer der Welt werden jetzt dreimal überlegen, bevor sie ihm (Putin) die Hand geben oder sich mit ihm an den Verhandlungstisch setzen.“ Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba begrüßte die Entscheidung auf Twitter. „Internationale Verbrecher werden für den Diebstahl von Kindern und andere internationale Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden“, postete er.

Die Vereinten Nationen vermieden indes eine direkte Reaktion auf den Haftbefehl gegen Putin. Der Sprecher von UNO-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, betonte lediglich, dass Putin für den UNO-Chef wegen der Entscheidung keine Persona non grata sei: „Der Generalsekretär wird immer mit jedem sprechen, mit dem es nötig ist zu sprechen“.

Ob es zum Prozess gegen Putin kommen wird, ist ungewiss. Das Weltstrafgericht in Den Haag erkennt zwar keine Immunität an und will auch hohe Staatsrepräsentanten verfolgen. Doch wie schwer das ist, zeigt der Fall des früheren Präsidenten des Sudan, Omar al-Bashir. 2009 erließ das Gericht einen internationalen Haftbefehl gegen ihn wegen des Verdachts auf Völkermord in der Region Darfur. Doch Al-Bashir wurde nie überstellt.

Die internationale Strafverfolgung von politischen oder militärischen Führern ist eine Sache des langen Atems. Charles Taylor etwa, der frühere Präsident von Liberia, wurde 2012 in Den Haag von einem Sondergericht wegen Kriegsverbrechen zu 50 Jahren Haft verurteilt.

Und auch das UNO-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien verurteilte den ehemaligen Serbenführer Radovan Karadzic und Ex-General Ratko Mladic zu lebenslanger Haft wegen Völkermordes. Jahrelang waren sie zuvor untergetaucht. Der serbische Ex-Präsident Slobodan Milosevic stand zwar vor den UNO-Richtern, starb allerdings vor einer Verurteilung.

Ein Prozess gegen Putin ist also nicht unbedingt ausgeschlossen, wenn auch bei den heutigen politischen Bedingungen unvorstellbar. Die Ausstellung des Haftbefehls ist vor allem ein Signal des Internationalen Strafgerichtshofes, dass es mit der strafrechtlichen Verfolgung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine ernst macht.

Obgleich die Ukraine das Römische Statut des Internationalen Gerichtshofs nicht ratifiziert hat, erkennt Kiew die Befugnis der Richter für seit 2014 auf ukrainischem Staatsgebiet verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen die Ukraine an. 2015 übergab der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin in Den Haag eine entsprechende Erklärung. Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs hatte Chefankläger Khan bereits Ermittlungen in der Ukraine aufgenommen.

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