Österreich setzt jetzt türkischem Parallel-Bildungssystem Grenzen

Hohe Hürden für Linzer Akademikerschmiede im Milli-Görüs-Dunstkreis

Eingebremst: An der Linzer Dauphinestraße 58 logiert im Dachgeschoß die Milli-Görüs nahestehende Gesab, wo es künftig keinen Doktortitel mehr zu holen geben wird...
Eingebremst: An der Linzer Dauphinestraße 58 logiert im Dachgeschoß die Milli-Görüs nahestehende Gesab, wo es künftig keinen Doktortitel mehr zu holen geben wird... © Maurer

Atemberaubende Akademikerkarrieren, Homosexualität für heilbar und den Autokraten Erdogan für verehrenswürdig haltende Referenten — das bietet ein türkisches Parallel-Bildungssystem in Österreich. Wie berichtet, offeriert die Gesellschaft für akademische Bildung (Gesab) in Linz Bachelor-, Master- und Doktoratsstudien.

Zumindest steht es noch so auf der Webseite. Wie es aussieht, wird ihr wissenschaftlicher Direktor Yusuf Kilic aber der erste und letzte aus diesem System hervorgegangene Doktor sein.

„Blindes“ Gesetz

Dabei begann es Dank günstiger Gesetze vielversprechend: 2018 gründete sich in Wien der Verein Gesab, der bald nach Linz expandierte. Das Ziel: Heranbildung einer „neuen Akademiker-Generation“ in Kooperation mit der nordmazedonischen Vizyon- Universität. Gesetzliche Basis war eine bloße Meldung bei der Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung (AQ Austria). Die im Auftrag des Bildungsministeriums tätige Institution bestätigte die „Meldung grenzüberschreitender Studien“ gemäß Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz (HS-QSG).

Milli Görüs mischt mit

Ab 2019 durfte die Gesab Bachelor- und Masterstudien in Psychologie, Rechtswissenschaften, Betriebswirtschaft, Architektur und Informatik anbieten. In Klinischer Psychologie sogar ein Doktoratsstudium, das der inzwischen zum Gesab-Chef aufgestiegende Kilic nach nur drei Jahren im Juni 2022 abschloss.

Was den Behörden entgangen bzw. von Gesetzes wegen gar nicht zu prüfen war, ist der Hintergrund dieser Bildungsoffensive: Auffallend die Nähe zur Austria Linz Islamische Föderation (Alif), einem Ableger der vom deutschen Verfassungsschutz als „extremistische Gruppierung“ gelisteten Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Im Herbst 2020 führte Vizyon-Professor Mensur Nuredin in der Linzer Alif-Zentrale Gespräche „zur Entwicklung der Zusammenarbeit mit Gesab“. Auf von Nuredin, nicht aber von Alif veröffentlichten Fotos vom Treffen neben den Alif-Chefs Resul Koca und Murat Baser zu sehen: Binur Mustafi, damals OÖ-Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), heute Leiter des IGGÖ-Bildungsamtes.

Türkische Balkan-Träume

Bemerkenswert auch die Rolle von Vizyon: Obwohl im nordmazedonischen Gostivar angesiedelt, ist die Uni de facto eine türkische Institution. Die Erdogans AK-Partei nahestehende Zeitung „Yeni Safak“ nennt sie „Symbol des Kampfes um die Existenz der Türken auf dem Balkan“. Erdogan-Beraterin Ayse Türkemnoglu sagte beim 8. Uni-Gründungsjubiläum im Dezember, worum es geht. Den Verlust türkischer Gebiete nach dem Ersten Weltkrieg beklagend schwelgte sie in osmanischer Nostalgie: „Der Balkan ist die Geografie unseres Herzens.“ Bildungseinrichtungen hätten dabei wichtige Aufgaben. Initiator der Uni ist eine Stiftung, deren Präsident — Vizyon-Professor und Gesab-Lehrbeauftragter Nuredin — an Wahltagen in der Türkei sein Facebook-Profilbild gern gegen Erdogan-Konterfeis tauscht.

Nuredin war zuletzt vor vier Wochen in Linz. Da könnte es schon um die nun nicht mehr so rosige Zukunft der Gesab gegangen sein. Diese ist nämlich mit einer neuen Gesetzeslage konfrontiert.

Jetzt wird streng geprüft

2018 hatte die AQ Austria, wie deren Geschäftsführer Jürgen Petersen zum VOLKSBLATT sagt, „nur die Raum- und Sachausstattung der Gesab evaluiert, aber nicht die personelle, inhaltliche Umsetzung des Angebotes“. Obwohl die Agentur „Qualitätssicherung“ im Namen führt, durfte sie gar nicht prüfen, was es etwa mit umstrittenen Lehrinhalten von Referenten auf sich hat. So vertritt der — auch von der IGGÖ in der Imame-Ausbildung eingesetzte — türkische Psychiater Nevzat Tarhan die Ansicht, Homosexualität sei eine von Ärzten zu behandelnde Störung. Auch ein Vergleich mit Sodomie findet sich auf seiner Webseite.

