Fast ein Jahr nach Beginn des Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen hat die israelische Regierung ihre Kriegsziele auf den Konflikt mit der Hisbollah im Libanon ausgeweitet. Die Regierung habe die Kriegsziele aktualisiert und um die „sichere Rückkehr der Bewohner des Nordens in ihre Häuser“ erweitert, teilte das Büro von Premier Benjamin Netanyahu am Dienstag mit. Unterdessen gab es Gerüchte, Netanyahu wolle Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen.
Seit dem Beginn des Krieges im Gazastreifen haben auch die Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der mit der Hamas verbündeten Hisbollah im Libanon zugenommen. Zehntausende Menschen auf beiden Seiten der Grenze mussten fliehen. Der israelische Verteidigungsminister Gallant hatte am Montag erklärt, „militärisches Handeln“ sei „der einzige verbliebene Weg, die Rückkehr der nordisraelischen Gemeinden sicherzustellen“.
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In Israel machten unterdessen Medienberichte die Runde, dass Netanyahu auf Druck seiner ultrarechten Koalitionspartner erwäge, Verteidigungsminister Gallant durch den bisherigen Oppositionspolitiker Gideon Saar zu ersetzen. Dieser steht für einen schärferen Kurs gegenüber der palästinensischen Hamas, gegen die Israel seit knapp einem Jahr im Gazastreifen Krieg führt.
Gallant hatte Netanyahus erklärtes Kriegsziel eines vollständigen Siegs im Gazastreifen als unsinnig abgetan und stattdessen einen konkreteren Plan für eine Nachkriegsordnung gefordert. Saar hat dagegen in den vergangenen Monaten wiederholt ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Feinde Israels gefordert, einschließlich des Iran. Auf Überlegungen, zur Beendigung des Kriegs ein Abkommen mit der Hamas zu schließen, reagierte der einstige Justizminister kritisch.
Rückhalt bekam Gallant von dem einflussreichen Wirtschaftsforum Israel. Dieses plädierte dafür, den Verteidigungsminister nicht zu feuern. Israel würde dadurch „in den Augen des Feindes“ geschwächt. Außerdem werde sich die Spaltung der Bevölkerung Israels noch mehr verstärken, hieß es in einer Erklärung der Vereinigung, der die Chefs von 200 der größten israelischen Unternehmen angehören.
Der Konflikt Israels mit der Hisbollah wurde bisher nicht offiziell als Krieg deklariert. Dennoch wurden durch die Feuergefechte im Libanon laut einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP 623 Menschen getötet, darunter mindestens 141 Zivilisten. Auf israelischer Seite, inklusive der annektierten Golan-Höhen, wurden nach Behördenangaben bisher 24 Soldaten und 26 Zivilisten getötet.
Die Hisbollah, die ebenso wie die Hamas vom israelischen Erzfeind Iran unterstützt wird, griff nach eigenen Angaben am Montag und Dienstag erneut Ziele in Israel an. Das libanesische Gesundheitsministerium teilte unterdessen mit, bei israelischen Angriffen seien drei Menschen getötet und zwei weitere verletzt worden. Das israelische Militär meldete seinerseits, es habe bei Angriffen auf einen „Standort terroristischer Infrastruktur“ in der Gegend um das Dorf Blida im Südlibanon „drei Terroristen eliminiert“.
Gallants Büro teilte mit, der Minister habe dem US-Gesandten Amos Hochstein gesagt, dass die „Möglichkeit einer Einigung“ mit der Hisbollah „immer unwahrscheinlicher“ werde, da die Miliz sich weiterhin an die Hamas binde. Netanyahu sagte Hochstein später, er ziele auf eine „fundamentale Veränderung“ der Sicherheitssituation an der nordisraelischen Grenze ab.
Israels Armee tötete eigenen Angaben nach bei einem Angriff innerhalb einer humanitären Zone in Khan Younis im Gazastreifen einen wichtigen Kommandanten einer palästinensischen Terrororganisation Ahmed Aish Salame al-Hashash sei für den Abschuss von Raketen aus dem als humanitärer Zone ausgewiesenem Gebiet auf israelisches Territorium verantwortlich gewesen, teilte das israelische Militär mit. Die Tötung von Al-Hashash fand den Angaben nach bereits am Montag statt. „Die Terrororganisationen im Gazastreifen missbrauchen weiterhin systematisch die zivile und humanitäre Infrastruktur, um terroristische Aktivitäten und Angriffe auf israelische Zivilisten auszuführen“, hieß es von Israels Armee weiter.
Bei einem israelischen Angriff in dem Flüchtlingsviertel Al-Bureij im Gazastreifen gab es nach Angaben des palästinensischen Zivilschutzes Tote und Verletzte. Insgesamt seien sechs Wohnhäuser betroffen. Die israelische Armee teilte mit, „Berichte darüber, dass unbeteiligte Zivilisten zu Schaden gekommen sein sollen, werden geprüft“. Die Luftwaffe habe „Terror-Infrastruktur im Bereich von Al-Bureij angegriffen, von der aus Terroristen sich darauf vorbereiteten, Panzerabwehrraketen (auf Soldaten) abzufeuern“, teilte die Armee weiter mit. Auch Scharfschützen hätten israelische Truppen angreifen wollen. Ziel der israelischen Luftangriffe sei es gewesen, „eine unmittelbare Bedrohung von Truppen in dem Gebiet“ zu beenden.
Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit Beginn des Kriegs am 7. Oktober insgesamt mehr als 41.250 Menschen im Gazastreifen getötet worden. Etwa ein Drittel der Toten sind den Angaben zufolge Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Behörde unterscheidet bei den Angaben allgemein nicht unter Zivilisten und Kombattanten. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Großangriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres ausgelöst worden, bei dem Kämpfer der Hamas und anderer islamistischer Gruppen nach israelischen Angaben 1205 Menschen getötet und 251 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt hatten. Als Reaktion auf den Angriff geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bisher mehr als 41.200 Menschen getötet.
Monatelange Bemühungen um eine Waffenruhe blieben bisher erfolglos. Die USA drängen nach eigenen Angaben nach wie vor alle Seiten dazu, ein Abkommen abzuschließen. Außenministeriumssprecher Matthew Miller teilte mit, Washington arbeite „zügig“ an einem neuen Vorschlag. Außenminister Blinken werde bei einem Besuch in Ägypten in dieser Woche über eine Feuerpause diskutieren. Ziel sei es, alle Geiseln zu befreien, das Leid des palästinensischen Volkes zu mildern und eine weitreichende regionale Sicherheit herzustellen.
Am Dienstag sollte in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York ein Resolutionsentwurf besprochen werden, der ein Ende der israelischen Besatzung aller palästinensischen Gebiete innerhalb von zwölf Monaten vorsieht. Resolutionen der Generalversammlung sind nicht bindend. Israel verurteilte den Resolutionsentwurf bereits als „schändlich“.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP sagte UNO-Generalsekretär António Guterres, es gebe „keine Rechtfertigung für die kollektive Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung“. Das sei jedoch, „was wir im Gazastreifen auf dramatische Weise sehen“.