Putin schließt Konflikt mit Westen nicht aus

Putin: ein Wahlergebnis wie zu Zeiten der Sowjetunion © APA/AFP/NATALIA KOLESNIKOVA

Der russische Machthaber Wladimir Putin (71) hat nach seiner Wiederwahl bei einer weder freien noch fairen Abstimmung die Spannungen zwischen Russland und dem Westen in einem düsteren Licht gezeichnet. Ein umfassender Konflikt mit der NATO sei nicht auszuschließen, und in diesem Fall wäre die Welt nur einen Schritt von einem Dritten Weltkrieg entfernt, erklärte Putin Sonntagabend in Moskau. Seine Truppen in der Ukraine sieht er im Vorteil.

Putin trat als klarer Wahlsieger in seiner Wahlkampfzentrale auf: Wie die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti unter Berufung auf die Wahlbehörden berichtete, kommt er nach Auszählung der Stimmen aus 99 Prozent der Wahllokale auf 88,33 Prozent und steht damit vor einer weiteren sechsjährigen Amtszeit. Er lenkt den russischen Staat seit fast 25 Jahren immer autokratischer. Putins Sieg galt von vornherein als ausgemacht. Alle bekannteren Kritiker des Kreml-Chefs sind entweder tot, inhaftiert oder im Exil.

„Ich halte es für unwahrscheinlich, dass irgendjemand daran (Dritter Weltkrieg, Anm.) interessiert ist, wurde Putin von der Staatsagentur TASS zitiert. Nach Putins Worten sind in der Ukraine bereits zahlreiche Soldaten aus den Mitgliedsstaaten der NATO im Einsatz. “Das wissen wir bereits”, sagte er. Man habe bereits Französisch und Englisch vernommen. „Das ist nichts Gutes, vor allem für sie, denn sie sterben dort in großer Zahl“, sagte Putin – ohne diese Behauptung zu belegen.

Seine Truppen in der Ukraine sieht der Kremlchef nach der Eroberung mehrerer Städte und Dörfer im Osten des Landes klar im Vorteil. „Die Initiative geht ausschließlich von den russischen Streitkräften aus und in einigen Gebieten mähen unsere Leute sie – den Feind – gerade einfach nur nieder.“ Offen zeigte sich der russische Präsident für Gespräche über den Vorschlag Frankreichs für eine Feuerpause in der Ukraine während der Olympischen Spiele. Allerdings müssten dabei die Interessen des russischen Militärs an der Front berücksichtigt werden. Die Olympischen Spiele finden vom 26. Juli bis zum 11. August in Paris statt.

Der Kreml hatte die Wahl als eine Gelegenheit für die Russen dargestellt, ihre Unterstützung für den russischen Militäreinsatz in der Ukraine zu demonstrieren. Begleitet wurde die dreitägige Abstimmung von zahlreichen ukrainischen Drohnenangriffen. Allein in der Nacht auf Sonntag und Sonntagfrüh wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums acht Regionen in Russland mit Drohnen angegriffen. Pro-ukrainische Kämpfer drangen außerdem in russisches Grenzgebiet vor.

Putin bestätigte am Sonntag erstmals offiziell, dass der inzwischen verstorbene Kremlkritiker Alexej Nawalny ausgetauscht werden sollte. Er habe bereits sein Einverständnis zum Austausch gegen im Westen inhaftierte Russen gegeben, sagte Putin bei der Pressekonferenz in Moskau nach seinem verlautbarten Sieg bei den Präsidentschaftswahlen. „Was Herrn Nawalny betrifft, ist er nicht mehr am Leben“, wurde Putin zitiert. „Das ist ein trauriges Ereignis.“ „Leider ist nun einmal passiert, was passiert ist“, sagte Putin weiter zum Tod Nawalnys. „Aber es passiert, dagegen kann man nichts tun, so ist das Leben.“

Nawalnys langjähriger Vertrauter Leonid Wolkow nannte Putins Stellungnahme einen Monat nach dem Tod des Regimegegners „zynisch“. Putin, der Nawalnys Namen erstmals ausgesprochen hatte, habe seinen Gegner in Wahrheit getötet, um ihn nicht austauschen zu müssen. Er bezeichnete Putin als eine „Blut saugende Wanze“, die bald platzen werde.

Der zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilte Kremlkritiker Nawalny war Mitte Februar in einem Straflager in Sibirien gestorben. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt. Laut Behörden ist der schärfste Kritiker von Putin bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche seien erfolglos geblieben. Seine Witwe Julia Nawalnaja geht davon aus, dass ihr Mann im Lager ermordet wurde.

Kurz nach Nawalnys Tod verlautete aus dem Kreis seiner Vertrauten, dass er eigentlich gegen den in Deutschland inhaftierten sogenannten Tiergartenmörder hätte frei getauscht werden sollen. Demnach hätte der im Dezember 2021 in Deutschland verurteilte Wadim K. an Russland ausgeliefert werden sollen – im Gegenzug für Nawalny und zwei nicht näher genannte US-Amerikaner. Ein entsprechendes Angebot sei Kremlchef Wladimir Putin Anfang Februar unterbreitet worden, hieß es.

In mehreren europäischen Hauptstädten, darunter auch in Wien, hatten sich am Sonntagmittag lange Schlangen vor den Wahllokalen in russischen Botschaften gebildet. Die Witwe Nawalnys, Julia Nawalnaja, hatte Putin-Gegner aufgerufen, als Zeichen des Protests mittags in Massen in die Wahllokale zu strömen und für Putins Gegenkandidaten zu stimmen oder Stimmzettel mit der Aufschrift „Nawalny“ ungültig zu machen. Nawalnaja selbst gab ihre Stimme in der russischen Botschaft in Berlin ab, wo Anhänger sie mit Blumen und Applaus begrüßten. Auch sie schrieb nach eigenen Angaben den Namen ihres Mannes auf den Stimmzettel.

Auch in mehreren russischen Städten waren um die Mittagszeit lange Schlangen vor Wahllokalen zu beobachten. „Ich bin gekommen um zu zeigen, dass wir viele sind, dass es uns gibt, dass wir keine unbedeutende Minderheit sind“, sagte der 19-jährige Student Artem Minasjan vor einem Wahllokal im Zentrum von Moskau. Auf Nawalnys Grab auf einem Moskauer Friedhof lagen Stimmzettel mit seinem Namen darauf auf einem Berg von Blumen.

Trotz Drohungen der Behörden mit harten Strafen gab es am Rande der Wahl auch einzelne, offene Protestaktionen. Laut der Bürgerrechtsorganisation OWD-Info wurden dabei mindestens 80 Menschen festgenommen. Die Behörden meldeten Festnahmen wegen „Vandalismus“. Demnach gossen Menschen in Wahllokalen grünen Farbstoff in Wahlurnen, zudem zündeten Wähler bei der Stimmabgabe Molotowcocktails oder Feuerwerkskörper. Putin sagte, die Protestaktionen hätten „keine Auswirkung“ auf die Wahl gehabt. Die Behörden würden sich jedoch mit denjenigen „befassen“, „die ihre Stimmzettel zerstört haben“.

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