Putin macht radikale Islamisten für Angriff bei Moskau verantwortlich

Der Terroranschlag bei Moskau ist nach den Worten von Kremlchef Wladimir Putin von Islamisten ausgeführt worden. „Wir wissen, dass das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde“, sagte Putin am Montagabend bei der Aufarbeitung des Anschlags vom Freitag, bei dem mindestens 139 Menschen ums Leben kamen. Aber die Schießerei passe in eine breitere Einschüchterungskampagne der Ukraine, ergänzte Putin.

„Diese Gräueltat ist möglicherweise nur ein Glied in einer Kette von Versuchen derjeniger, die sich seit 2014 durch die Hände des neonazistischen Kiewer Regimes im Krieg mit unserem Land befinden“, sagte Putin. Nach dem Anschlag hätten die Attentäter versucht, in die Ukraine zu fliehen und es stelle sich die Frage: „Wer hat sie dort erwartet?“, fragte Putin, der sich nach Angaben des Kremlsprechers Dmitri Peskow mit Vertretern verschiedener staatlicher Behörden getroffen hatte.

Maskierte Angreifer waren am Freitagabend in die Crocus City Hall im nordwestlich gelegenen Moskauer Vorort Krasnogorsk eingedrungen. Die Männer eröffneten das Feuer auf die Besucher der Konzerthalle und setzte sie in Brand. Die Gesamtzahl der Verletzten wurde mit 182 angegeben. Kurz nach dem Angriff reklamierte die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) die Tat für sich und bekräftigte dies später mehrmals.

Westliche Sicherheitsbehörden und Experten halten das Bekenntnis für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Trotzdem behaupteten Putin und andere russische Vertreter ohne Vorlage von Beweisen, dass angeblich die Ukraine in das Verbrechen verstrickt sei. Die ukrainische Führung hat dies strikt zugewiesen.

Das Weiße Haus wies die Aussagen der russischen Führung zu angeblichen Verwicklungen der Ukraine als „Propaganda des Kremls“ zurück. Putin und seine Kumpanen im Kreml versuchten, einen Weg zu finden, der Ukraine die Schuld zuzuschieben, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag in Washington. „Es gibt aber keine Verbindung zur Ukraine.“ Dies sei ein Anschlag, der von Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat verübt worden sei, sagte Kirby weiter. „Punkt. Ende des Satzes, Ende der Geschichte – keine Verbindung zur Ukraine.“ Putin versuche nur, den anhaltenden Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.

Wegen der Tat waren vier Tadschiken in Untersuchungshaft genommen worden. Die russische Justiz verhängte am Montagnachmittag Untersuchungshaft gegen drei weitere Beteiligte. Das Basmanny-Bezirksgericht der russischen Hauptstadt traf diese Entscheidung, wie die Staatsagentur TASS berichtete. Damit befinden sich nun sieben Terrorverdächtige in Untersuchungshaft, unter ihnen die vier mutmaßlichen Todesschützen. Insgesamt waren nach dem Anschlag am vergangenen Freitag elf Verdächtige festgenommen worden. Die vier mutmaßlichen Haupttäter waren schon am Sonntagabend vor dem Haftrichter erschienen.

Als die mutmaßlichen Täter am Sonntag von Polizisten und Geheimdienstlern ins Moskauer Basmanny-Gericht gebracht wurden, fielen sofort ihre schweren Verletzungen auf. Die Männer wiesen stark geschwollene Gesichter, Platzwunden und Blutergüsse auf. Ein Verdächtiger trug einen Verband über dem rechten Ohr, ein weiterer wies ein blaues Auge auf und hatte ein zerrissenes Plastiksackerl um den Hals. Ein anderer konnte nicht mehr selbst gehen und verlor Berichten zufolge zwischenzeitlich das Bewusstsein. In sozialen Netzwerken kursierten Videos, die zeigen sollen, wie die mutmaßlichen Attentäter gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Drei der vier Verdächtigen hätten sich für schuldig erklärt, hieß es vom Gericht.

Kreml-Sprecher Peskow wollte sich am Montag nicht zu den zahlreichen Berichten über Folterungen durch russische Sicherheitskräfte äußern. Zu einem Journalisten, der auf die im Gerichtssaal deutlich sichtbaren Verletzungen der Männer und auf Foltervideos hinwies, sagte Peskow lediglich: „Ich lasse diese Frage unbeantwortet.“

Menschenrechtler verurteilten indes die mutmaßliche Folter der Tatverdächtigen durch russische Sicherheitskräfte. „Die Antwort auf Barbarei darf nicht Barbarei sein“, teilte die russische Vereinigung „Komanda protiw pytok“ (deutsch: Team gegen Folter) am Montag mit. Gewalt und Schikane wirkten sich zudem äußerst negativ auf die Ermittlungen aus, betonten die Aktivisten: „Wir haben immer gesagt und werden immer sagen, dass der Wert von Beweisen, die Sicherheitskräfte durch Folter erreichen, kritisch niedrig ist. Anstelle der Wahrheit sagt ein Mensch meist das, was diese Folter stoppen oder zumindest unterbrechen kann.“ Erzwungene Geständnisse könnte die Ermittlungen in eine ganz falsche Richtung führen.

Das Quälen von Häftlingen erhöhe auch die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft, führten die russischen Menschenrechtler von „Komanda protiw pytok“ aus. In Russland, wo Repressionen insbesondere seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine vor mehr als zwei Jahren stetig zunehmen, wird der Organisation zufolge immer wieder gefoltert – meist jedoch hinter verschlossenen Türen. „Dieses Mal wurden wir nicht nur Zeugen eines monströsen Terroranschlags, sondern auch öffentlicher Folter. Das ist eine Methode, um Menschen durch Angst zu lähmen und die gesamte Gesellschaft zu indirekten Gewaltopfern zu machen.“

Leonid Wolkow, ein Vertrauter des kürzlich im Straflager gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny, zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die Aufnahmen die Öffentlichkeit auf Anweisung von ganz oben erreicht hätten. Dass der Machtapparat seine eigene Grausamkeit so demonstrativ zur Schau stelle, sei neu, schrieb Wolkow im Nachrichtendienst Telegram. So solle wohl abgelenkt werden vom „Versagen der russischen Geheimdienste“ vor dem Anschlag, sagte er.

Drei Tage nach dem Terroranschlag wurden immer noch 97 Verletzte in Krankenhäusern behandelt. Das teilte die Leiterin der Gesundheitsverwaltung im Gebiet Moskau, Ljudmila Bolatajewa, am Montag mit. Die Patientinnen und Patienten seien über Kliniken der Hauptstadt und des Moskauer Gebiets verteilt. Die erlittenen Verletzungen seien unterschiedlich schwer, sagte sie russischen Nachrichtenagenturen zufolge. An einem improvisierten Gedenkort am Zaun des Geländes Crocus City legten trauernde Menschen weiterhin Blumen nieder. Vor Ort hielten in der zerstörten Crocus City Hall die Aufräumarbeiten an. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in den Trümmern der ausgebrannten Konzerthalle noch weitere Leichen gefunden werden.

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