Da die AQ-Bestätigung Ende 2023 ausläuft, ist eine neue zu beantragen. Nun aber auf der Basis einer HS-QSG-Novelle, die für Bildungseinrichtungen aus Drittstaaten eine Evaluierung der Qualität von Studiengängen vorschreibt. Es wird also jetzt genau hingeschaut. Ganz genau, wie Petersen betont. Sofern die Gesab überhaupt eine solche Prüfung riskiert. Ein im September an die AQ gerichtetes Ansuchen wurde kürzlich zurückgezogen, bis dato kein neues eingereicht. Das Angebot wurde bereits deutlich auf ein Bachelor- und Masterstudium in Psychologie geschrumpft. Auch das muss aber den nun strengen AQ-Check bestehen.

Der Traum von der „neuen Akademikergeneration“ als Vorhut neoosmanischer Ambitionen scheint geplatzt.

Von Manfred Maurer

UPDATE: Stellungnahme der Gesellschaft für akademische Bildung (Gesab):

Gesab-Direktor Yusuf Kilic hat am Mittwoch ein direktes Interview abgelehnt und um die Übermittlung schriftlicher Fragen gebeten. Dem Ersuchen, diese Fragen bis Donnerstag zu beantworten, kam Kilic nicht nach. Heute, Samstag, übermittelte er seine Antworten, welche hiermit ungekürzt nachgereicht werden:

VOLKSBLATT: Warum, haben sie nicht bei einer österreichischen Universität studiert?

YUSUF KILIC: Es ist eine persönliche Frage, die ich nicht beantworten möchte.

VOLKSBLATT: Sind Sie der einzige Absolvent eines Doktoratsstudiums bei Gesab?

YUSUF KILIC: Die informationen zu den AbsolventInnen finden Sie auf der Webseite.

VOLKSBLATT: Haben Sie Ihr gesamtes Psychologie-Studium über Gesab absolviert oder haben Sie auch über andere Institutionen ein Studium absolviert (Bachelor oder Master)?

YUSUF KILIC: Es ist wierderum eine persönliche Frage, die ich nicht beantworten möchte.

VOLKSBLATT: Laut Bildungsministerium wurde bislang kein einziges Studienabschlussdiplom dieser Einrichtung (Gesab/Vizyon) gemäß Anerkennungsgesetz bewertet. Führen Sie ihren Doktortitel zu Recht?

YUSUF KILIC: Es ist eine persönliche Sache.

VOLKSBLATT: Haben Sie eine Anerkennung Ihres Doktortitels beim Nationalen Informationszentrum für Akademische Anerkennung (ENIC NARIC AUSTRIA) beantragt?

YUSUF KILIC: Es ist eine private Angelegenheit

VOLKSBLATT: Gesab wirbt mit dem Logo der Wirtschaftskamner als Kooperationspartner bei Lehrlingsausbildung. Die Wirtschaftskammer bestreitet die Existenz eines solchen Abkommens.

YUSUF KILIC: Es gibt derzeit keine kooperetion mit der Wirschaftskammer. (Anmerkung: Gesab hat den Hinweis auf ein Kooperationsabkommen mit WKO inzwischen von der Webseite entfernt).

VOLKSBLATT: Auf der Facebook-Seite von Gesab wurde mehrfach Veranstaltungen mit dem türkischen Psychiater Nevzat Tarhan beworben. Tarhan hält Homosexualität für eine heilbare Störung und vergleicht sie mit Sodomie. Wie steht Gesab zu diesen Posotionen?

YUSUF KILIC: Dazu kann ich Fogendes sagen:
Alle Menschen ünabhängig von ihrem Geschlecht und Alter, ihrer Bildung, sozialen oder beruflichen Stellung, ihrer politischen oder weltanschaulichen Orientierungund ihrer Nationalität haben die Chance der Fortbildung.

VOLKSBLATT: Wann hat Gesab das im September 2022 bei AQ-Austria eingereichte Ansuchen um Bestätigung der Studiengänge zurückgezogen und warum?

YUSUF KILIC: Die Informationen, die mit der Öffenlichtkeit geteilt werden, befinden sie auf der Webseite.

VOLKSBLATT: Welche Verbindungen bestehen zwischen GESAB und Austria Linz Islamische Föderation (ALIF)?

YUSUF KILIC: In unseren Bildungsangeboten steht die Erwachsenenbildung im Mittelpunkt. Daher können sich alle Erwachsenen, die sich für eine Psychologie-Studium interessieren, sich an GESAB wenden.

VOLKSBLATT: Welche Funktionen haben Sie bei ALIF außer dem Vorsitz von Alif Attnang-Puchheim.

YUSUF KILIC: Es ist meine einzige Funktion.

VOLKSBLATT: Laut Informationen aus dem Bildungsministerium wurden einige über GESAB erreichte Abschlüsse in Rechtwissenschaften nicht anerkannt. Ist dies der Grund dafür, dass GESAB kein Studium der Rechtswissenschaft mehr anbieten wird?

YUSUF KILIC: Aufgrund eines Vorstandsbeschlusses bieten wir kein Studium der Rechtwissenschaft an.

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