Nachsicht mit den Deutschen!

Kritik an Berlins zögerlicher Ukraine-Hilfe wirkt im Licht der Nachkriegsgeschichte überzogen

Auch Österreich hätte Leopard-Panzer...
Auch Österreich hätte Leopard-Panzer... © Bundesheer/Schafler

So bequem kann Neutralität sein: Österreich muss sich nicht mit der Frage herumschlagen, ob es eventuell ein paar seiner Leopard-Kampfpanzer der Ukraine zur Verfügung stellen könnte.

Verteidigungsministerium oder Heeresführung müssen keine Ausflüchte erfinden, obwohl man diesem Fall nicht einmal eine Notlüge bräuchte.

Von den 56 beim Panzerbataillon PzB14 in Wels stehenden Tanks vom Typ Leopard 2A4, Baujahr 1983-85, ist bloß ein Teil einsatzfähig, keiner nachtsichtfähig, viele sind nur noch Ersatzteillager. Ob den ukrainischen Verteidigern damit viel geholfen wäre, steht zu bezweifeln.

Tu felix Austria…

Doch die Frage stellt sich ohnehin nicht. Denn, tu felix Austria, bist ja neutral. Auch wenn die Neutralität seit dem EU-Beitritt immer wieder situationselastisch ausgelegt wird, die Lieferung von Offensivwaffen an einen kriegführenden Staat ginge mit ihr auf keinen Fall unter einen Hut. Also fragt uns auch niemand um irgendeine Beteiligung an der militärischen Unterstützung der Ukraine durch den Westen.

Somit bleibt Österreich jene quälende Debatte erspart, mit der sich unser Nachbar seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine konfrontiert sieht: Zu zögerlich seien die Deutschen bei der militärischen Unterstützung des Putin-Opfers, zu wenig komme zu spät.

Lange zierte sich Kanzler Olaf Scholz (SPD), den Ukrainern eben solche Leopard-2-Panzer zu liefern. Diese könnten der Ukraine einen möglicherweise kriegsentscheidenden Vorteil verschaffen, weshalb Präsident Wolodymyr Selenskyj umso heftiger drängt und Moskau umso lauter droht.

Weg in Dritten Weltkrieg?

Nicht nur von Nato-Verbündeten, auch aus den Koalitionsparteien FDP und Grüne sowie von der oppositionellen CDU erntete Scholz Kritik für seine Zögerlichkeit. Aber hätte die CDU in der Verantwortung anders gehandelt? Kanzlerin Angela Merkel war auch nicht gerade bekannt fürs Hasardieren. Ihr früherer militärpolitischer Berater Erich Vad warnte schon im April, mit der Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine möglicherweise den „Weg in den Dritten Weltkrieg“ zu beschreiten.

Auf Appeasement getrimmt

Ein Blick auf die Nachkriegsgeschichte sollte die Kritiker Deutschlands wie auch deutsche Selbstkritiker milde stimmen. Er zeigt, unter welchen Bedingungen die Deutschen international (re)sozialisiert wurden.

Zwar setzte sich 1944 der damalige US-Finanzminister Henry Morgenthau mit seinem Plan einer Umwandlung Deutschlands in einen demilitarisierten Agrarstaat zum Glück nicht durch, aber die (wie Österreich) mit dem Marshallplan zum Wirtschaftswunderland aufgepäppelte Bundesrepublik war von Anfang auf Appeasement konditioniert. Sie war angehalten und auch bemüht, sich politisch — militärisch sowieso — möglichst klein zu machen, auf dass niemand mehr Angst haben müsse vor deutscher Großmannssucht.

Doktrin der Demut

Nur ja nicht zu forsch auftreten, immer schön demütig sein und Asche aufs Haupt streuen war jahrzehntelang außenpolitische Doktrin Westdeutschlands. Als nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 die Wiedervereinigung anstand, hatte CDU-Kanzler Helmut Kohl alle Hände voll zu tun, um eigentlich inzwischen befreundeten Franzosen oder Briten die noch immer latente Angst vor einem zu mächtigen Deutschland zu nehmen.

Diese blitzte sogar bei Österreichs EU-Beitrittsbemühungen in Form von Bedenken wegen einer Art neuem „Anschluss“ auf. Frankreichs Präsident Francois Mitterrand etwa befürchtete eine deutschsprachige Dominanz.

Zwergenhafter Riese

Der auf Zwergentum getrimmte Riese hat außenpolitische und militärische Zurückhaltung über die Jahrzehnte hindurch verinnerlicht und perfektioniert. Auch im Bewusstsein um die braunen Schatten, welche die deutsche Geschichte bis ins Heute wirft.

Deutschland könnte im Hinblick auf die Ukraine freilich eine ganz andere Lehre aus der Geschichte ziehen. Polens Ex-Premier Donald Tusk etwa fragte: „Sollte die Erinnerung an den Völkermord der Nazis nicht dazu führen, der Ukraine zu helfen?“

14 deutsche Leoparden als Wiedergutmachung? So kann man es auch sehen. Dort, wo einst Nazi-Panzer rollten, rollen bald deutsche Befreiungspanzer.

Ethisch ist die Leopard-Lieferung also gut zu argumentieren. Säße da nicht im Kreml ein Mann, der das völlig anders sieht und den Finger am atomaren Drücker hat. Das dämpft der Deutschen Lust am Umdenken, das sich Österreich, Neutralität sei Dank, gar nicht erst antut.

Eine Analyse von Manfred MAURER

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